Fan-Proteste gegen neue Sicherheitspläne:"Plan geht einseitig zu Lasten der Freiheit"
Thomas Kessen ist Sprecher der Fanorganisation "Unsere Kurve". Im Interview erläutert er Hintergründe der Fanproteste gegen die neuen Sicherheitspläne und kritisiert die Politik.
Die Innenminister wollen durch umstrittene Maßnahmen die Sicherheit der Stadionbesucher erhöhen. Doch die Fans sehen dafür keine Notwendigkeit, sondern einen Eingriff in ihre Freiheitsrechte.
Quelle: dpa/Daniel BockwoldtDeutschlands Innenministerinnen und Innenminister wollen strengere Sicherheitsmaßnahmen in den Bundesliga-Stadien durchsetzen - unter anderem verschärfte Stadionverbote und personalisierte Tickets. Dagegen regt sich in der Szene Widerstand. Thomas Kessen ist Sprecher der Fanorganisation "Unsere Kurve". Im Interview erläutert er die Hintergründe der Fanproteste und geht mit der Politik hart ins Gericht.
ZDFheute: Während Kirchen oder Parteien über fehlende Bindungskraft klagen, mobilisierte die Fanszene innerhalb von drei Tagen tausende Fans für eine Demo nach Leipzig. Auch am Wochenende wird es kaum eine Kurve ohne Protestplakat geben. Wie ist das zu erklären?
Thomas Kessen: Mit der Reife und Geschlossenheit der deutschen Fans. 'Getrennt in den Farben, vereint in der Sache‘ ist längst mehr als nur ein Slogan.
Am Wochenende wird es in Deutschlands Bundesliga-Stadien 12 Minuten ruhig sein. Wieso das so ist, erklärt ZDF-Reporterin Franziska Müllers.
21.11.2025 | 0:38 minZDFheute: Glauben Sie wirklich, die Innenminister hätten vor, die Fankultur massiv zu beschneiden, oder gar den Fußball im Ganzen zu bedrohen?
Kessen: Nichts anderes ist zu befürchten, denn im Hinterzimmer werden Maßnahmen geplant, die alle Fußballfans betreffen, nicht nur die ach so bösen Ultras: Grundrechtseinschnitte wie Strafen auf Verdacht, Gesichtserkennung und personalisierte Tickets für alle Tribünenbereiche.
ZDFheute: Auch einige Klubs sagen: Das ist kaum umzusetzen.
Kessen: Die Einlasssituation würde sich stundenlang hinziehen, da 60.000 Tickets mit den 60.000 Personalausweisen verglichen werden müssten. Zuletzt wollte selbst die Polizei an einigen Standorten nicht die Verantwortung für solche Maßnahmen übernehmen.
ZDFheute: Empfinden die Stadiongänger eine personalisierte Eintrittskarte wirklich als Eingriff in ihre Grundrechte? Viele haben doch seit Jahren eine Dauerkarte, auf der ihr Name steht.
Kessen: Hier haben Vereine und Fans ja auch nachvollziehbare, berechtigte Interessen. Dieses wird im Falle einer pauschalen Personalisierung jedoch einseitig.
Fußball - das ist Adrenalin, Emotion und für viele Fans ihr allerliebstes Hobby. Doch immer häufiger gerät der Sport unter Druck von Extremen, vor allem aus dem rechten Spektrum.
24.11.2025 | 43:25 minZDFheute: Das ist aber nicht Ihr Hauptkritikpunkt, oder?
Kessen: Es gibt einfach keinen Beleg dafür, dass personalisierte Tickets je Sicherheitsrisiken minimiert hätten. Hier überwiegt also klar das Recht des Fans auf informationelle Selbstbestimmung.
ZDFheute: Die Fans protestieren gegen die Innenministerkonferenz am 3. Dezember, die als Fortsetzung der Veranstaltung vom Oktober 2024 gilt. Dazwischen lag allerdings die Veröffentlichung der ZIS-Zahlen, die auf Polizei-Daten beruhen.
Kessen: Und die belegen: Es gibt keine Grundlage für Verschärfungen. Bei über 25 Millionen Stadionbesuchern kam es zu einem Rückgang von 17 Prozent bei Gewaltdelikten und neun Prozent bei Polizeieinsatzstunden. Die Innenminister sollten so ehrlich sein, das Verfahren mangels Bedarfs zu beerdigen.
ZDFheute: Die sind sich mit der Polizei allerdings darin einig, dass die Einsatzstunden immer noch zu hoch sind.
Sehen Sie die Doku "Inside Fankurve - radikal und extrem" am 4. Dezember um 18 Uhr bei ZDFinfo oder streamen Sie sie jederzeit im ZDF-Streaming-Portal.
Kessen: Es stimmt, dass es zu viele Polizisten beim Fußball gibt - aber genau das macht den Fußball oft erst unsicher.
ZDFheute: Meinen Sie das ernst?
Kessen: Das Phänomen ist aus der Kriminologie längst bekannt. Wenn hunderte Polizisten da sind, wird jede Kleinigkeit verfolgt, damit man etwas zu tun hat. Es gab unter Innenminister Ralf Jäger einen Modellversuch in NRW mit dem Ziel, mit weniger Polizeikräften die Sicherheit zu gewährleisten.
ZDFheute: Und?
Kessen: Der war ein riesiger Erfolg. Allerdings kam dann eine Landtagswahl, und die Ergebnisse wurden von seinem Nachfolger niemals präsentiert.
ZDFheute: Aber auch Sie geben zu, dass es bei Derbys wie Schalke gegen Dortmund auch künftig viel Polizei braucht, oder?
Tausende vereint in Jubel, Wut und Enttäuschung: Fußball im Stadion bedeutet Emotion und Spannung pur. Die meisten sammeln sich dort friedlich. Doch wo überschreitet die Leidenschaft Grenzen?
13.08.2024 | 43:43 minKessen: Natürlich gibt es Rivalitäten. Und natürlich ist ein Fußballspiel ganz ohne Polizei nicht realistisch. Es geht um einen vernünftigen Mittelweg, der Freiheit und Sicherheit gewährt.
ZDFheute: Die Innenminister sagen, genau das hätten sie vor.
Kessen: Was die Politik gerade plant, geht aber einseitig zulasten der Freiheit. Und das kann nicht der Preis sein, den diese Gesellschaft für eine Phantomdebatte zahlen muss.
Thomas Kessen ist Fußballfan und Pressesprecher der Organisation "Unsere Kurve". "Unsere Kurve" ist ein eingetragener Verein, in dem sich Fanorganisationen von der Bundesliga bis zur Regionalliga zusammengeschlossen haben. Zum Jahresbeginn 2025 sind 24 Fanorganisationen unter dem Dach von "Unsere Kurve" vereinigt. Der Verein repräsentiert damit eine rund sechsstellige Anzahl von aktiven Fans.
"Unsere Kurve" wurde 2005 als Interessensgemeinschaft gegründet. Die Bandbreite der mitwirkenden Organisationen ist vielfältig. Sie reicht von lokalen Fan- und Förderabteilungen über Fanclub-Dachverbände hin zu Supporter Clubs und Interessensgemeinschaften. Der Erhalt der Fankultur ist der zentrale Antrieb für die Arbeit bei "Unsere Kurve".
Das Interview führte Christoph Ruf
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