Rekonstruktion der Mossad-Operation:Die Pager-Attacke und die Folgen für den Nahen Osten
von Marcus Weller, Lena Marie Reimers, Christian Rohde
"Operation Apollo" hat die Machtverhältnisse im Nahen Osten verändert. ZDF frontal rekonstruiert den Pager-Angriff des israelischen Geheimdienstes gegen die Hisbollah im Libanon.
Aus vermeintlich harmlosen Pagern werden tödliche Waffen des Mossad: Bei der Operation Apollo gegen die Hisbollah sterben im September 2024 fast 40 Menschen, mehr als 3.000 werden verletzt.
03.11.2025 | 27:53 minAls Oded Eliam über den Tag spricht, an dem der Terror nach Israel kam, wird der ehemalige Leiter der Einsatzabteilung beim Mossad nachdenklich. Sein Geheimdienst habe vor dem 7. Oktober 2023 nichts mit der Hamas in Gaza zu tun gehabt: "Wir hatten keine Quellen, wir hatten keine technischen Möglichkeiten, wir haben uns einfach nicht damit befasst."
Für diese Erkenntnis haben wir einen sehr hohen Preis bezahlt.
Oded Eliam, ehem. Mossad-Einsatzleiter
In diesen Tagen im Oktober fürchteten viele in Tel Aviv einen koordinierten Großangriff auch im Norden des Landes aus dem Libanon. "Alles war emotional extrem aufgewühlt. Die Armee hatte versagt", beschreibt US-Journalist Frank Foer die Stimmung. Ein ganzes Land in Angst, die Gegenseite würde den Moment der Verwundbarkeit ausnutzen, "um eine Art 'Endlösung', einen apokalyptischen Angriff auf Israel durchzuführen."
Tatsächlich greift einen Tag nach der Hamas eine zweite Terrormiliz den Norden Israels mit Raketen an - die vom Iran finanzierte libanesische Hisbollah.
Mit Sprengstoff präparierte Walkie-Talkies und Pager
In diesen Tagen aktiviert der israelische Geheimdienst die "Operation Apollo", die wohl aufsehenerregendste Geheimdienstoperation der jüngeren Geschichte, die die Machtverhältnisse im Nahen Osten dramatisch verändern wird. Ein ehemaliges Mitglied im Senior Forum des Mossad erinnert sich an die dramatischen Tage im Oktober 2023:
Der Mossad machte jetzt eine Ansage: Agenten, fangt endlich an, Leute zu neutralisieren.
Ehemaliges Mitglied im Senior Forum des Mossad
Zahlreiche Tote und tausende Verletzte gibt es nach den Pager-Explosionen im Libanon. Für die Hisbollah steckt Israel hinter der Attacke.
18.09.2024 | 2:09 minZiel der Operation war es, die Kommandoebene der Hisbollah zu attackieren und die Miliz handlungsunfähig zu machen. In Interviews mit ZDF frontal berichten ehemalige Agenten, wie der Mossad bereits über Monate und Jahre die Führungsebene der Hisbollah unterwandert hatte. Über Scheinfirmen infiltrierte der israelische Geheimdienst die Lieferketten der Terrormiliz und verkaufte ihr mit Sprengstoff präparierte Walkie-Talkies und Pager.
"Die Geräte sollten nicht an irgendwelche einfachen Terroristen oder Soldaten verteilt werden", berichtet der ehemalige Mossad-Einsatzleiter Oded Eliam. "Sie sollten nur an jene Personen der Hisbollah gehen, die auch wirklich verantwortlich waren. Es erfordert eine Menge Aufwand."
Und was man auch unbedingt noch braucht, ist eine Menge Glück.
Oded Eliam, ehem. Mossad-Einsatzleiter
Operation Apollo war der erste Dominostein für eine Veränderung der Machtverhältnisse in der Region: Der Nahe Osten steht nach der Pager-Attacke des Mossad erneut vor einer ungewissen Zukunft.
03.11.2025 | 31:39 minEx-Premier Olmert: Zur Sicherheit des Staates Feinde töten
Technische Details zeigen die Präzision der Attacke, mit der etwas aus der Zeit gefallene Kommunikationsgeräte zu tödlichen Waffen werden sollen: "Man gibt der Explosion eine Richtung", erklärt Eran Tuval, ehemaliger Leiter der Laboratorien der israelischen Armee, "So kann man 80 Prozent der Energie auf die Augen lenken, wenn jemand auf das Display schaut. Das ist sehr gut machbar, absolut möglich."
Oder auf die Hände, wenn sie sich neben der Batterie befinden. Das ist absolut möglich.
Eran Tuval, ehem. Laboratorien-Leiter der israelischen Armee
Ehud Olmert war zwischen 2006 und 2009 Israels Premierminister. Der alleine sei "für die Genehmigung aller Operationen zuständig", sagt Olmert im Interview mit ZDF frontal. "Der Mossad ist die israelische CIA, der israelische MI6, eine Geheimdienstorganisation, deren Aufgabe es ist, Israel vor Sicherheitsbedrohungen von außen, von Feinden zu schützen und Angriffe durchzuführen, um Feinde Israels zu töten, wenn es für die Sicherheit des Staates erforderlich ist."
Die "Operation Apollo" war nach Ansicht von Olmert "eine sehr wirksame Maßnahme, die das Potenzial hatte, alles zu ändern."
Ziel der Operation Apollo: Es sollen möglichst viele führende Mitglieder der Hisbollah ausgeschaltet werden. Dafür werden die Pager so präpariert, dass sie gezielt und kontrolliert explodieren.
03.11.2025 | 31:50 minPager explodierten ins Gesicht
Am 17. September 2024 wird der Befehl gegeben - die Pager explodieren um 15:36 Uhr. "Plötzlich hörte ich ein ungewöhnlich lautes Piepen", berichtet Ali Ibrahm, Offizier bei der Hisbollah, einem Team von ZDF frontal. "Auf dem Bildschirm stand: 'Error - drücken Sie OK'. Doch bevor ich überhaupt den OK-Knopf drücken konnte, explodierte das Gerät direkt in meinem Gesicht."
Im Libanon detonieren Tausende Pager zeitgleich, einen Tag später explodieren zahlreiche Walkie-Talkies.
Als der Pager explodierte, weiß ich nicht mehr, was passiert ist. Ein Splitter drang durch meine linke Wange ins Gehirn ein. Dadurch fiel ich ins Koma.
Hisbollah-Mitglied Hassan Nasreddine
Auch Hisbollah-Mitglied Hassan Nasreddine wurde getroffen. "Während des Komas erinnere ich mich, von unserem Führer Nasrallah geträumt zu haben. Er sagte: Wir dürfen nicht aufgeben. Wir müssen stark bleiben. Egal, was der Feind uns antut, wir müssen weitermachen!"
Die Dokuserie "Operation Apollo: Die Pager-Attacke des Mossad" von ZDF frontal rekonstruiert diese Aktion von ihrer minutiösen Planung bis zu ihren geopolitischen Folgen. Zu sehen ist sie am Dienstag, 4. November, ab 21 Uhr im ZDF und jederzeit im Streamingportal.
Ziel sei gerade nicht gewesen, die Hisbollah-Terroristen zu töten, berichtet ein ehemaliger Einsatzoffizier des Mossad im Interview: "Wenn er einfach tot ist, dann ist er tot."
Aber Menschen ohne Hände und Augen sind lebende Beweise, die im Libanon herumlaufen und sagen: Legt euch nicht mit uns an.
Ehem. Einsatzoffizier des Mossad
Drohnen, Angst, zerstörte Häuser: Im Südlibanon leben Familien zwischen Krieg, Stillstand und Machtkämpfen. Ein Alltag voller Unsicherheit und der Kampf um ein Stück Heimat.
03.09.2025 | 6:43 minVölkerrecht "ein Stück weit ein grausames Recht"
Was in bewaffneten Konflikten mit Terrorgruppen wie der Hamas oder Hisbollah erlaubt ist, unterliegt dem humanitären Völkerrecht. Es soll unbeteiligte Zivilisten schützen. Der Völkerrechtler Professor Stefan Talmon von den Universitäten Bonn und Oxford hat die "Operation Apollo" analysiert. "Die Regel sagt, dass Sprengfallen verboten sind. Die Frage ist: Waren diese Pager Sprengfallen?"
In dem Moment, in dem sie gar nichts tun müssen, sondern der elektronische Impuls die Explosion auslöst, fällt meiner Ansicht nach dieses Gerät nicht unter die juristische Definition der Sprengfalle.
Prof. Stefan Talmon, Völkerrechtler
Angriffe auf militärische Ziele sind dann verboten, wenn mit unverhältnismäßig hohen zivilen Opfern zu rechnen ist. "Ich muss dann abwägen, ist der Vorteil, den ich dadurch erlange, so groß, dass ich eben auch das zivile Opfer mit in Kauf nehmen darf?" Insofern sei das Völkerrecht "ein Stück weit ein grausames Recht, weil es eben auch Opfer unter der Zivilbevölkerung mit in Kauf nimmt."
Insgesamt starben 38 Menschen, mehr als 3.000 wurden verletzt. Der Angriff schaltete die Führung der Hisbollah weitgehend aus und verändert die Machtverhältnisse in der Region nachhaltig.
Außenminister Wadephul setzt im Libanon seinen mehrtägigen Nahostbesuch fort. Dort soll es auch um die Entwaffnung der Hisbollah gehen.
31.10.2025 | 0:22 minGoldener Pager für Donald Trump
Knapp ein halbes Jahr später, am 4. Februar 2025, überreicht Benjamin Netanjahu bei seinem Antrittsbesuch in Washington Donald Trump einen vergoldeten Pager. "Es gibt nichts Protzigeres", erinnert sich "The Atlantic"-Journalist Foer. "Es ist ein Geschenk, das Erfolg widerspiegelt. Und als solche wird diese Operation in die Geschichte eingehen."
Tatsächlich ist die "Operation Apollo" der erste Dominostein massiver Veränderungen im Nahen Osten. Nach zwei Jahren Krieg gegen die Hamas, die Hisbollah im Libanon und das Regime in Teheran erzwingt der amerikanische Präsident einen Waffenstillstand in Gaza. Am 13. Oktober spricht Trump vor dem israelischen Parlament: "Die Sonne geht auf über einem Heiligen Land in Frieden. Ein Land, eine ganze Region, die - so Gott will - in Frieden leben wird bis in alle Ewigkeit."
Das Fazit des ehemaligen israelischen Premiers Olmert fällt weniger pathetisch aus: "Es gibt einen Mangel an Visionen, ein völliges Fehlen von Plänen, wie nach Kriegsende eine neue Realität geschaffen werden kann, die dazu beiträgt, dass sich die Ereignisse, die zu diesem Krieg geführt haben, in Zukunft nicht wiederholen."