Israel-Politik: Deutschland "einigermaßen isoliert“"

Interview

Israel-Politik der Regierung:Experte: Deutschland "einigermaßen isoliert“"

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Moralisch wäre es geboten, einen Staat Palästina zu unterstützen, sagt der Nahostexperte Peter Lintl. Doch mit der deutschen Haltung gebe es aktuell keinen glaubwürdigen Weg dahin.

Die Flagge von Palästina wird geschwenkt.

Kanada, Australien, Portugal und Großbritannien haben vor den Vereinten Nationen den Staat Palästina anerkannt. Frankreich will heute folgen. Geht die Wirkung über Symbolpolitik hinaus?

22.09.2025 | 4:20 min

ZDFheute: Mittlerweile sind es etwa drei Viertel aller UN-Mitgliedsstaaten, die einen Staat Palästina anerkennen. Deutschland zählt nicht dazu. Wie allein ist Deutschland mittlerweile international mit seiner Israel-Politik?

Peter Lintl: Deutschland ist mittlerweile einigermaßen isoliert mit seiner Israel-Politik. Dazu muss man aber sagen, dass sehr viele Länder Verständnis für so etwas wie historische Verantwortung haben.

Gleichwohl gibt es deutliche Kritik daran, dass sich Deutschland sehr lange kaum kritisch gegenüber dem Vorgehen im Gazastreifen geäußert hat. Und wenn Deutschland sich kritisch geäußert hat, hatte das keine Konsequenzen. Mit dem Waffenembargo der aktuellen Regierung hat sich das ein Stück weit geändert. Trotzdem bleibt die Frage, wie Deutschland dabei sein kann, wenn es um eine gemeinsame EU-Israel-Politik geht.

Diese Länder erkennen Palästina als Staat an

ZDFheute Infografik

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ZDFheute: Halten Sie es für denkbar, dass Deutschland in absehbarer Zeit Palästina als Staat anerkennen könnte?

Lintl: Es wirkt im Moment nicht so. Nach wie vor stellt sich Deutschland auf den Standpunkt, dass ein palästinensischer Staat nur nach Friedensverhandlungen anerkannt wird. Das ist eine etwas schwierige Position, weil diese Friedensverhandlungen ja auf absehbare Zeit nicht stattfinden werden. Mit dieser israelischen Regierung wird es sicherlich überhaupt keine geben.

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22.09.2025 | 1:11 min

Moralisch wäre es sicherlich geboten, einen palästinensischen Staat zu unterstützen. Das sieht ja die deutsche Regierung nicht anders. Aber es gibt derzeit keinen glaubwürdigen Weg dahin. Die deutsche Regierung muss sich überlegen, welche andere glaubwürdige Politik sie einschlagen wird, wenn sie den Staat Palästina nicht anerkennt.

ZDFheute: Kanzler Friedrich Merz will demnächst entscheiden, wie sich die Bundesregierung zu Israel-Sanktionen verhält. Ist es denkbar, dass sich eine deutsche Regierung den Sanktionen anschließt?

Lintl: Vor fünf bis acht Jahren wäre das noch unvorstellbar gewesen. Aber das Vorgehen in diesem Krieg rückt die Dinge schon in eine andere Perspektive. Es scheint niemanden zu geben, der diese israelische Regierung in irgendeiner Form beeinflussen kann. Selbst Donald Trump will oder kann es nicht.

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Daher stellt sich schon die Frage, wie man diesen andauernden Krieg beenden kann, selbst wenn es sich nicht auf diese Regierung auswirkt. Zum Beispiel könnte man mit dem Aussetzen des Assoziierungsabkommens einer nächsten Regierung sagen: "Das sind die Bedingungen, damit wir wieder ins Gespräch kommen und die Aussetzung zurücknehmen." Für Deutschland wäre das ein schwerer Schritt.

Aber die Aussetzung des Assoziierungsabkommens ist technisch gesehen keine Sanktion, sondern die Rücknahme einer Vorzugsbehandlung. Das ist ein Unterschied und vielleicht für Deutschland gangbarer als andere Wege.

... setzt den Rahmen für die politischen und wirtschaftlichen Beziehungen der Europäischen Union mit Israel. Es wurde im Jahr 2000 geschlossen. Artikel zwei des Abkommens besagt, dass die Beziehungen zwischen den Vertragsparteien auf der Achtung der Menschenrechte und demokratischen Grundsätzen beruhen. 

Mehrere EU-Länder, darunter Frankreich und die Niederlande, hatten die EU-Kommission im Mai angesichts der israelischen Blockade von Hilfslieferungen in den Gazastreifen dazu aufgefordert, das Abkommen zu überprüfen.

Ende Juni legte die Kommission einen Bericht vor, demzufolge Israel gegen den Menschenrechtsparagraphen in dem Assoziierungsabkommen verstoße. Sie schlug daraufhin vor, die Beteiligung Israels am europäischen Forschungsprogramm "Horizon Europe" teilweise auszusetzen.

Quelle: AFP


ZDFheute: Die SPD ist schon länger bereit, Sanktionen gegen die israelische Regierung mitzutragen. Anders ist das in der Union. Warum fällt es der Koalition noch immer so schwer, eine klare Haltung in ihrer Israel-Politik zu finden?

Lintl: Natürlich spielt die Vergangenheit eine Rolle und auch der 7. Oktober. Trotzdem gibt es ein Aber: Teile der deutschen Politik - nicht nur die Konservativen, sondern in fast jeder Partei - argumentieren so, als ob die deutsche Verantwortung für Israel schon immer so wahrgenommen worden wäre wie heute.

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Das stimmt aber nicht. Dass Israel so ins Zentrum der Erinnerungskultur gerückt ist, ist ein historisch relativ neues Phänomen. Diese Dynamik gibt es erst seit etwa zehn Jahren und sie ist heute Teil von politischen Identitäten geworden.

Der springende Punkt ist, dass es hier nicht mehr um argumentative Positionen geht, sondern um Identitätspositionen. Das macht es für Teile der deutschen Politik so schwierig.

Das Interview führte Leon Müller.

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