Bodenoffensive der Armee:Experte: Israel will Gaza "Erdboden gleichmachen"
Israel verfolge in Gaza-Stadt noch ein anderes Ziel, als nur die Hamas zu bekämpfen, ist Nahost-Experte Daniel Gerlach überzeugt. Dafür sprechen ihm zufolge zwei Gründe.
"Es geht nicht nur darum, die Hamas zu zerschlagen, es geht darum, Gaza dem Erdboden gleichzumachen", sagt Nahost-Experte Daniel Gerlach.
16.09.2025 | 2:51 minDie Bodenoffensive, die das israelische Militär in der Nacht zum Dienstag in Gaza-Stadt begonnen hat, folgt nach den Worten von Nahost-Experte Daniel Gerlach noch einem anderen Ziel, als nur die Hamas zu zerschlagen. "Es geht darum, Gaza dem Erdboden gleichzumachen", sagte Gerlach im ZDF spezial.
In der Militärsprache heiße die von Israel angewandte Strategie "Debellatio":
Das bedeutet, dass man wirklich eine Stadt ausradiert und nicht nur die Infrastruktur zerstört, sondern auch das Gedenken daran.
Daniel Gerlach, Nahost-Experte
Gerlach: Israel will keine Rückkehr der Bewohner
Israel wolle sicherstellen, dass die Menschen nicht mehr nach Gaza zurückkehren könnten und von ihren Behausungen auch nichts mehr übrig bleibe, erklärte der Nahost-Experte. "Ich glaube, das ist die Situation - auch wenn Netanjahu gesagt hat, dass er Fluchtmöglichkeiten schafft."
Trotz heftiger internationaler Kritik beginnen israelische Soldaten mit ihrer Bodenoffensive in Gaza-Stadt. Dort befinden sich derweil noch immer hunderttausende Zivilisten.
16.09.2025 | 2:56 minDie israelische Armee hatte die Bevölkerung in Gaza-Stadt wiederholt zur Flucht aufgefordert und betont, dass im Norden des Gazastreifens humanitäre Hilfe geleistet werde. Das Militär geht laut einem Sprecher davon aus, dass die umstrittene Bodenoffensive viele Monate dauern könnte.
Warum es um mehr als die Hamas-Zerstörung geht
Für die Einschätzung, dass es Israels Regierung um mehr als die Zerstörung der radikal-islamischen Hamas geht, nennt Gerlach zwei Belege: Zum einen habe selbst der Chef der israelischen Streitkräfte, der dem rechten Spektrum zuzuordnen sei, "große Zweifel" daran geäußert, dass der Bodeneinsatz sinnvoll sei. Das spreche dafür, dass es der politischen Führung um "etwas ganz anderes" gehe.
Zum anderen habe Israel bis heute nicht klar benannt, wie genau das häufig genannte "Zerschlagen der Hamas" eigentlich aussehen würde. Auch dies spreche nicht dafür, dass es sich dabei um das tatsächliche Ziel der israelischen Regierung handelt, so Gerlach.
Das Ziel von Israels Armee scheine zu sein, die Bevölkerung von Gaza-Stadt durch massiven Beschuss "aus der Stadt zu vertreiben", berichtet ZDF-Korrespondent Thomas Reichart.
16.09.2025 | 3:59 minDie verbleibenden Geiseln zu befreien, scheine für Ministerpräsident Benjamin Netanjahu keine Priorität zu haben. "Ich kann nicht erkennen, dass man mit dieser Taktik die Geiseln befreien kann." Im Gazastreifen befinden sich noch 48 Geiseln, von denen nach israelischen Informationen noch 20 am Leben sind.
Gerlach sieht kein Zeitfenster für Verhandlungen mehr
Mit Blick auf die Verhandlungen der Kriegsparteien in Katar, die seit dem israelischen Angriff auf die Hamas-Führung in dem Emirat ausgesetzt sind, machte Gerlach deutlich, dass er nicht mehr an einen Erfolg glaubt. Er widersprach damit US-Außenminister Marco Rubio, der am Dienstag gesagt hatte, es gebe noch ein "sehr kleines Zeitfenster" für eine mögliche Waffenruhe im Gazastreifen.
Mit Beginn der Bodenoffensive wächst die Sorge um Geiseln in Gaza-Stadt. Unter den Verschleppten vom 7. Oktober 2023 sind auch Israelis und Deutsche.
16.09.2025 | 1:48 min"Rubio und Trump sind nicht in der Lage, in dieser Situation in irgendeiner Weise einzugreifen", stellte Gerlach klar. Die amerikanische Administration sei wieder und wieder "übertölpelt" worden und versuche mit solchen Aussagen ihr Gesicht zu wahren. "Netanjahu, der klüger und erfahrener ist, nutzt jetzt die Gelegenheit, die sich ihm nach seiner Meinung einmalig bietet."
Das Interview im ZDF spezial führte Andreas Klinner. Zusammengefasst hat es Anja Engelke.