Israel: Immer mehr Reservisten verweigern Kriegsdienst

Mehr Reservisten verweigern:Wie sich Israels Mütter vor ihre Söhne stellen

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Immer mehr israelische Reservisten verweigern den Kriegsdienst - und auch der Protest der Mütter wächst. Der Krieg habe Israels Gesellschaft "zerstört." Betroffene berichten.

Mütter israelischer Soldaten, die im Gazastreifen kämpfen, protestieren (Mai 2024).  Sie haben rote Farbe am Körper, die Blut darstellen soll.

Die Einberufung von 60.000 Reservisten ist die größte seit Monaten. Viele Mütter wehren sich gegen die Einberufung ihrer Söhne (Archivbild).

Quelle: Imago

Die israelische Armee beruft Zehntausende Reservisten für den Großangriff auf Gaza-Stadt ein. Doch immer mehr Soldaten - und Mütter - sagen Nein. Eine offizielle Statistik zu den Verweigerungen liegt nicht vor. Doch es gibt ein paar neue Gruppen, die mit ihrem Widerstand an die Öffentlichkeit gehen.

Es ist ein neues Phänomen in dem seit fast zwei Jahren andauernden Krieg, der durch den Angriff der militant-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 ausgelöst wurde. Auf die militärischen Operationen wirken sich die Verweigerungen bisher offenbar nicht aus.

Eine Demonstration gegen das Israelische Vorgehen im Gazastreifen. Die Menschen halten Fotos von hungernden Kindern hoch. Außerdem haben sie Plakate mit der Aufschrift "Genocide" in der Hand.

Während Israels Premier Netanjahu plant, in Gaza weiter vorzurücken, demonstriert die Bewegung "Standing Together" an der Grenze zu Gaza gegen das israelische Vorgehen.

18.08.2025 | 1:28 min

Massenproteste gegen Netanjahu

Gleichzeitig kommt es in Israel auch zu Massenprotesten gegen Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Die Demonstrierenden werfen ihm vor, den Krieg aus politischen Gründen in die Länge zu ziehen, anstatt mit der Hamas ein Abkommen zur Rückkehr der verbliebenen 48 Geiseln zu schließen, von denen vermutlich noch 20 am Leben sind.

Viele Gegner, unter ihnen ranghohe frühere Sicherheitsbeamte, befürchten, dass die Offensive in Gaza wenig Erfolg haben und die Geiseln in Gefahr bringen wird. Wegen der durch den Krieg und die israelische Blockade ausgelösten humanitären Katastrophe steht Israel auch international stark unter Druck.

Soldaten ausgelaugt und zermürbt

Eine Gruppe, die ein Ende der Einberufungen in den Gaza-Krieg fordert, besteht aus Müttern, die den sinnlosen Tod ihrer Söhne befürchten. Nurit Felsenthal-Berger erzählt über ihren jüngsten Sohn, während sie sich Tränen von den Wangen wischt.

Ich konnte den Gedanken nicht loslassen, ihm ein Bein oder einen Arm zu brechen oder ihn auf andere Weise zu verletzen, so dass er nicht zurückgehen kann.

Nurit Felsenthal-Berger

Kameraden seien ausgelaugt, zermürbt und wüssten nicht mehr, wofür sie kämpfen sollten, sagt der 28-jährige Soldat und Sanitäter Awschalom Sohar Sal, der schon mehrfach im Gazastreifen im Einsatz war. Ihm seien im vergangenen Jahr erstmals Zweifel gekommen, als in einem seiner früheren Einsatzgebiete sechs Geiseln von ihren Entführern getötet worden seien, als sich israelische Truppen näherten, sagt er:

Ich hatte das Gefühl, es war meine Schuld.

Awschalom Sohar Sal, Soldat und Sanitäter

SGS Jung Barnick

Das Vorrücken der israelischen Armee auf Gaza-Stadt könnte sich noch "über Monate hinziehen", so ZDF-Reporterin Alica Jung. Dem Militär fehle es an vielen Soldaten.

11.08.2025 | 2:16 min

Verweigerern drohen Gefängnisstrafen

Seine Skepsis wuchs während seiner jüngsten Stationierung im Juni. Sal sah nach eigenen Worten, wie Truppen in die gleichen Gebiete zurückkehrten, in denen er auch schon gekämpft hatte. Einige der Soldaten hätten weniger fokussiert und damit anfälliger für Angriffe gewirkt. "Bringt mich nicht in eine Situation, in der ich entscheiden muss, ob ich noch einmal Leben riskiere", sagt er an die Adresse der Militärführung.

Eine unter dem Namen "Soldaten für die Geiseln" bekannte Bewegung vertritt nach eigenen Angaben mehr als 360 Kriegsdienstverweigerer. Die Zahl ist zwar noch relativ gering, steht aber im Kontrast zu den ersten Kriegstagen, in denen sich zahlreiche Reservisten nach dem 7. Oktober zum Dienst gemeldet hatten. Verweigerern drohen Gefängnisstrafen, die allerdings nur in einer Handvoll von Fällen tatsächlich verhängt wurden. Max Kresch von "Soldaten für die Geiseln" erklärt:

Netanjahus andauernder Aggressionskrieg bringt unsere Geiseln unnötig in Gefahr und hat das israelische Gesellschaftsgefüge zerstört, während gleichzeitig (im Gazastreifen) eine ganze Bevölkerung getötet, verstümmelt und ausgehungert wird.

Max Kresch von "Soldaten für die Geiseln"

TEL AVIV, ISRAEL - AUGUST 26: Israeli protesters hold banners and block the road during the demonstration demanding an agreement for the release of Israeli hostages in Gaza on August 26, 2025 in Tel Aviv, Israel.

In Israel protestieren weiter Menschen im ganzen Land und fordern ein Ende des Gaza-Krieges. Auch international wächst der Druck auf Ministerpräsident Netanjahu.

26.08.2025 | 1:51 min

Mehr als 450 israelische Soldaten getötet

Eine andere Gruppe, die auch durch ihren Slogan "Save Our Souls" (SOS) bekannt wurde, vertritt nach eigenen Angaben fast 1.000 Mütter von Soldaten. "Wir müssen ihre Stimme sein", sagt Felsenthal-Berger, deren zwei Söhne im Gazastreifen kämpften. Die Vereinigung hielt landesweit Protestaktionen ab, traf mit Regierungsvertretern zusammen und veröffentlichte Briefe.

Ihr 22-jähriger Sohn, der neun Monate im Gazastreifen gekämpft habe, habe ihr erzählt, dass sich die Soldaten dort wie ein leichtes Ziel für ihre Gegner gefühlt hätten, sagt Jifat Gadot. Seit Beginn der Bodenoffensive 2023 wurden laut Armeeangaben mehr als 450 israelische Soldaten getötet.

Ich habe ihm gesagt, dass wir als Mütter alles in unserer Macht Stehende tun werden, um sie aus dem Gazastreifen herauszubringen und vor diesem politischen Krieg zu retten.

Nurit Felsenthal-Berger

Die Einberufung von 60.000 Reservisten ist die größte seit Monaten in dem Land mit weniger als zehn Millionen Einwohnern, wo der Militärdienst für die meisten verpflichtend ist. Viele haben bereits mehrere Einsätze geleistet. Dass ultra-orthodoxe Männer keinen Wehrdienst leisten müssen, sorgt bei der breiten Allgemeinheit zunehmend für Unmut.

Die anfängliche Unterstützung für den Krieg insgesamt hat nachgelassen, vor allem seit Israel im März eine Waffenruhe gebrochen hatte, während der Geiseln freigelassen worden waren. Seit Kriegsbeginn wurden nach Angaben des Gesundheitsministeriums im Gazastreifen mehr als 64.000 Palästinenserinnen und Palästinenser getötet.

Doch die Verweigerung des Kriegsdienstes bleibt für viele in Israel eine rote Linie. "Das Militär und der Militärdienst sind immer noch sakrosankt", sagt Mairaw Sonssein von der Nichtregierungsorganisation International Crisis Group.

Quelle: AP


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