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Analyse
Kurs des US-Präsidenten:100 Tage Trump - Angriff auf Europa
von Julia Rech und Ulf Röller, Brüssel
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Trump hat in den ersten 100 Amtstagen die Nachkriegsordnung auf den Kopf gestellt und droht, Europa im Stich zu lassen - ein Albtraum für die EU. In Brüssel sind sie schockiert.
Im 12. Stock der EU-Kommission sind sie nervös. Dort hat die EU-Außenbeauftragte Kaja Kallas ihr Büro. Es ist der 2. Dezember, ihr erster Arbeitstag. Noch ist alles neu. "Ich werde Bilder von meiner Familie hinstellen, damit es gemütlich ist", sagt sie. Kallas ist Regierungschefin in Estland gewesen. Ihr Land, einen Atemzug von Moskau entfernt. Sie hat als Kind russische Besatzung erlebt.
Amerika war immer der große, starke Bruder. Fünf Monate lang begleiten wir Kaja Kallas, fünf Monate, in denen der Zweifel wächst, dass Amerika noch der große beschützende Bruder sein will. Trumps Rede zum Amtsantritt bestätigt dies. Der neue Präsident spricht von einem goldenen Zeitalter Amerikas. Kallas ängstigt die Nabelschau der Weltmacht.
Amerika interessiert sich nicht mehr für Europa.
Kaja Kallas, EU-Außenbeauftragte
Juncker: US-Präsident Trump hat "Sympathie" für Autokraten
Im achten Stock der Kommission sitzt Jean-Claude Juncker und macht sich keine Illusionen über Donald Trump. Er hat ihn mehrfach getroffen. In der ersten Amtszeit des US-Präsidenten war Juncker EU-Kommissionspräsident. Damals wie heute ging es um Zölle, um Sicherheit und Trumps Wut auf Europa. Er bezeichnet sich als Trump-Kenner. Die ersten 100 Tage seien der Beweis, der US-Präsident wolle die Weltordnung durch eine neue Trump-Ordnung ersetzen.
Die Trump-Weltordnung stellt die Nachkriegsordnung auf den Kopf. Feinde werden zu Freunden, Aggressoren zu Partnern und Opfer zu Schuldigen. Es geht um das Verhältnis Putin-Trump. Putin fasziniert Trump. Starke Männer unter sich.
Der US-Präsident beneidet die Machtfülle des russischen Despoten. Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Juncker konnte dies immer wieder aus nächster Nähe erleben. Juncker analysiert:
Ich glaube, Trump hat eine spontane Sympathie, wenn nicht sogar Bewunderung für Autokraten, die ohne Bremse ihr Wirken entfalten können.
Jean-Claude Juncker, ehemaliger EU-Kommissionspräsident
EU-Außenbeauftragte: Eklat zwischen Trump und Selenskyj "schmerzhaft"
Der ukrainische Präsident bekommt dagegen immer wieder Trumps Verachtung zu spüren. Höhepunkt: das Treffen im Weißen Haus Ende Februar. Es kommt zum Eklat. Trump und sein Vizepräsident J.D. Vance beschimpfen Selenskyj als Kriegstreiber, als undankbar, der verantwortlich sei für die Lage. Mit keinem Wort erwähnen sie Putins Angriff. Kallas, später nach der Szene im Interview befragt, schweigt erst einmal, bevor sie antworten kann.
"Es war sehr schmerzhaft, das zu sehen, das ist ganz klar", so Kallas. "Denn für uns gibt es einen Angreifer und ein Opfer. Und plötzlich wurde das Opfer beschuldigt, und zwar auf eine sehr harte Art und Weise."
Trump lässt Ukraine fallen - Europa will aufrüsten
Nach diesem Eklat ist Europa zunehmend klar: Trump lässt die Ukraine fallen. Es kommt zur Koalition der Willigen, die die Ukraine unterstützen wollen. Aber ohne Amerika können sie das nicht. Sowie Europa Amerika braucht, um sich selbst zu schützen. Aber auch diese Gewissheit stellt Trump in den ersten 100 Tagen immer wieder infrage.
Deshalb schnürt die EU ein 800-Milliarden-Paket für Verteidigung, in der Hoffnung, dass auch alle Mitgliedstaaten mitziehen. Kallas wirbt besonders laut für die Wiederbewaffnung Europas, weil sie die Zweifel der Südeuropäer gegen die Aufrüstung kennt.
"Spanien liegt nicht sehr nah an Russland. Es liegen Berge dazwischen, obwohl ich sagen muss, dass durch die technologische Entwicklung, sie die Berge nicht vor den Raketen schützen werden, die vom Himmel fallen", sagt Kallas.
100 Tage Trump sind 100 Chaostage: Die Zukunft der Ukraine ist ungewiss, es droht ein Handelskrieg und Europa ist allein. Kallas steht am Fenster ihres Büros, schaut auf das EU-Regierungsviertel. Dann sagt sie: "Wir müssen cool bleiben."
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