Warum Portugal schwächelt: Ronaldo, ein Komplex und viele Zweifel

Am Sonntag hatte João Neves immer noch reichlich Energie. Bei der Champions-League-Siegesfeier seines Vereins Paris Saint-Germain im Prinzenpark zeigte der portugiesische Mittelfeldspieler auf der Bühne einen formvollendeten Salto rückwärts.

Nach den ausgiebigen Festivitäten werden Neves, Positionskollege Vitinha, Linksverteidiger Nuno Mendes sowie Backup-Stürmer Gonçalo Ramos schon heute wieder voll gefordert sein.

Das PSG-Quartett soll Portugal im Nations-League-Halbfinale bei Gastgeber Deutschland beflügeln (Anstoß 21 Uhr / ZDF live ab 19.25 Uhr). Zumal wieder an Ort und Stelle des Pariser 5:0 gegen Inter Mailand gekickt wird: in der Münchner Arena.

Portugal nimmt die Partie aus diversen Gründen sehr ernst. Zum einen gilt es einen veritablen Deutschland-Komplex zu brechen. Seit einem 3:0 am letzten Gruppenspieltag der EM 2000 hat Portugal alle fünf Turnierbegegnungen verloren.

Zum anderen braucht es dringend einen Stimmungsaufheller. Wie Deutschland scheiterte auch Portugal bei der EM 2024 im Viertelfinale. Doch die Umstände unterschieden sich ganz gewaltig: Gewann die Mannschaft von Julian Nagelsmann mit couragierten Darbietungen viele Sympathien, frustrierte Portugal seine Fans auf ganzer Linie. In 240 Minuten K.-o.-Runde gelang kein Tor aus dem Spiel heraus.

Umso größer war die Ernüchterung, da Portugal hoch gehandelt wurde und wird. Kaum eine andere europäische Nation ist so durchgehend gut besetzt. Innen- und Außenverteidiger, Spielmacher und Abräumer, Flügel- und Mittelstürmer: Für jedes Profil finden sich mehrere Weltklasseprofis im Kader.

Nach der langen, zuletzt etwas schwerfälligen Ära des Nationaltrainers Fernando Santos sollten sie unter dem 2023 angetretenen Spanier Roberto Martínez endlich entsprechend begeistern.

Doch nach der zähen EM zeigte die Martínez-Elf auch im Nations-League-Viertelfinale gegen Außenseiter Dänemark ein gruseliges Hinspiel, das im Rückspiel gerade noch so eben umgebogen wurde (0:1, 5:2 nach Verlängerung).

Vor dem Trip nach Deutschland notiert die Sportzeitung "A Bola" voller Distanz: "Die Seleçao ruft keinen großen Enthusiasmus hervor."

Für einen Trainer sind solche Einschätzungen ein Alarmsignal, zumal wenn der Mann nicht mehr da ist, der ihn einstellte: Verbandschef Fernando Gomes musste im Februar statutengemäß nach drei Amtszeiten ausscheiden.

Seinem Nachfolger, dem Ex-Schiedsrichter und vormaligen Liga-Chef Pedro Proença, wirft er vor, "unser Erbe zerstören" zu wollen. Gehört auch Martínez zu diesem Erbe?

Proença wird ein Faible für die Idee nachgesagt, den berühmtesten aller portugiesischen Trainer für den Job zu verpflichten, José Mourinho.

Der berühmteste Portugiese überhaupt soll nun mit seinen Toren helfen, dieses Gespenst zu vertreiben: Cristiano Ronaldo ist auch mit 40 Jahren noch Kapitän und Eckbaustein für Martínez.

Der Weltrekord-Internationale (219 Länderspiele) und -Torschütze (136) rechtfertigt dieses Vertrauen in einfacheren Partien immer noch mit häufigen Treffern.

Bei der EM aber wirkte er oft wie ein Bremsklotz. Dennoch stand er mehr Minuten auf dem Platz als jeder andere portugiesische Feldspieler.

Diese fast schon irrationale Nibelungentreue gehört zu den Dingen, die viele Fans an Martínez irritieren. Statt die neue Generation um Vitinha oder Neves in den Mittelpunkt zu rücken, schwärmt der Trainer bei jeder Gelegenheit von seinem "vorbildlichen Kapitän".

Doch Ronaldo spielt längst in Saudi-Arabien, die Champions League gewann er zuletzt 2018. Und gegen Deutschland gab es in seiner Ära nur Niederlagen.