Gazastreifen: Die Lage einen Monat nach Beginn der Waffenruhe

Einen Monat nach Beginn der Waffenruhe :"Frieden an der Oberfläche" - die Lage im Gazastreifen

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Die Waffenruhe im Gazastreifen bleibt brüchig. Den Bewohnern gibt sie "etwas Luft zum Atmen" - doch der Konflikt brodelt weiter. Einer der Knackpunkte: die Entwaffnung der Hamas.

Palästinenser eilen auf Lastwagen mit Hilfsgütern des Welternährungsprogramms (WFP) zu, während diese durch Deir al-Balah im Zentrum des Gazastreifens am 08.11.2025 fahren.

Nach Inkrafttreten der Waffenruhe waren die Hilfslieferungen als Teil der Vereinbarung ausgeweitet worden. (Archivbild)

Quelle: dpa

Die vor einem Monat in Kraft getretene Waffenruhe zwischen Israel und der islamistischen Hamas haben viele Menschen in der Region mit tiefer Erleichterung aufgenommen. Doch für die rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens liegt eine Rückkehr zur Normalität noch in weiter Ferne.

Umm Ahmed Afana aus Chan Junis ist bei Verwandten untergekommen, nachdem ihr Haus während des zweijährigen Kriegs beschädigt worden war. Die vierfache Mutter erzählt:

Endlich können wir schlafen, ohne den Klang von Luftangriffen zu hören, aber jedes laute Geräusch erschreckt meine Kinder noch immer.

Umm Ahmed Afana

"Es ist Frieden an der Oberfläche, aber noch nicht in unseren Herzen. Wir beten nur, dass diese Ruhe lange genug anhält, damit wir neu anfangen können", sagte sie weiter.

Ein Mann streckt sich aus dem Fenster eines Busses und ruft sowie gestikuliert dabei. Links das gelbe auslandsjournal-"a".

Für die Freilassung der Geiseln zahlt Israel einen hohen Preis: Fast 2000 palästinensische Gefangene kamen frei, nicht alle sind Terroristen. Wie erleben sie die Rückkehr nach Gaza?

15.10.2025 | 6:05 min

Krieg brach mehrmals fast wieder aus

"Einen Monat nach Beginn der Waffenruhe befinden wir uns in einer sehr fragilen Lage", sagt Michael Milshtein, früherer Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten bei Israels Militärgeheimdienst. Es habe seit dem 10. Oktober schon mehrmals Vorfälle gegeben, die fast zu einem neuen Kriegsausbruch geführt hätten.

Menschen nehmen an einer Kundgebung in Tel Aviv, Israel, teil und fordern die Rückkehr der verstorbenen Geiseln, die von der Hamas im Gazastreifen festgehalten werden.

Die kürzlich freigelassenen Geiseln der Hamas haben die Rückgabe der verbliebenen Leichen von Entführten gefordert. Fünf Geisel-Leichen sollen sich immer noch in Gaza befinden.

09.11.2025 | 0:18 min

Bei Angriffen auf israelische Truppen, die weiterhin mehr als die Hälfte des Gazastreifens kontrollieren, wurden mehrere israelische Soldaten getötet. Israel greift weiter Ziele in dem Küstenstreifen an: Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind seit Beginn der Waffenruhe mehr als 240 Palästinenser getötet worden.

  • Die 20 lebenden Geiseln der Hamas wurden wie vereinbart am 13. Oktober freigelassen, darunter auch deutsche Staatsbürger. Im Gegenzug hat Israel fast 2.000 palästinensische Gefangene freigelassen.
  • Die Übergabe der 28 Leichen, zu der die Hamas sich ebenfalls verpflichtet hatte, verläuft entgegen der Vereinbarung nur schleppend. Im Gegenzug für die bisher übergebenen Leichen hat Israel die Leichen von 285 Palästinensern übermittelt.
  • Israel hat seine Truppen außerdem auf die sogenannte "gelbe Linie" zurückgezogen, die die Rückzugslinie der Armee innerhalb des Gazastreifens markiert.
  • Der Gaza-Friedensplan sieht auch die Entwaffnung der Hamas vor. Die Terrororganisation lehnt das jedoch ab.
  • Die Hilfslieferungen wurden als Teil der Vereinbarung ausgeweitet, mit einem Ziel von 600 Lkw am Tag.

Quelle: dpa


Hamas lehnt Entwaffnung ab

Der größte Knackpunkt im Gaza-Friedensplan scheint derzeit die Entwaffnung der Hamas zu sein. Die Terrororganisation lehnt dies klar ab. Im Gegenteil, sie nutzt die Waffenruhe nach Ansicht von Experten, um sich neu zu organisieren. Doch die Trump-Regierung, die den Friedensplan vorgelegt hatte, besteht als Vermittler in dem Konflikt darauf.

Nach Einschätzung des Experten Milshtein sind die USA jetzt der Hauptakteur mit Blick auf die Zukunft des Gazastreifens.

Dieser Krieg ist zu Ende gegangen, nicht weil Israel es wollte oder die Hamas eingelenkt hat, sondern weil Trump auf den Tisch gehauen hat.

Michael Milshtein, israelischer Ex-Geheimdienstler

Elmar Theveßen

"Trump hat klargemacht, dass er in Sachen einer Zwei-Staaten-Lösung entscheiden werde", so ZDF-Korrespondent Elmar Theveßen zur Situation in Gaza.

29.10.2025 | 3:21 min

Der Hamas sei es nach der Waffenruhe rasch gelungen, in den von ihr kontrollierten Gebieten wieder die Herrschaft zu übernehmen, sagt Milshtein. Sie sei weiter die dominante Kraft im Gazastreifen. Gegner innerhalb der eigenen Bevölkerung wurden massiv eingeschüchtert, etwa durch öffentliche Hinrichtungen.

USA: Koordinationszentrum und weiter Abkommen in Israel

Die USA haben in Israel ein Koordinationszentrum für alle weiteren Schritte errichtet. Der "New York Times" zufolge sollen die USA darauf drängen, dass ihr Friedensplan durch ein Votum des UN-Sicherheitsrats und damit dann internationales Recht untermauert wird. Dies schließt auch den Einsatz einer internationalen Stabilisierungstruppe (ISF) ein, die im Gazastreifen für Ordnung sorgen soll.

Zudem sind die Vereinigten Staaten um Stabilität in der größeren Region bemüht. Den vor Jahren von den USA initiierten sogenannten Abraham-Abkommen für eine Normalisierung der diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten schließt sich US-Präsident Donald Trump zufolge auch das muslimisch geprägte Kasachstan in Zentralasien an. Weitere Staaten sollen folgen, hieß es von US-Seite.

Schwierige zweite Phase des US-Friedensplans

Währenddessen hoffen die arabischen Vermittlerstaaten Katar und Ägypten, dass bald die zweite Phase des Friedensplans eingeläutet werden kann. Dazu gehöre ausdrücklich die Entwaffnung der Hamas, betonte der katarische Regierungschef Mohammed bin Abdulrahman Al Thani kürzlich. Die Hamas sei bereit, die Kontrolle über den Gazastreifen abzugeben, solange dies für alle Seiten in dem Konflikt gelte, sagte er. Experte Milshtein geht allerdings davon aus, dass die Hamas eine internationale Truppe mit robustem Mandat im Gazastreifen nicht akzeptieren würde.

Ägypten fordert, dass die Palästinenser eine realistische Aussicht auf ihren unabhängigen Staat erhalten sollten. Dies lehnt die rechtsreligiöse Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu jedoch strikt ab.

Gaza-Bewohner: Waffenruhe gibt etwas "Luft zum Atmen"

Und das ist - trotz der Waffenruhe - nach wie vor groß. Zwar sind nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Medienbüros sind seit Beginn der Waffenruhe rund 750.000 Binnenflüchtlinge in die Stadt Gaza und den Norden des Gazastreifens zurückgekehrt. Wegen der schweren Zerstörungen lebten aber 80 Prozent von ihnen in provisorischen Unterkünften.

"Die Waffenruhe hat uns etwas Luft zum Atmen gegeben, aber unsere Realität hat sich nicht geändert", sagt Ahmed Mansour, der einen kleinen Lebensmittelladen im Norden des Gazastreifens betreibt.

Ich kann den Laden immer noch nicht wieder eröffnen - es gibt die meiste Zeit keinen Strom, und die Menschen haben kaum Geld, um etwas zu kaufen.

Ahmed Mansour

Huda Salman, eine Lehrerin aus der Stadt Gaza, erzählt:

Zum ersten Mal seit Monaten sind meine Schüler wieder im Unterricht. Einige Kinder zeichnen immer noch Raketen und Soldaten - so erinnern sie sich an den Krieg. Aber wenn ich sie während des Unterrichts lachen sehe, spüre ich ein wenig Hoffnung

Huda Salman

Friedensplan für Gazastreifen
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Seit dem 10. Oktober herrscht eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas - und hat damit den Krieg in Nahost unterbrochen. Doch die Feuerpause scheint fragil. Die News im Blog.
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