Was nun...? - Merz über neue US-Position:Ukraine könnte wie Nato-Territorium geschützt werden
von Oliver Klein
Kanzler Merz sieht die Gespräche zur Ukraine auf gutem Weg. Im ZDF äußerte er sich zu neuen Vereinbarungen zu Sicherheitsgarantien. Doch heikle Entscheidungen stehen noch aus.
Nach den Ukraine-Gesprächen in Berlin: Wie tragfähig sind die Ergebnisse und wir wird Russland reagieren? Fragen von Bettina Schausten und Anne Gellinek an den Bundeskanzler.
16.12.2025 | 24:37 minBundeskanzler Friedrich Merz hat im ZDF die jüngste diplomatische Offensive in Berlin zur Beendigung des Krieges in der Ukraine als großen Erfolg gewertet. In der Sendung "Was nun, Herr Merz?" ging es insbesondere um neue Sicherheitsgarantien für Kiew, die heikle Territorialfrage sowie den Einsatz des eingefrorenen russischen Staatsvermögens zur Unterstützung der Ukraine. Das sagte Merz...
... zu Sicherheitsgarantien und US-Unterstützung
Der Kanzler hob hervor, dass man durch die Gespräche "einen deutlichen Schritt weitergekommen" sei - insbesondere hinsichtlich der Bereitschaft der USA, gemeinsam mit den Europäern Sicherheitsgarantien für die Ukraine nach einem Waffenstillstand zu geben.
"Wir haben sogar über Artikel-5-ähnliche Sicherheitsgarantien gesprochen", sagte Merz mit Blick auf die Beistands-Vereinbarung im Nato-Vertrag, die im Artikel 5 geregelt ist.
Dass die Amerikaner eine solche Zusage gegeben haben, also die Ukraine für den Fall eines Waffenstillstandes so zu schützen, als ob sie Nato-Territorium wäre, das finde ich ist eine beachtliche neue Position der Vereinigten Staaten von Amerika.
Bundeskanzler Friedrich Merz
Nach den Beratungen in Berlin sehen viele den Ball nun bei Moskau. Russland lehnt eine Weihnachts-Waffenruhe ab und betont, den Krieg nur zu eigenen Bedingungen beenden zu wollen.
16.12.2025 | 1:33 minIm Rahmen dieser Zusagen könne man "zum Beispiel eine entmilitarisierte Zone zwischen den Kriegsparteien absichern", so Merz. "Und sehr konkret: Wir würden auch entsprechende russische Übergriffe und Angriffe erwidern". So weit sei man jedoch noch nicht.
Auf den Einwand, dass der russische Präsident Wladimir Putin einen Einsatz ausländischer Truppen in der Ukraine ablehne, sagte Merz: "Putin hat zu vielem Njet gesagt, er wird irgendwann auch mal Ja sagen müssen, wenn es darum geht, diesen Krieg zu beenden. Das ist die Zeit nach dem Ende dieses Krieges, über die wir jetzt gerade sprechen, und für diese Zeit danach braucht die Ukraine Schutz."
... zu Gebietsabtretungen der Ukraine
Zur heiklen Frage des Gebietsverzichts äußerte sich Kanzler Merz differenziert. Er stellte fest, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj bereit sei, die jetzige sogenannte "Kontaktlinie" - wie Merz den Frontverlauf bezeichnete - als Grundlage für einen Waffenstillstand zu akzeptieren. Damit würde die Ukraine de facto anerkennen, dass das Territorium zunächst russisch besetzt sei.
Eine juristische Anerkennung der Gebietsabtretungen stünde jedoch im Widerspruch zur ukrainischen Verfassung. Merz betonte nachdrücklich, die Entscheidung über territoriale Fragen müsse die Ukraine selbst treffen.
Wir können und wir werden nicht über die Köpfe der Ukraine hinweg über territoriale Fragen dieses Landes entscheiden.
Bundeskanzler Friedrich Merz
Nach den Gesprächen über ein Ende des Ukraine-Kriegs in Berlin gibt es so viel Bewegung wie nie zuvor. Doch zentrale Fragen bleiben, etwa zur Absicherung eines Waffenstillstands.
16.12.2025 | 1:41 minDie Ukraine verlange die genannten Sicherheitsgarantien richtigerweise für den Fall, dass sie auf Territorium verzichten müsse, um nicht die Fehler des Minsker Abkommens von 2014 zu wiederholen. "Damals hat man Russland vertraut." Was daraus geworden sei, sehe man spätestens seit 2022, so Merz.
... zur Nutzung eingefrorenen russischen Staatsvermögens
Ein entscheidendes Druckmittel gegenüber Russland ist die Nutzung des eingefrorenen russischen Staatsvermögens. Der erste Teilplan, die dauerhafte sogenannte "Immobilisierung" des Vermögens in Europa, sei bereits beschlossen, sodass Russland vor Kriegsende nicht mehr darauf zugreifen könne, erklärte Merz. Die Zinserträge würden der Ukraine zur Verfügung gestellt.
Nun müsse der zweite Teilplan umgesetzt werden, der die Nutzung dieser Mittel zur dauerhaften Unterstützung der Ukraine ermögliche, beispielsweise durch ein abgesichertes Darlehen.
In Kiew gibt es gemischte Reaktionen auf die Gespräche in Berlin über eine Waffenruhe in der Ukraine. „Die Territorialfrage ist der große Knackpunkt“, so ZDF-Reporter Timm Kröger.
16.12.2025 | 2:09 minMerz räumte ein, dass die juristischen Bedenken zwar ausgeräumt werden könnten, die politischen Bedenken aber bestehen blieben und gemeinsam überwunden werden müssten. Er zeigte Verständnis für die Vorbehalte, insbesondere die der belgischen Regierung, sagte aber auch, man müsse jetzt handeln, um den Druck zu erhöhen.
Wenn wir jetzt nicht springen und jetzt nicht die Entscheidung treffen, die wir treffen könnten, um diesem Vormarsch der russischen Armee Einhalt zu gebieten, wann denn dann?
Bundeskanzler Friedrich Merz
Die Chancen, dass dazu eine politische Entscheidung getroffen werde, schätzte Merz vorsichtig ein: "Fifty-fifty, dass wir das hinbekommen."
Was bei den Ukraine-Verhandlungen heute erreicht wurde, berichten die ZDF-Korrespondenten Wulf Schmiese aus Berlin, Armin Coerper aus Moskau und Claudia Bates aus Washington.
15.12.2025 | 4:43 min…zur strategischen Neuausrichtung Washingtons
Die neue strategische Haltung der USA gegenüber Europa beurteilte Merz als eine Zäsur, die Konsequenzen auch für Deutschland erfordere. Schon die Rede von US-Vizepräsident Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar habe ihn entscheidend dazu bewogen, die notwendige "Kurskorrektur" beim Sondervermögen und der Bundeswehr vorzunehmen - "weil wir reagieren mussten".
Merz erklärte, er versuche jedoch die Amerikaner davon zu überzeugen, dass auch sie Partner in der Welt brauchen.
'America First' ist schön und gut. Aber 'America Alone' wäre auch für Amerika nicht gut.
Bundeskanzler Friedrich Merz
Man müsse sich nur die US-Wirtschaftsdaten ansehen - Merz könne sich vorstellen, "dass die Amerikaner irgendwann doch auf uns zukommen und sagen, 'wollen wir nicht mal wieder über ein paar Themen miteinander sprechen, die uns beiden nutzen'".
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