Trump und Putin: Welche "Schocks" Europa Sorge bereiten sollten
Interview
Historiker über Trump und Putin:Vor diesen drei Herausforderungen steht Europa
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Putins Angriff auf die Ukraine hat Europas Sicherheitslage drastisch verändert - nun wenden sich die USA unter Trump von Europa ab. Experte Ash ordnet die politische Situation ein.
Es sei eine Welt der Großmachtpolitik, sagt Historiker Timothy Garton Ash. Europas Problem: Putin sei ein berechenbarer Feind, die USA mit Trump aber ein unberechenbarer Partner.30.04.2025 | 10:25 min
Durch den Amtsantritt von US-Präsident Donald Trump hat sich die weltpolitische Lage drastisch verändert. Vor allem die Ukraine muss sich im Verteidigungskampf gegen Russland an die neuen Verhältnisse anpassen - Europa sucht nach seiner Rolle.
Der bekannte Historiker Timothy Garton Ash spricht bei ZDFheute live über "Schocks", die die westliche Welt ereilt haben, wie sich Europa verhalten sollte und welche Bündnisse die Welt momentan bestimmen.
Sehen Sie oben das ganze Interview im Video und lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Timothy Garton Ash ...
... über die großen Entwicklungen, die Europa Sorge bereiten sollten
Europa stehe an einem sehr schwierigen Punkt, eine neue Periode in der europäischen Geschichte habe angefangen, erklärt Ash. Mehrere Entwicklungen müssten Sorgen bereiten - als Ausgangspunkt macht er den Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine aus und spricht von einem "Putin-Schock". Man müsse erkennen, dass "wir in einer post-westlichen Welt leben".
China, Indien, die Türkei, Brasilien, Südafrika - alle diese Groß- und Mittelmächte der Welt sind durchaus zufrieden, weiter ganz normale Beziehungen mit Russland zu erhalten.
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Timothy Garton Ash, Historiker
Diese Staaten würden auch am 9. Mai auf dem Roten Platz in Moskau erwartet werden - an diesem Datum feiert Russland traditionell den Sieg über Nazi-Deutschland im Zweiten Weltkrieg.
Nun sei zusätzlich ein "Trump-Schock" eingetreten, wodurch es das Verständnis des Westens, das seit etwa 80 Jahren vorgeherrscht habe, nicht mehr gebe. Die Frage sei, wie das neue Europa aussehen werde.
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... zur kritischen Lage der Ukraine und Europas
Im Moment bestehen - laut Ash - mindestens drei große Herausforderungen. Europa müsse ...
... dafür sorgen, dass die Ukraine den Krieg "nicht auf schmerzliche Weise verliert".
... sich selbst verteidigen können - zur Not auch ohne die Vereinigten Staaten von Amerika.
... nationalistisch-populistische Kräfte, die es innerhalb Europas gebe, effektiv und gleichzeitig bekämpfen.
Es ist wirklich eine kritische Stunde für Europa.
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Timothy Garton Ash, Historiker
Ash sieht keine Chancen auf einen gerechten Frieden für die Ukraine, der den Rückerhalt des gesamten ursprünglichen Territoriums inklusive der Krim sowie die Anklage Putins in Den Haag und Wiedergutmachung durch Russland beinhalten müsse. Ob es grundsätzlich einen dauerhaften Frieden gebe könne, hänge davon ab, ob sich die Ukraine selbst verteidigen und wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch wiederaufbauen könne.
Zwar sei man dabei bei einigen Aspekten wie den nachrichtendienstlichen Erkenntnissen und dem Patriot-Raketensystem von den USA abhängig, doch "alles andere" könne Europa bereitstellen - "wenn wir den politischen Willen dazu haben, wenn unsere Wähler dazu wirklich entschlossen sind".
Da spielt natürlich Deutschland eine absolut zentrale Rolle.
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Timothy Garton Ash, Historiker
... zu Deutschlands Rolle und neuen politischen Bündnissen in der Welt
Deutschland habe bereits durch die Reform der Schuldenbremse bei den Verteidigungsausgaben einen entscheidenden Schritt gemacht. Das Land übernehme dadurch eine Führungsrolle - nun komme es darauf an, eine Führungsgruppe aus den bedeutendsten europäischen Staaten zu bilden, erklärt Ash. Zu dieser könnten, wie es bereits der designierte Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) erklärt habe, auch Frankreich, Polen und Großbritannien gehören.
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Innerhalb der Europäischen Union gebe es dagegen momentan bremsende Akteure: Ungarn unter Orban und die Slowakei mit Regierungschef Fico würden blockieren, "sie stehen praktisch effektiv auf Russlands Seite, nicht auf der Seite der Ukraine oder Europas", sagt Timothy Garton Ash.
Aus Sicht des Historikers gibt es zudem eine Achse aus China, Russland, zu der man auch Iran und Nordkorea hinzuzählen könnte. "Alle unterstützen auf die eine oder andere Weise Wladimir Putin in seinem Krieg." Trump dagegen wolle überhaupt keine Bündnisse mehr - weder mit Europa noch mit Russland - ihm gehe es allein um "America first".
Unser Problem ist als Europa: Wir haben einen berechenbaren Feind in Wladimir Putin, einen berechenbaren Konkurrenten (...) im Falle Chinas, aber nicht mehr einen berechenbaren Bundespartner in der Vereinigten Staaten.
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Timothy Garton Ash, Historiker
... über Einschnitte, die auf die Europäer zukommen könnte
Während Trump für die Amerikaner eine Gefahr bedeute, sei der US-Präsident für Europa zwar auch eine Bedrohung, aber auch eine große Chance - diese müsse man in der aktuellen Krisenlage nutzen. Das funktioniere nicht allein dadurch, dass man die EU stärke, dennoch brauche es "unter dem Strich" mehr Europa.
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Die große Frage sei: "Sind Sie, die Deutschen, sind wir, die Briten, sind die Franzosen, sind die Polen, sind die Italiener dazu bereit? Denn dazu bereit sein heißt auch, Opfer zu bringen in unserem eigenen Leben", so der britische Historiker. Das könnten beispielsweise finanzielle Veränderungen wie mehr Steuern oder Kürzungen auf anderen Gebieten sein, anders werde es nicht gehen, erklärt Ash.
Alle großen Worte sind sehr schön, von der Verteidigung der Ukraine, der Demokratie, der Freiheit, Selbstbehauptung Europas, aber es müssen diesen konkrete Taten folgen.
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Timothy Garton Ash, Historiker
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.