Proteste in Israel gegen Gaza-Krieg: Keine "Selbstverteidigung"
Anti-Kriegs-Proteste in Israel:"Ist es Selbstverteidigung, Kinder zu töten?"
von Ninve Ermagan
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Mit Bildern getöteter Kinder aus Gaza ziehen Aktivisten von "Standing Together" durch Israel, um gegen den Krieg zu mobilisieren. Die Kritik am Vorgehen der Regierung wächst.
In Tel Aviv gehen immer mehr Menschen auf die Straße, um gegen den Gaza-Krieg zu demonstrieren.
Quelle: Imago
"Stoppt die Hungersnot! - Stoppt das Töten! - Genug mit der Zerstörung - Geisel-Deal jetzt!" Mit diesen Rufen ziehen Aktivisten der jüdisch-palästinensischen Friedensbewegung "Standing Together" durch die Straßen des Landes. Sie halten Plakate mit Bildern von ausgemergelten und getöteten Kindern, rufen mit Megafonen "Ein Kind ist ein Kind" und marschieren durch Einkaufszentren und über öffentliche Plätze. Ihr Protest: laut, unbequem - und inzwischen unübersehbar.
Es sind Protestaktionen, die in Israel und im Netz für Aufsehen sorgen. Tausende Juden und Palästinenser Hand in Hand gegen Krieg und für Frieden. Und Israelis, die ihrer Regierung einen Genozid an den Palästinensern vorwerfen - für viele ein Tabubruch.
Instagram-Post von "Standing Together"
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Die Organisation "Standing Together" ist eine jüdisch-palästinensische Friedensbewegung, die sich seit Jahren für soziale Gerechtigkeit, Gleichberechtigung und ein Ende der Besatzung einsetzt - und die sich bereits kurz nach Beginn des Gaza-Kriegs als eine der ersten öffentlichen Stimmen in Israel für einen Waffenstillstand ausgesprochen hat. Mit über 7.000 Mitgliedern ist sie die größte Bewegung ihrer Art im Land.
"Zerstörung ganzer Städte Selbstverteidigung?"
Im Gespräch mit ZDFheute sagt Alon-Lee Green, Mitgründer von "Standing Together", die militärische Gewalt Israels habe längst jedes Maß verloren. Was in Gaza geschehe, sei "nicht Verteidigung, sondern Vernichtung". Medienberichten zufolge plant Ministerpräsident Benjamin Netanjahu - trotz Bedenken der Militärführung - eine vollständige Einnahme des Gazastreifens. Diese Entscheidung bedeute "noch mehr Tod" - den Tod der Geiseln, der Palästinenser und der Soldaten, schreibt Green auf X.
Der israelische Ministerpräsident Netanjahu will offenbar Gaza vollständig einnehmen. Bedenken dagegen haben Geiselangehörige und auch die Armeeführung. 05.08.2025 | 0:55 min
Doch was sagt man Menschen, die glauben, Israel habe nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober keine andere Wahl gehabt?
Ist es Selbstverteidigung, über 18.000 Kinder zu töten? Zwei Millionen Menschen aushungern zu lassen? Ist die Zerstörung ganzer Städte Selbstverteidigung - oder Auslöschung?"
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Alon-Lee Green, Mitgründer von "Standing Together"
Selbst wer den Krieg nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober grundsätzlich befürworte, müsse sich fragen, wie er geführt werde - und wo moralische Grenzen überschritten würden, so Green. Und wenn ein Minister öffentlich die Möglichkeit in Betracht ziehe, eine Atombombe auf Gaza zu werfen, sei auch das dann noch "Selbstverteidigung", fragt Green mit Blick auf die Aussagen des rechtsextremen Kulturerbe-Ministers Amichai Elijahu, von dem sich die Regierung diesmal allerdings klar distanzierte.
Im Morgengrauen des 7. Oktober dringen hunderte Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Hamas und verbündeter islamistischer Gruppen vom Gazastreifen aus in den Süden Israels ein und verüben Gräueltaten überwiegend an Zivilisten, darunter an vielen Frauen und Kindern. Nach israelischen Angaben werden 1.210 Menschen getötet. Mehr als 251 Menschen werden als Geiseln genommen. Heute - im Sommer 2025 - sind noch etwa 50 Geiseln in der Hand der Hamas. 27 von ihnen sollen tot sein.
Die blutige Attacke ist der Auslöser für den Gaza-Krieg. Seither kämpft Israels Militär gegen die Hamas. Der Krieg hat dort verheerende Zerstörungen verursacht, nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sollen bisher etwa 60.034 Menschen getötet worden sein, mehr als 18.500 davon Kinder. Mehr als 800 israelische Soldaten kamen bei den Kämpfen ums Leben.
Die Angaben zu Toten und Verletzten beider Seiten lassensich nicht unabhängig überprüfen. (Quelle: dpa/AFP - Stand: Juli 2025)
Zwei israelische NGOs werfen Israel Völkermord vor
Die politische Debatte in Israel verschiebt sich spürbar: Rund 30 prominente Persönlichkeiten, darunter Oscar-Preisträger Yuval Abraham, haben in einem Schreiben internationale Sanktionen gegen ihr eigenes Land gefordert. Scharfe Kritik kommt inzwischen selbst von ehemaligen Spitzenpolitikern wie Ex-Ministerpräsident Ehud Olmert, der mit den Worten "Wir haben genug getötet" ein sofortiges Ende des Krieges fordert.
Statt auf Warnungen höre Netanjahu eher auf die "vielen Stimmen in seiner Regierung, die sich für eine Fortsetzung des Krieges" aussprechen, so ZDF-Reporterin Alica Jung.05.08.2025 | 1:37 min
Erstmals sprechen zudem zwei bedeutende israelische Menschenrechtsorganisationen von Völkermord: Die NGOs B'Tselem und Ärzte für Menschenrechte Israel werfen der Regierung "koordinierte Angriffe" vor - mit dem erklärten Ziel, "eine ganze Gruppe zu zerstören".
Tausende oder Hunderte Menschen zu töten, ist kein Kollateralschaden.
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NGOs B'Tselem und Ärzte für Menschenrechte Israel
Die Organisationen beschreiben in ihren Berichten eine gezielte Zerstörung der Lebensgrundlagen der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen - verbunden mit systematischer Gewalt, die sich nicht nur gegen militärische Ziele, sondern auch verstärkt gegen Zivilisten richte.
Reis, Mehl, Medikamente: Mehrere Tonnen Hilfsgüter wirft die Bundeswehr mit Fallschirmen über Gaza ab. Die lebensnotwendige Hilfe aus der Luft kommt jedoch nicht ohne Risiko.05.08.2025 | 2:06 min
Aktivist: Kritik an Israel hat Konsequenzen
Doch Aktivisten wie Alon-Lee Green wissen, dass öffentliche Kritik an der israelischen Regierung auch Konsequenzen haben kann. In den ersten Monaten nach dem 7. Oktober war Protest gegen den Krieg kaum möglich: Kundgebungen wurden verboten, Teilnehmer verhaftet, erzählt Green. Auch er selbst saß mehrere Tage im Gefängnis. Mittlerweile erlaube die Polizei in großen Städten wieder Demonstrationen. Aber die Repression sei nicht überall gleich.
Wenn es ein Protest von überwiegend Palästinensern ist, bleibt es sehr schwierig - oder wird gar nicht genehmigt. Manche werden schon verhaftet, nur weil sie sagen 'Ich bin Palästinenser'.
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Alon-Lee Green, Mitgründer von "Standing Together"
Viele seien tief erschüttert: Ihre Angehörigen sterben in Gaza - und ihnen werde gleichzeitig "die Stimme genommen", um darüber zu sprechen.
Die humanitäre Krise in Gaza wird immer dramatischer. Bundeskanzler Merz kündigt deutsche Hilfslieferungen nach Gaza an. ZDF-Korrespondentin Golineh Atai berichtet von der aktuellen Lage.30.07.2025 | 5:10 min
Wie groß ist die Unterstützung in Israel für den Krieg?
Trotz allem wirkt Alon-Lee Green nicht hoffnungslos. "Standing Together" wachse, immer mehr Menschen würden sich der Bewegung anschließen. In der Bevölkerung unterstützten immer weniger Menschen den Krieg in Gaza.
Während in den ersten Wochen nach dem Hamas-Angriff im Oktober 2023 noch breite Zustimmung zu militärischem Handeln herrschte, ist heute eine Mehrheit gegen die Fortsetzung des Krieges. Laut einer repräsentativen Umfrage des Instituts für Nationale Sicherheit (INSS) vom Juni sprachen sich 60,5 Prozent der befragten Israelis dafür aus, den Krieg zu beenden.
X-Post von Alon-Lee Green
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Vielen gehe es dabei darum, die Geiseln oder Soldaten zurückzubringen, sagt Green. Doch zunehmend beginne auch ein ethisches Umdenken. "Immer mehr Menschen sehen, was wir in Gaza anrichten."
Entsetzen über Geisel-Videos der Hamas
Die Forderung nach einem Geisel-Deal und einem sofortigen Waffenstillstand erreichte am vergangenen Wochenende einen neuen Höhepunkt - ausgelöst durch verstörende Propagandavideos der Hamas, die ausgehungerte Geiseln zeigten, darunter Evjatar David, der gezwungen wurde, sein eigenes Grab zu schaufeln. Die Videos sorgten für landesweites Entsetzen: Mehr als 60.000 Menschen gingen am Samstag allein in Tel Aviv auf die Straße und forderten ein Ende des Krieges und die umgehende Freilassung aller verbliebenen Geiseln.
Aufnahmen zweier Geiseln rufen Entsetzen hervor und sorgen für neuen Druck auf Israels. Angehörige drängen auf ein Abkommen, der UN-Sicherheitsrat berät morgen darüber.04.08.2025 | 1:39 min
Doch wie lässt sich in einem Land, das in den vergangenen Jahren einen spürbaren Rechtsruck erlebt hat, tatsächlich Veränderung bewirken - jenseits der Schockmomente und Empörung? Für Alon-Lee Green beginnt Wandel nicht mit moralischer Abgrenzung, sondern mit direktem Austausch.
Man muss mit den Menschen sprechen. Man darf sie nicht aufgeben. Man muss ihnen zuhören, sie mit der Realität konfrontieren.
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Alon-Lee Green, Mitgründer von "Standing Together"
Israels Armee geht seit dem Terrorangriff der Hamas militärisch im Gazastreifen vor - die Verhandlungen in Katar über eine Waffenruhe wurden abgebrochen. Die Entwicklungen im Blog.