Merz' Israel-Entscheidung "eigentlich sogar unzureichend"

Interview

Waffenexportstopp nach Israel:Merz-Entscheidung "eigentlich sogar unzureichend"

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Deutschland reagiert auf Israels Vorgehen im Gazastreifen und schränkt die Rüstungsexporte ein. Für Nahost-Experte Jan Busse ist diese Entscheidung "eigentlich sogar unzureichend".

Nahost-Experte Dr. Jan Busse
Das Gespräch mit Nahost-Experte Jan Busse im Video. 08.08.2025 | 12:58 min
Israel will seine Kämpfe im Gazastreifen nochmals ausweiten - mit dem Ziel, zunächst Gaza-Stadt und anschließend das gesamte Küstengebiet vollständig einzunehmen und unter Kontrolle zu bringen. Jetzt hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) angekündigt, dass Deutschland seine Rüstungsexporte nach Israel einschränken werde.
Das sei unzureichend, sagt Nahost-Experte Jan Busse von der Universität der Bundeswehr München. Im Interview mit ZDFheute live erklärt er, wie der Druck auf Israel weiter erhöht werden könnte und warum deutsche Rüstungsgüter nur eine untergeordnete Rolle spielen.
Sehen Sie das Gespräch oben im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Nahost-Experte Jan Busse …

… zur Export-Einschränkung deutscher Rüstungsgüter

Angesichts der Lage im Gazastreifen bewertet Busse die Einschränkung der deutschen Rüstungsexporte nach Israel als "überfälliges Signal". Es zeige, dass die Bundesregierung die Geduld mit Israel verloren habe. Gleichzeitig müsse man sich aber auch vor Augen führen, dass diese Einschränkung "sogar unzureichend" sei. Denn:

Laut völkerrechtlicher Verpflichtungen muss die Bundesregierung sicherstellen, dass Waffen grundsätzlich nicht für potenzielle Völkerrechtsverstöße verwendet werden.

Jan Busse, Universität der Bundeswehr München

Die aber begehe Israel im Gazastreifen offenkundig. Im Grunde habe die Bundesregierung also die Pflicht, diese Waffenlieferungen an Israel einzustellen, so der Experte.
ZDF-Reporterin Alica Jung.
In Israel gebe es kaum Reaktionen auf Merz‘ Ankündigung, berichtet ZDF-Reporterin Alica Jung. Gesprochen werde dort über die Entscheidung der israelischen Regierung, Gaza zu besetzen. 08.08.2025 | 6:28 min
Welche Rüstungsgüter Deutschland konkret nach Israel exportiert, ist öffentlich nicht bekannt. Was, laut Busse, wiederum auf den Kern des Problems hindeutet: die Rüstungsexportkontrolle. Sie sei in Deutschland "sehr intransparent" und müsse grundsätzlich reformiert werden. Nicht nur für Exporte nach Israel, sondern darüber hinaus.

Jan Busse, Nahost-Experte
Quelle: Unibw M / Siebold

... ist Nahost-Experte und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Internationale Politik und Konfliktforschung an der Universität der Bundeswehr in München.

… zum Einfluss der Ankündigung auf den Krieg in Gaza

Inwieweit sich die Einschränkung deutscher Waffenlieferungen auf den weiteren Verlauf des Gaza-Kriegs auswirken wird, sei schwer vorauszusagen, so Busse. Grundsätzlich unterscheide man zwischen Kriegswaffen, also beispielsweise Panzern und Maschinengewehren, und Rüstungsgütern.

Und anscheinend ist es so, dass tatsächlich seit Anfang 2024 keinerlei Kriegswaffen mehr exportiert werden.

Jan Busse, Universität der Bundeswehr München

Das sagt auch ZDF-Hauptstadtkorrespondent Wulf Schmiese. Bei Munition und weiterer Ausrüstung habe man "die Israelis vertröstet". Schon 2024 sei deutlich weniger nach Israel exportiert worden als im Jahr zuvor. Deshalb sei Merz' Ankündigung ein "symbolischer Stopp".
ZDF-Hauptstadtkorrespondent Wulf Schmiese.
Der punktuelle Lieferstopp für Rüstungsgüter sei ein starkes Signal, aber nicht kriegsentscheidend für Israel, erklärt ZDF-Hauptstadtkorrespondent Wulf Schmiese. 08.08.2025 | 6:47 min
Gleichwohl geht Busse davon aus, dass Teile eines Kampfpanzers am Bodensee produziert werden. Diese würden in den USA zusammengebaut und dann nach Israel exportiert. Zudem könnten auch sonstige Rüstungsgüter in Gaza eingesetzt werden. Busse merkt weiter an:

Und gleichzeitig ist es natürlich auch ein wichtiger symbolischer Schritt, der natürlich auch dem Zweck dient, Druck auf die israelische Regierung auszuüben.

Jan Busse, Universität der Bundeswehr München

Die Bundesregierung wolle Ministerpräsident Benjamin Netanjahu davon abhalten, die Kampfhandlungen auszuweiten - auch vor dem Hintergrund der Lage in Gaza. Zudem sei zu bedenken, dass der "allergrößte Teil der israelischen Geiseln" nicht durch Kriegseinsätze, sondern durch Verhandlungen befreit wurde.
Friedrich Merz
Mit der Ankündigung keine Waffen an Israel zu liefern, die in Gaza zum Einsatz kommen können, verschärft die Bundesregierung ihre zuvor geäußerte Kritik an Israels Kriegsführung. 08.08.2025 | 2:45 min
Diesen Eindruck bestätigt ZDF-Reporterin Alica Jung in Tel Aviv. Sowohl Angehörige der Geiseln als auch mehrere ehemalige Geiseln selbst befürchteten, eine Ausweitung des Krieges könnte "das Todesurteil für die verbliebenen Geiseln bedeuten."
Busse analysiert weiter, die "desolaten Umstände" in Gaza hätten dazu geführt, dass die radikal-islamistische Hamas getötete Kämpfer habe ersetzen können. Denn: "Die israelische Kriegsführung ist letzten Endes ein Rekrutierungsprogramm für die Hamas."

... zu weiteren Schritten gegen Israel

Handlungsspielraum sieht Busse vor allem auf europäischer Ebene: In den vergangenen zwei Monaten sei bereits viel über das Assoziierungsabkommen zwischen der EU und Israel diskutiert worden. Das Abkommen bildet die Grundlage für die politische und wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Ländern.
Benjamin Netanjahu bei einer PK in Jerusalem
Deutschland belohne mit dem Waffenembargo den Terror der Hamas, sagt Netanjahu. In Israel hingegen kritisieren Opposition und Angehörige der Hamas-Geiseln Netanjahus Kriegspläne.08.08.2025 | 2:31 min
"Es ist ein Abkommen, das Israel in vielen Bereichen im Grunde den Status eines EU-Mitgliedsstaates ermöglicht", erklärt Busse. Im zweiten Artikel dieses Abkommens verpflichteten sich die Partner, die Menschenrechte einzuhalten. Laut Busse hat eine interne Untersuchung der EU aber bereits festgestellt, dass Israel im Gaza-Krieg dagegen verstößt.

Auf Grundlage von EU-Recht müsste dieses Abkommen eigentlich ausgesetzt werden.

Jan Busse, Universität der Bundeswehr München

... setzt den Rahmen für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Union mit Israel. Es wurde im Jahr 2000 geschlossen. Artikel zwei des Abkommens besagt, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auf der Achtung der Menschenrechte und demokratischen Grundsätzen beruhen. 

Mehrere EU-Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, hatten die EU-Kommission im Mai angesichts der israelischen Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen dazu aufgefordert, das Abkommen zu überprüfen.

Ende Juni legte die Kommission einen Bericht vor, demzufolge Israel gegen den Menschenrechtsparagraphen in dem Assoziierungsabkommen verstoße. Sie schlug daraufhin vor, die Beteiligung Israels am europäischen Forschungsprogramm "Horizon Europe" teilweise auszusetzen.

Quelle: AFP

Das würde den Druck auf Israel erhöhen. Passiert ist das aber bisher nicht, auch weil die Bundesregierung das nicht wolle, so Busse. Dabei sieht der Experte genau darin eine Möglichkeit, Israel zu einem Waffenstillstand zu bewegen.
Das Interview führte ZDFheute live-Moderatorin Victoria Reichelt. Zusammengefasst haben es die ZDF-Redakteure Janine Arendt, Jonas Kapp und Sara Lazarska.

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