Humanitäre Lage in Gaza: Ein Zuhause, das es nicht mehr gibt
Zwischen Trümmern und Tod:Gaza: Ein Zuhause, das es nicht mehr gibt
von Luc Walpot
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Die katastrophale humanitäre Lage im Gazastreifen lässt die Menschen verzweifeln. An den Ausgabestellen für Lebensmittel herrscht Chaos - und es gibt massive Vorwürfe gegen Israel.
Nach Monaten der Vertreibung kehrt Familie Awad zur Ruine ihres Hauses zurück. Die Lage im Gazastreifen bleibt dramatisch: Hunger, Not und viele Tote.26.06.2025 | 2:36 min
Umm Mustafa ist erschöpft und niedergeschlagen. Trotzdem versucht sie ihren drei Kindern den schwer erträglichen Alltag mit einem Lächeln zu versüßen. Hinter ihr liegen 17 Monate Überlebenskampf - und ein Ende des Elends ist nicht in Sicht. Zu Beginn des Gaza-Kriegs musste die Familie ihr Haus in Gaza-Stadt fluchtartig verlassen, es regnete Bomben in unmittelbarer Nachbarschaft.
Sie zogen in ein Zeltlager beim Schifa-Krankenhaus, dann weiter nach Süden ins Wadi Gaza, weiter nach Rafah, wieder weiter nach Deir al Balah. Immer auf der Flucht vor den Geschossen, dem drohenden Tod. Jetzt sind sie wieder zu Hause. Ein Zuhause, das es nicht mehr gibt. Auf der Ruine des zerbombten Eigenheims haben sie notdürftig Zelte errichtet. Jeder neue Tag ist eine Herausforderung.
Bei der Verteilung von Hilfsgütern in Gaza wurden laut Augenzeugen Dutzende Zivilisten von Israels Armee beschossen. Über 50 Menschen kamen dabei ums Leben.17.06.2025 | 1:53 min
"Wir können nichts tun"
"Wir hatten eine Waschmaschine, einen Fernseher, mein Mann hatte Arbeit, die Kinder gingen zur Schule. Jetzt ist da nur noch Leid", sagt die 50-Jährige.
Mein Sohn hat eine Autismus-Störung. Er war all die Monate dieser riesigen, unkontrollierbaren Welt ausgesetzt, mit den Bombenexplosionen und den Schreien. Wir leiden mit ihm.
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Umm Mustafa
Hani Awad, ihr Mann, macht sich keine Illusionen. Selbst die Hilfsorganisationen hätten sich zurückgezogen, sagt er.
Die Grenzen sind dicht, überall blockieren die Soldaten die Straßen. Wir können nichts tun. Nur warten, und auf Gott vertrauen.
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Hani Awad
Mit den letzten Ersparnissen hat er einen Sack Mehl kaufen können. Für 70 Schekel, umgerechnet 18 Euro. Das war vor drei Wochen.
"Für einen Kanister Trinkwasser stehst du drei bis vier Stunden in der Schlange", sagt Hani. Auch Salzwasser zum Waschen muss gekauft werden. Alle zehn Tage gibt es Wasser.
Bei Lanz diskutiert die Nahost-Expertin Kristin Helberg mit dem CDU-Politiker Roderich Kiesewetter über die Verhältnismäßigkeit des israelischen Militäreinsatzes in Gaza. 25.06.2025 | 1:08 min
Vier Versorgungsstellen für knapp zwei Millionen Menschen
Lebensmittel, so hat die israelische Regierung nach der Schließung der Grenzen für Hilfsmittel Ende Mai entschieden, werden unter Aufsicht der Armee von einer amerikanischen Stiftung an vier Stellen im Gaza-Streifen verteilt. Drei im Süden, nur eine bei Familie Awad nahe Gaza-Stadt im Norden. Einmal am Tag, für knapp eine Stunde. Das soll die Versorgung von fast zwei Millionen Menschen sicherstellen.
Verzweifelte und hungernde Palästinenser drängen sich zu Tausenden täglich an diesen Ausgabestellen. Es herrscht Chaos und, so berichten es Augenzeugen: Wird der Andrang zu groß, dann schieße die Armee dort in die Menge. "Das sind keine Hilfszentren, das sind Todeszentren!", berichtet ein aufgebrachter Hilfesuchender. Die Palästinensische Gesundheitsbehörde spricht von mehr als 400 Toten an diesen Ausgabestellen in den letzten vier Wochen.
Die Bilder von schwer verletzten und hungernden Kindern erschüttern und die Kritik an Israels Vorgehen im Gazastreifen wächst: Der israelischen Armee werden massive Kriegsverbrechen vorgeworfen.17.06.2025 | 8:17 min
Schüsse auf Zivilisten: Israelische Regierung weist Vorwürfe zurück
Schwere Vorwürfe, die auch die Menschenrechtsbehörde der Vereinten Nationen erhebt: Israelische Truppen hätten dort wiederholt auf unbewaffnete Hilfesuchende geschossen. Israels Regierungssprecher David Mencer wies diese Darstellungen gestern zurück. "Selbstverständlich feuert Israel nicht auf Zivilisten. Es ist einfach falsch, wenn Medien diese Propaganda der Hamas wiederholen", so der Sprecher.
Alle diese Zahlen kommen von der Hamas.
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David Mencer, Israels Regierungssprecher
Für das ZDF recherchieren palästinensische Journalisten-Kollegen in Gaza und liefern Videomaterial zu. So kommen internationale Berichterstatter indirekt an Eindrücke von vor Ort.
Das israelische Militär soll Wartende in der Nähe eines Verteilungszentrums für Hilfsgüter getötet haben. Laut der Hamas-Gesundheitsbehörde gab es über 50 Tote.17.06.2025 | 1:31 min
Zeitung "Haaretz": Soldaten berichten von Schüssen bei Lebensmittelverteilung
Die regierungskritische israelische Tageszeitung "Haaretz" berichtet von Gesprächen mit mehreren beteiligten Soldaten, die einräumen, dass die Armee dort immer wieder, teil wahllos, auf die Menge schieße. Zum Teil auf Befehl des zuständigen Kommandeurs. Laut "Haaretz" hat die Militärstaatsanwaltschaft inzwischen eine Untersuchung der Vorfälle angeordnet.
In eine gemeinsamen Erklärung werfen Premierminister Benjamin Netanjahu und Verteidigungsminister Katz nun der Zeitung vor, bösartige Lügen zu verbreiten, die Israels Armee, "die moralischste der Welt", diskreditieren sollen. Israelische Soldaten erhielten klare Anweisungen, unschuldige Zivilisten nicht zu verletzen und handelten dementsprechend.
In Gaza sind die Schlangen für Essen lang und manche überleben den Kampf um das nackte Überleben nicht. Auch die medizinische Versorgung in den Krankenhäusern wird immer schlechter.11.06.2025 | 6:07 min
Humanitäre Lage weiter katastrophal
Vereinzelt erlaubt Israel jetzt auch wieder die Einfuhr von Mehl und Lebensmitteln des Welternährungsprogramms WFP. Diese Hilfsgüter werden von unabhängigen Hilfsorganisationen verteilt. Aber sie reichen nicht. Vor dem Krieg betrieb das UN-Hilfswerk für Palästinenser (UNRWA) mehrere Hundert Nahrungsmittelausgaben im gesamten Gazastreifen. Israel warf der Organisation vor, von der Hamas unterwandert zu sein und verbot deren Arbeit im Gazastreifen.
Die Vereinten Nationen haben neun Mitarbeiter des UN-Palästinenserhilfswerks UNRWA entlassen. Sie sollen möglicherweise am Hamas-Angriff vom 7. Oktober 2023 beteiligt gewesen sein.06.08.2024 | 0:24 min
Jenseits der katastrophalen Lebensmittelversorgung, so die UN-Nothilfeagentur OCHA, werde die Lage der Zivilbevölkerung seit Israels Blockade der Hilfslieferungen zunehmend bedrohlich. Trinkwasser, Abwasserklärung, Hygieneartikel, Brennstoff - alles fehle. Das Gesundheitssystem ist praktisch zusammengebrochen, Medikamente sind kaum noch vorhanden. Gelbfieber, Durchfall und Infektionskrankheiten breiten sich aus.
Ende des Kriegs nicht in Sicht
Und ein Ende des Krieges ist nicht in Sicht. Tags zuvor fielen Bomben in Deir al Balah. Mit mehr als 20 Toten und mehr als 70 Verletzten. Am Dienstag starben sieben israelische Soldaten, als unter ihrem Geländewagen Sprengstoff explodierte. Auch über das Schicksal der 50 Geiseln in der Hand der Hamas ist nichts Neues bekannt. 27 von ihnen sollen tot sein.
Auslöser des Gaza-Kriegs war der Überfall der Hamas und anderer islamistischer Extremisten auf Israel am 7. Oktober 2023. Dabei waren etwa 1.200 Menschen getötet und mehr als 250 als Geiseln in den Gazastreifen verschleppt worden. Seither kämpft Israels Militär gegen die Hamas. Der Gaza-Krieg hat dort verheerende Zerstörungen verursacht, nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde sind bisher etwa 56.000 Menschen getötet worden. Mehr als 800 israelische Soldaten kamen bei den Kämpfen ums Leben.
Nach dem US-Angriff auf Atomanlagen in Iran hat Teheran einen Vergeltungsangriff gestartet. Arabische Länder verurteilen den Angriff. Alle Entwicklungen im Liveblog.