Chef des Welternährungsprogramms:"Der gesamte Gazastreifen hungert"
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Hilfslieferungen kommen an - doch für manche zu spät. Kinder sind unterernährt, Helfer in Gefahr: WFP-Chef Martin Frick erklärt, warum die Lage in Gaza weiter dramatisch bleibt.
Nach heftiger Kritik lässt Israel Hilfslieferungen nach Gaza. Man könne nur hoffen, dass sie so schnell wie möglich verteilt werden, so Martin Frick vom UN-Welternährungsprogramm.27.07.2025 | 6:04 min
Nach einer monatelangen faktischen Blockade lässt Israel wieder größere Hilfslieferungen in den Gazastreifen zu. Doch laut Martin Frick vom UN-Welternährungsprogramm Deutschland (WFP) ist der Nachholbedarf gewaltig. Im Interview mit ZDFheute Live schildert er, wie kritisch die Lage ist - und wie Helfer selbst in Lebensgefahr geraten.
Sehen Sie das gesamte Interview oben im Video oder lesen Sie hier Auszüge. Das sagt Frick…
... zur aktuellen Hungersnot im Gazastreifen
Die Lage sei dramatisch: Laut Frick leide praktisch die gesamte Bevölkerung im Gazastreifen an Hunger.
Fast eine halbe Million ist von katastrophalem Hunger bedroht.
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Martin Frick, Direktor UN-Welternährungsprogramm
Die israelische Armee hat eine Kampfpause in Teilen des Gazastreifens angekündigt. Dort sollten sichere Routen für Konvois mit humanitären Hilfslieferungen ausgewiesen werden.27.07.2025 | 0:29 min
Besonders betroffen seien Kinder: Es habe bereits Kinder gegeben, für die jetzt angelaufene Hilfe zu spät gekommen sei. Aktuell seien 90.000 Frauen und Kinder drastisch unterernährt.
Besonders Kinder leiden im Gazastreifen unter Unterernährung.
Quelle: dpa | Rizek Abdeljawad
Das sei die Folge davon, dass bis Mitte Mai "der Gazastreifen unter einer Totalblockade litt und alle Lager ausgeräumt sind". Der Nachholbedarf sei nun "gewaltig".
Es fehlt an Hilfsgütern: Laut Welternährungsprogramm leiden 470.000 Menschen in Gaza unter extremem Hunger. Hilfsorganisationen berichten von einer verzweifelten humanitären Lage.26.07.2025 | 1:14 min
... über die benötigte Menge an Hilfsgütern
In der vergangenen Woche seien 350 Lastwagen in den Gazastreifen gefahren worden - das reiche aber bei weitem nicht aus, so Frick. Um für die 2,1 Millionen Menschen eine Verbesserung zu erreichen, müsse deutlich mehr passieren: "Wir würden als absolutes Minimum 100 Lastwagen pro Tag sehen – und das andauernd, ohne Unterbrechung, ohne bürokratische Hürden und vor allem ohne Gewalt an den Verteilstellen." Erst damit könne sich die Lage langsam beruhigen, so der WFP-Direktor.
Vor allem Spezialnahrung "für schwangere Frauen, für stillende Mütter und vor allem für Kleinstkinder" werde derzeit priorisiert. Darüber hinaus würden Mehl, Speiseöl und weitere Grundnahrungsmittel transportiert. Auch Treibstoff sei essenziell - nicht nur für die Verteilung der Hilfsgüter, sondern auch "um Bäckereien wieder stark zu bekommen, sodass wir Brot backen können für die Menschen".
Er habe sich bei seinem Besuch im Gazastreifen macht- und hilflos gefühlt, sagt Pierbattista Kardinal Pizzaballa, Lateinischer Patriarch von Jerusalem. "Wir müssen etwas tun."25.07.2025 | 6:07 min
... zur Sicherheitslage in Gaza
Gaza sei "extrem gefährlich", erklärt Frick.
Es ist der tödlichste Einsatz für humanitäre Helferinnen und Helfer seit dem Zweiten Weltkrieg.
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Martin Frick, Direktor UN-Welternährungsprogramm
Fast 500 Menschen, die in der humanitären Hilfe arbeiten, seien mittlerweile getötet worden, darunter mehr als 370 von den Vereinten Nationen. Die Gefahr gehe zum einen vom Militär aus, wenn Konvois beschossen werden - aber auch hungrige, verzweifelte Menschen, die Lastwagen stürmen, seien "ein tödliches Sicherheitsrisiko für die Hilfskräfte".
Es gebe Hinweise, dass das System der humanitären Hilfe für Gaza nicht funktioniere, so ZDF-Reporter Luc Walpot. Die israelische Regierung habe sich über Warnungen hinweggesetzt.26.07.2025 | 2:56 min
Um die Gefahr zu minimieren, gebe es genaue Absprachen mit den israelischen Behörden. "Jeder Lastwagen, der unterwegs ist, wird den israelischen Sicherheitsbehörden gemeldet", erklärt Frick. Doch auch hier gibt es Hürden: Kommunikationsmaterial, das für den Kontakt mit Konvois dringend nötig wäre, dürfe derzeit nicht in den Gazastreifen eingeführt werden.
Das Interview führte ZDFheute live-Moderator Marc Burgemeister, zusammengefasst wurde es von ZDFheute-Redakteur Oliver Klein.
Im Morgengrauen des 7. Oktober dringen hunderte Kämpfer der islamistischen Terrororganisation Hamas und verbündeter islamistischer Gruppen vom Gazastreifen aus in den Süden Israels ein und verüben Gräueltaten überwiegend an Zivilisten, darunter an vielen Frauen und Kindern. Nach israelischen Angaben werden 1.210 Menschen getötet. Mehr als 251 Menschen werden als Geiseln genommen. Heute - im Sommer 2025 - sind noch etwa 50 Geiseln in der Hand der Hamas - 27 von ihnen sollen tot sein.
Die blutige Attacke ist der Auslöser für den Gaza-Krieg. Seither kämpft Israels Militär gegen die Hamas. Der Krieg hat dort verheerende Zerstörungen verursacht, nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sollen bisher etwa 56.000 Menschen getötet worden sein. Mehr als 800 israelische Soldaten kamen bei den Kämpfen ums Leben.
Überhaupt lassen sich die Angaben zu Toten und Verletzten beider Seiten nicht unabhängig überprüfen. (Quelle: dpa/AFP - Stand: Juli 2025)
Israels Armee geht seit dem Terrorangriff der Hamas militärisch im Gazastreifen vor - die Verhandlungen in Katar über eine Waffenruhe wurden abgebrochen. Die Entwicklungen im Blog.