Major: Haben Putins Provokationen "nicht wahrhaben wollen"

Interview

Sicherheitsexpertin Claudia Major:Haben Putins Provokationen "nicht wahrhaben wollen"

|

In jüngster Zeit haben mehrere Nato-Länder das Eindringen von Drohnen oder Militärflugzeugen in ihren Luftraum gemeldet. Was Europa nun tun sollte, erklärt Expertin Major.

Ein russischer Soldat lässt eine Drohne starten.

Cyberangriffe, Propaganda, Drohnensichtungen: Laut Expertin Major nutzt Russland derartige Mittel, um gezielt Unsicherheit zu stiften. (Symbolbild)

Quelle: action press

"Viele in Deutschland denken noch binär: entweder Krieg oder Frieden", sagt Claudia Major, Senior Vice President beim German Marshall Fund, im Gespräch mit ZDFheute. Die "Grauzone zwischen Krieg und Frieden", in der Russland mit Drohnen, Cyberangriffen und Propaganda gezielt Unsicherheit stifte, werde unterschätzt, kritisiert sie gegenüber ZDFheute.

Major ist am Abend Gast in der ZDF-Sendung maybrit illner: "Zwischen Krieg und Frieden - was bringt Europa Sicherheit?"

ZDFheute: Der Kanzler sagt: "Wir sind nicht im Krieg, aber wir sind auch nicht mehr im Frieden". Welche Herausforderungen müssen sich daraus für Deutschland und Europa ergeben?

Claudia Major: Viele in Deutschland sind noch in dem binären Denken verhaftet: Entweder es ist Krieg oder es ist Frieden. Dieses Verständnis verhindert, dass wir die große Grauzone zwischen Krieg und Frieden wahrnehmen. Ich nenne sie Konflikt. Hier geht es um Aktionen, bei denen Gewalt angewendet wird, die aber keinen klaren militärischen Charakter hat, und es ist oft unklar, wer dahintersteht. Das macht es so schwer für Regierungen und Gesellschaften, diese Gewalt anzuerkennen - und darauf zu reagieren.

Mehrere Drohnen im Himmel

Russland bedroht Europa, Nato und EU reagieren mit mehr Soldaten, Luftraumüberwachung und Plänen für einen Drohnenschutzwall. Doch wie gut ist Europa vorbereitet?

01.10.2025 | 6:56 min

ZDFheute: Was sind solche Aktionen?

Major: Das sind Drohnen-Überflüge, aber auch die Beschädigung von Untersee-Kabeln, Cyberangriffe auf Unternehmen, Ministerien und auf den Bundestag, und Propaganda. Wir wissen oft nicht, wer dahintersteht, und das erschwert die Reaktion der Bundesregierung, von EU und Nato.

Politikwissenschaftlerin Claudia Major
Quelle: ZDF

... ist seit dem 15. März 2025 Senior Vice President für internationale Sicherheits- und Verteidigungspolitik beim German Marshall Fund. Der German Marshall Fund of the United States (GMF) ist eine 1972 gegründete gemeinnützige Organisation, die die transatlantische Zusammenarbeit in Bereichen wie Sicherheit, Wirtschaft und Demokratie fördert.

Major ist Verteidigungsexpertin mit Schwerpunkt auf Nato, europäischer Sicherheit und transatlantischen Beziehungen. Zuvor war sie Leiterin der Abteilung Internationale Sicherheit bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) sowie tätig bei Institutionen wie dem Zentrum für Sicherheitsstudien der ETH Zürich und dem EUISS.


ZDFheute: Was ist das Ziel dieser Aktionen?

Major: Es scheint der Versuch zu sein, das Vertrauen der Gesellschaft in das Funktionieren der demokratischen Staaten zu unterminieren, Entscheidungen zu formen, etwa die Unterstützung für die Ukraine zu schwächen, oder Narrative zu setzen und damit Debatten zu beeinflussen.

ZDFheute: Warum nehmen diese Provokationen jetzt zu?

Major: Wladimir Putin macht das schon sehr lang so, wir haben es bloß nicht wahrhaben wollen.

Der russische Präsident scheint gerade zu testen, ob Europa und die Nato politisch zusammenstehen und im militärischen Bereich, wie handlungsfähig sie sind.

Claudia Major, Sicherheitsexpertin

Was neu für uns Europäer ist, ist, dass wir mit diesen Dingen auf lange Sicht mit weniger Unterstützung der USA zurechtkommen müssen.

Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU, l) kommt zum Abendessen am Schloss Amalienborg im Rahmen des informellen Treffens der EU-Staats- und Regierungschefs an und wartet mit anderen Gästen auf seine Begrüßung.

Beim informellen EU-Gipfel in Kopenhagen ist eine bessere Drohnenabwehr das zentrale Thema. Der ukrainische Präsident Selenskyi berichtet über Erfahrungen seiner Streitkräfte.

02.10.2025 | 1:49 min

Die Sendung "maybrit illner" mit dem Thema "Zwischen Krieg und Frieden - was bringt Europa Sicherheit?" sehen Sie diesen Donnerstag, 2. Oktober 2025, um 22:20 Uhr im ZDF live im TV und auf der ZDF-Streamingplattform, auch auf Abruf.

Es diskutieren: Manfred Weber (CSU), Fraktions- und Parteivorsitzender der Europäischen Volkspartei (EVP), Jan van Aken (Die Linke), Parteivorsitzender und Mitglied im Auswärtigen Ausschuss im Bundestag, Claudia Major, Senior Vice President für Transatlantische Sicherheitsinitiativen German Marshall Fund of the United States (GMF), Peter R. Neumann, Politikwissenschaftler, King’s College London und Katrin Eigendorf, internationale Sonderkorrespondentin des ZDF.


ZDFheute: Misstrauen Sie den jüngsten Bekenntnissen Donald Trumps zur Nato und zur Unterstützung der Ukraine?

Major: Das Hin und Her von US-Präsident Trump, der mal Russland kritisiert, mal dessen Positionen übernimmt, zeigt den Europäern, wie wenig belastbar US-Aussagen derzeit sind.

Die Herausforderung für die Europäer ist, die europäische Verteidigung auszubauen, ohne den USA den Eindruck zu vermitteln, man bräuchte sie nicht mehr und so einen Ausstieg der USA zu provozieren.

Claudia Major, Sicherheitsexpertin

NATO-Soldaten springen bei einer Übung mit Fallschirmen ab

Der Ukraine-Krieg zeigt die Spannungen im westlichen Militärbündnis. Die USA verschieben die Aufmerksamkeit in den Indo-Pazifik und fordern von Europa mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit.

19.06.2025 | 44:32 min

ZDFheute: Was muss passieren, damit Europa und die Nato die russischen Tests bestehen?

Major: Die zentrale Frage ist: Was hält Russland von solchen Aktivitäten ab? Dazu braucht es eine politische, wirtschaftliche und militärische Antwort.

ZDFheute: Wie könnte das funktionieren?

Major: Sicherheitspolitisch müssen die Verbündeten Russland vermitteln, dass die Nato-Abschreckung funktioniert, die Europäer geschlossen sind und sie auf russische Inkursionen hart reagieren.

ZDFheute: Und ohne die USA?

Major: Langfristig, für Europas Verteidigung mit weniger US-Beteiligung, müssen die Europäer vier Bereiche neu denken, das sind die politische Führung, Fähigkeiten, Konzepte und Kommandostrukturen; nukleare Abschreckung, Rüstung und Beschaffung.

Bildmontage: Unbemannte Drohne (rechts); zerstörte Stadt in der Ukraine (links)

Russland greift die Ukraine zunehmend mit Drohnen an - gebaut mit westlicher Technik und Mikrochips. An der Front sichergestellte Drohnenteile zeigen: Trotz Sanktionen floriert der Schattenmarkt.

20.08.2025 | 13:02 min

ZDFheute: Könnte sich Europa ohne die USA verteidigen oder einen Waffenstillstand in der Ukraine absichern?

Major: Momentan sind die USA zwar politisch disruptiv. Aber militärisch gibt es tatsächlich noch keine großen Veränderungen.

Die Europäer würden sich auch mit geringerer US-Unterstützung verteidigen, aber es wäre eine andere, schlechtere Verteidigung, weil Schlüsselfähigkeiten fehlen.

Claudia Major, Sicherheitsexpertin

Das Gleiche gilt mit Blick auf die Absicherung eines möglichen Waffenstillstandes in der Ukraine. Die Europäer wollen - aber sie können nur bedingt.

Dieses Luftbild, das am 1. Oktober 2025 vor der westfranzösischen Hafenstadt Saint-Nazaire aufgenommen wurde, zeigt französische Soldaten an Bord des Tankers der so genannten «Schattenflotte» Russlands.

Europa rüstet sich gegen die Bedrohung aus Russland. Neben einer gemeinsamen Drohnenabwehr geht Frankreich nun auch verstärkt gegen die russische Schattenflotte vor.

02.10.2025 | 1:54 min

ZDFheute: Ein Traumszenario wäre, wenn die Europäer den Übergang von einer US-geführten zu einer europäisch geführten Verteidigung kooperativ über die kommenden Jahre mit den USA organisieren könnten, auch wenn es den Europäern viel abverlangen wird.

Major: Genau. Das wäre der beste Weg - aber auch der schwierigste.

Das Interview führte Berit Suhr aus der "maybrit illner"-Redaktion.

Verteidigung, Europa und die Nato

  1. Bundeskanzler Friedrich Merz am 26.09.2025 in Berlin

    Angesichts russischer Bedrohung:Merz: "Wir sind nicht mehr im Frieden"

    mit Video

  2. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) spricht am 29.09.2025 in Rukla, Litauen, bei der Eröffnung der Permanent Logistics Support Area zur Unterstützung der NATO-eFP-Truppe.
    Interview

    Verteidigungsfähigkeit der Nato:Pistorius zu Drohnenabwehr: "Wir hinken alle hinterher"

    mit Video

  3.  Dieses vom Pressedienst des russischen Verteidigungsministeriums zur Verfügung gestellte Foto zeigt Drohnen am Himmel während des Besuchs des russischen Verteidigungsministers Schoigu.
    Interview

  4. Bild eines russischen Abfangjäger vom Typ Mikojan MiG-31BM.

    Erklärung aller Bündnisstaaten:Nato warnt Russland vor Luftraumverletzungen

    mit Video

  5. EU-Flagge und ukrainische Flagge vor EU-Kommission
    Interview

  6. Rüdiger Bachmann
    Interview

    Trump, Putin und Europas Rolle:Bachmann: Nicht mehr auf Amerikaner warten

    mit Video

  7. Ukraine-Krieg - Polen
    FAQ

    Wie die Nato jetzt reagiert:Drohnenabwehr: Schwachpunkt an Ostgrenze

    mit Video

  8. Flagge der EU im Vordergrund, im Hintergrund die Flagge der Ukraine an einer Gebäudefassade
    FAQ

    EU-Ministertreffen in Kopenhagen:Könnte Europa Frieden in der Ukraine sichern?

    Isabelle Schaefers, Kopenhagen
    mit Video