Thema
Spenden für Palästinenser:Welche Hilfe kommt in Gaza an?
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Welche Hilfe erreicht die Menschen im Gazastreifen? Wie groß ist die Gefahr, dass sich die Hamas bereichert? Ein Überblick über die Lage vor Ort.
Humanitäre Hilfe im Gazastreifen bleibt lebenswichtig: Organisationen überwinden Hindernisse, um Lebensmittel und medizinische Versorgung für die Menschen zu sichern.
Quelle: ddp
"Wenn ich an Privatleute im Gazastreifen spende, kommt alles bei den Menschen an oder verdient die Hamas mit?" Diese Frage wurde uns von der ZDFheute-Community gestellt. Um sie zu beantworten, haben wir mit Menschen vor Ort in Gaza und mit Hilfsorganisationen gesprochen. Der direkte Zugang nach Gaza von Israel wird uns Journalisten nach wie vor verweigert.
Wer Geld abhebt, muss hohe Gebühren zahlen
Seit 22 Monaten herrscht im Gazastreifen Krieg. Mehr als zwei Drittel des Gebiets wurden durch israelische Angriffe zerstört. Das bedeutet, vielerorts ist die Infrastruktur zusammengebrochen, Menschen haben ihre Lebensgrundlage und auch die Möglichkeit, Geld zu verdienen, verloren. Wer noch Geld auf seinem Konto hat oder aus dem Ausland welches erhält, muss vor Ort hohe Gebühren bezahlen, um es überhaupt abheben zu können, 40 bis 50 Prozent, berichten uns unsere Mitarbeiter in Gaza.
Nur sehr wenige Händler akzeptieren elektronische Bezahlung, und selbst wenn sie es tun, verlangen auch sie zusätzlich eine hohe Provision. Auch Händler brauchen Bargeld, um Waren für ihre Geschäfte einzukaufen, doch Krieg treibt auch kriminelle Praktiken und Menschen an, die daran verdienen wollen.
Ausgehungerte Menschen kämpfen um Essen
Nadia Abu Issa ist mit ihrer Familie aus dem Osten des Gazastreifens nach Deir al-Balah weiter südwestlich geflohen. Sie hat drei Kinder. Ihr Mann Wael Abu Issa ist Friseur und muss nun zwei Tage lang arbeiten, um sich ein Kilogramm Mehl leisten zu können - lange Zeit kostete es zwischen 35 und 50 Euro. Er berichtet unseren Kollegen, dass die wenigen Hilfslieferungen, die den Gazastreifen erreichten, oft von Kriminellen an sich gerissen und auf dem Schwarzmarkt teuer verkauft werden.
Es sei extrem gefährlich, sich zu einem der Verteilzentren der israelisch-amerikanischen Stiftung GHF zu begeben. Das UN-Menschenrechtsbüro wirft Israels Armee vor, seit Ende Mai über 1.000 Menschen in der Nähe von Ausgabestellen getötet zu haben. Zudem kommt es immer wieder zu chaotischen Szenen, überall dort, wo Hilfsgüter in den Gazastreifen gebracht werden. Ausgehungerte Menschen kämpfen um Essen.
Rotes Kreuz fordert ortsnahe Hilfe
Viele Menschen hungerten und gerade Kinder litten unter Mangelernährung. Die Menschen seien schlichtweg verzweifelt, sagt Christof Johnen, Leiter der Internationalen Zusammenarbeit beim Deutschen Roten Kreuz.
Seit fast zwei Jahren ist keinerlei oder viel zu wenig Hilfe in den Gazastreifen gekommen.
Christof Johnen, Deutsches Rotes Kreuz
"Auch das müssen wir vor Augen haben, wenn wir Bilder von Menschenmengen sehen, die sich auf ankommende Hilfsgüter stürzen", so Johnen. Auch dies erschwere Hilfsorganisationen die sichere, geordnete und bedarfsgerechte Verteilung der Hilfsgüter.
Sich selbst auf den gefährlichen Weg zu einem der Verteilzentren machen, will Wael Abu Issa nicht. Was, wenn ihm etwas passiert? Wer versorgt dann seine Kinder?
Christof Johnen fordert, ortsnahe Hilfe wieder zuzulassen. Dann sei es viel besser möglich, zu kontrollieren und zu monitoren, wer die Hilfe empfängt. Die Bemühungen der internationalen Luftbrücke empfinden Johnen und auch Jouanna Hassoun, Geschäftsführerin des deutschen Hilfsvereins "Transaidency", als unzureichend.
Deutscher Hilfsverein verteilt kostenlose Mahlzeiten
Die Luftbrücke sei ein "symbolischer Akt der Verzweiflung", so Hassoun. Zwar habe sich die Situation in Gaza aktuell etwas entschärft durch die wenigen Hilfslieferungen, die durchgelassen worden seien, aber das Problem sei weiterhin, dass 96 Prozent der Bevölkerung kein Einkommen hätten. Durch ihren Verein versucht sie, die Ernährungslage in Nord-Gaza zu verbessern, arbeitet dort mit lokalen Mitarbeitern zusammen, die mit den Spendengeldern auf den Märkten einkaufen und dann kostenlose Mahlzeiten für die Anwohner zubereiten.
Auch ihr Verein muss die überteuerten Lebensmittelpreise bezahlen. So koste sie eine Lebensmittelausgabe 3.000 bis 6.000 Dollar, davon könnten 120 Portionen organisiert werden. Hassoun sagt, ihr Verein garantiere, dass ihre Mitarbeiter keinerlei Bezug zur Terrororganisation Hamas hätten. Sie fordert ein Ende der systematischen Hungersnot und ein Ende des Krieges.
Der Vorwurf: Hamas stiehlt Hilfe
Auf den immer wiederkehrenden Vorwurf der israelischen Regierung, dass die Hamas systematisch die Güter der Hilfsorganisationen abgreife, entgegnet Johnen:
Es liegen keine Hinweise vor, dass die Hilfen, die von uns nach Gaza gebracht worden sind, in messbarem Umfang abgezweigt worden sind.
Christof Johnen, Deutsches Rotes Kreuz
Kann er garantieren, dass Hamas sich nie an den Hilfen bereichert? "Nein, das kann ich nicht garantieren, weil ich das in keinem Kontext und in keinem Land zu 100 Prozent garantieren kann."
Natürlich sei es möglich, dass ein Hilfspaket mit einem Roten Kreuz oder mit dem Caritas- oder Diakonie-Logo auf einem Markt zu sehen sei. Das finde man in jeder Notsituation, weil Menschen in Not verständlicherweise Güter tauschen oder verkaufen. Doch es gebe keinerlei Belege dafür, dass ihre Hilfsgüter auf Märkten in großen Mengen verkauft worden seien.
Kommen Spenden in Gaza an?
Die Frage, ob Spenden an Privatleute die Menschen erreichen, ohne dass Hamas daran verdient, ist für uns von ZDFheute nur schwer zu beantworten. Wir kennen die Menschen nicht, an die Sie möglicherweise spenden wollen und wissen nicht, ob dort, wo die Menschen das Geld abheben müssen, mitverdient werden könnte.
Sollten Sie vorhaben, an eine Hilfsorganisation zu spenden, geht das Geld auch in Arbeit, die sich nicht abzweigen lässt. Christof Johnen erklärt, die Verteilung von Nahrungsmitteln decke nur einen Teil der humanitären Hilfe ab. Ein großer Teil sei die Arbeit mit Kindern, die Bereitstellung von Notunterkünften, die medizinische Versorgung inklusive Notfallrettung und Krankentransport bis hin zur stationären Versorgung in einem Krankenhaus. Dieser Teil werde leider häufig ausgeblendet.
Alica Jung berichtet als Reporterin aus dem ZDF-Studio in Tel Aviv.
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