Terrororganisation Hamas: Wie stark sind die Islamisten noch?

Nach Freilassung israelischer Geiseln:Wie stark ist die Hamas jetzt noch?

Ninve Ermagan
von Ninve Ermagan
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Zwei Jahre nach dem 7. Oktober ist die Hamas militärisch geschwächt. Doch die Terrororganisation bleibt gefährlich - und als politische Idee sogar gestärkt, warnen Experten.

Der Präsident des Bundesnachrichtendienstes (BND), Martin Jäger, trifft zu einer Anhörung vor einem Kontrollausschuss des Bundestages in Berlin ein.

Trotz der Waffenruhe halten deutsche Geheimdienste die Hamas weiterhin für gefährlich. Deutschland sei Rückzugsraum für die Terrororganisation.

13.10.2025 | 1:37 min

Nachdem die Terrororganisation Hamas dem ersten Teil von Donald Trumps Friedensplan zugestimmt, und mit der Freilassung der verbliebenen Geiseln ein zentrales Druckmittel verloren hat, stellt sich die Frage: Wie stark ist die Hamas heute noch?

"Nach israelischen Quellen geht man davon aus, dass ungefähr 90 Prozent ihrer Führungsmannschaft, ihrer Kommandanten in Gaza, eliminiert wurden", erklärt Terrorismusexpertin Rebecca Schönenbach. Auch die Rekruten seien stark dezimiert.

Die Hamas greift mittlerweile auf sehr junge, meist Teenager zurück, um ihre Ränge aufzufüllen. Sie ist also massiv geschwächt, aber nicht besiegt.

Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin

Das liegt, so Schönenbach, an der Struktur der Organisation: "Die Hamas ist eine Guerilla-Truppe, die Guerilla-Taktiken als Terrorgruppe anwendet - sie verschwindet immer wieder zwischen Zivilisten, setzt sich aus ihnen zusammen", so Schönenbach.

Die israelischen Behörden haben im Rahmen eines Austauschabkommens damit begonnen, palästinensische Gefangene aus den Gefängnissen zu entlassen, nachdem die Hamas 20 israelische Geiseln freigelassen hatte.

Die letzten 20 noch lebenden israelischen Geiseln wurden heute von der Hamas übergeben. Im Gegenzug ließ Israel rund 2000 palästinensische Gefangene frei.

13.10.2025 | 2:25 min

Hamas hat sich "gefährliche Macht aufgebaut"

Durch das stark ideologisierte Schulsystem in Gaza sei es leicht, neue Kämpfer zu gewinnen. Familien würden unter Druck gesetzt, Kinder früh radikalisiert. "So hat die Hamas mit wenigen Leuten eine gefährliche Macht aufgebaut, die sie weiter aufrechterhalten kann."

Nahostwissenschaftler Tom Khaled Würdemann sieht das ähnlich: Als politische Idee sei die Hamas keineswegs geschwächt, sondern im Gegenteil gestärkt. "Weltweit hat die Idee der Hamas massiv Zulauf erhalten", so Würdemann.

Das spiegelt sich in der politischen Macht zwar nicht wider, aber das Missverhältnis zwischen öffentlicher Meinung und realpolitischem Einfluss ist größer denn je.

Tom Khaled Würdemann, Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg

Nahost-Frieden: "Alles sehr kompliziert"

"Politischer Frieden in Israel und Palästina könne erst kommen, wenn bestimmte menschliche und geopolitische Bedingungen geschaffen worden sind", so der Nahost-Experte Tom Khaled Würdemann.

13.10.2025 | 6:11 min

"Hamas wird sich entwaffnen lassen müssen"

Würdemann sieht die Terrororganisation dennoch in einer schwierigen Lage:

Ich sehe für die Hamas als existierende militante Organisation keinen Ausweg aus der aktuellen Situation.

Tom Khaled Würdemann, Hochschule für Jüdische Studien in Heidelberg

Ohne Geiseln habe die Gruppe jedes Druckmittel verloren: "Sie wird sich entwaffnen lassen müssen - oder Israel wird seine Kämpfe in Gaza fortsetzen." Nach Würdemanns Einschätzung ist die Hamas derzeit in interne Machtkämpfe verstrickt. "Sie tötet gerade massenhaft Rivalen in Gaza", sagt er, "was eher wie ein verzweifeltes 1945-Manöver wirkt - als würde man Fahnenflüchtige exemplarisch bestrafen."

Der palästinensische Präsident Mahmud Abbas trifft am 13. Oktober 2025 zu einem Gipfeltreffen über Gaza in Sharm el-Sheikh ein.

Wie kann aus der kürzlich vereinbarten Waffenruhe ein dauerhafter Frieden in Gaza werden? Darüber haben heute rund 20 Staats- und Regierungschefs in Ägypten gesprochen.

13.10.2025 | 1:38 min

Expertin: Hamas-Auslandselite massiv an Macht verloren

Die Hamas sei heute zweigeteilt: in eine Führung im Gazastreifen und eine im Ausland. "Diese beiden Flügel sind sich nicht immer einig", erklärt Expertin Schönenbach. Vor allem die Auslandselite habe an Einfluss verloren.

Die Politik der USA habe in den vergangenen Monaten dafür gesorgt, dass die Organisation weiter isoliert wurde. "In Zusammenarbeit mit Israel und Katar wurde so viel Druck aufgebaut, dass die Hamas-Führung letztlich der Geiselfreigabe zustimmen musste."

Trotz der politischen Schwächung verfüge die Hamas aber auch weiterhin über beträchtliche finanzielle Mittel. "Sie hat ein riesiges Wirtschaftsimperium aufgebaut", sagt Schönenbach.

Ein Teil wurde konfisziert, aber bei weitem nicht alles. Es gibt Investitionen in der Türkei, in Nordafrika und Bankkonten in verschiedenen Ländern. Viele Führungsmitglieder sind weiterhin millionenschwer.

Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin

Bewaffnete Männer der Izz al-Din al-Qassam-Brigaden, dem militärischen Flügel der Hamas, während eines antiisraelischen Militärmarsches in Gaza-Stadt, Gazastreifen

Am 7. Oktober 2023 verändert ein Angriff die Welt: Die Hamas überfällt Israel. Es werden 1.200 Israelis auf brutalste Weise ermordet und über 240 Menschen entführt.

11.10.2024 | 44:35 min

Wer finanziert die Hamas?

Besonders Katar galt lange als Hauptfinanzier der Organisation. Bis zum 7. Oktober 2023 flossen laut Schönenbach monatlich rund 30 Millionen Dollar in den Gazastreifen - offiziell für Hilfszwecke, tatsächlich aber für militärische Strukturen. Diese Zahlungen seien inzwischen weitgehend gestoppt, weil die USA Katar zu einer klaren Abkehr vom Terrorismus gedrängt hätten.

Auch Iran habe jahrelang Terrorgruppen wie die Hamas und den Palästinensischen Islamischen Dschihad mit mindestens 100 Millionen Dollar jährlich unterstützt. Vor dem 7. Oktober bezog die Hamas einen großen Teil ihrer Einnahmen aus Steuern, Zöllen und Abgaben im Gazastreifen - auch Hilfslieferungen wurden besteuert oder teilweise beschlagnahmt.

Es ist ziemlich sicher, dass Teile der internationalen Hilfsgelder bei der Hamas gelandet sind.

Rebecca Schönenbach, Terrorismusexpertin

Um die Organisation langfristig zu schwächen, müsse der Finanzfluss an sie vollständig gestoppt werden.

Die Hamas profitiert laut Schönenbach weiterhin von undurchsichtigen Wirtschaftsstrukturen - auch in Europa. "Es gibt Spuren nach Deutschland", betont sie. "Zum Beispiel eine Bank, deren Mutterhaus, die Kuveyt-Türk-Bank in der Türkei, im Zusammenhang mit der Terrorfinanzierung auffällig geworden ist. Die deutsche Tochter, die KT-Bank, hat ebenfalls die Auflagen zur Verhinderung von Terrorfinanzierung verletzt." Darüber hinaus würden Geschäfte, insbesondere im Bau- und Handelssektor, weiterhin Einnahmen generieren, die der Hamas indirekt zugutekommen.


Strategische Niederlage in der arabischen Welt

Dennoch: Neben der militärischen Schwächung sieht Schönenbach auch eine ideologische Niederlage der Hamas. Das Massaker vom 7. Oktober habe nicht - wie beabsichtigt - zu einer Abkehr der arabischen Staaten von Israel geführt, sondern im Gegenteil zu einer Annäherung.

"Die Hamas hat mit dem Angriff erreichen wollen, dass Saudi-Arabien und andere arabische Staaten sich wieder von Israel abwenden. Sie hat das Gegenteil erreicht", sagt Schönenbach. Viele arabische Regierungen hätten erkannt, dass die Radikalisierung durch die Hamas auch eine Gefahr für ihre eigene Bevölkerung darstellt.

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