Gefahr am Himmel:Wie wehrhaft ist Deutschland gegen Drohnen?
Unbekannte Drohnen über Bundeswehr-Standorten und kritischer Infrastruktur - Expertin Ulrike Franke warnt: Deutschland ist schlecht vorbereitet - und unterschätzt die Bedrohung.
Mit mehreren Drohnen haben Unbekannte den Flugverkehr an einem der wichtigsten Flughäfen Nordeuropas stundenlang lahmgelegt. Die dänische Regierung wertet den Vorfall als Angriff.
23.09.2025 | 3:06 minImmer wieder tauchen unbekannte Drohnen über deutschen Städten, Kraftwerken oder sogar Bundeswehr-Standorten auf - zuletzt auch über der Ostsee und an strategisch wichtigen Orten im Landesinneren. Oft verschwinden sie wieder, ohne dass klar ist, wer dahintersteckt. Doch die Indizien sprechen für gezielte russische Aufklärung.
Sicherheitsexpertin Ulrike Franke vom Thinktank "European Council on Foreign Relations" warnt im Gespräch mit ZDFheute: Deutschland ist für diese Form der Bedrohung nicht gerüstet - und unterschätzt die Gefahr massiv.
ZDFheute: Wie gut ist Deutschland aufgestellt mit Blick auf die Detektion und auch die Abwehr von Spionage-Drohnen?
Ulrike Franke: Der Trend ist leider ganz klar: Wir hatten in den letzten Jahren immer mehr Drohnensichtungen über Deutschland. Wir wissen oft gar nicht, wo sie herkommen oder was sie machen. Sie fliegen über kritischer Infrastruktur oder Bundeswehr-Trainingsplätzen. In der Regel wurden sie gesehen, aber nicht abgeschossen - irgendwann waren sie wieder weg.
Deutschland ist darauf nicht vorbereitet. Polizei und teilweise auch die Bundeswehr haben nicht die Möglichkeiten, Drohnen zuverlässig zu detektieren und herunterzubringen - auf eine Art, die im zivilen Umfeld akzeptabel ist.
- Innenminister im ZDF: Dobrindt will Drohnen "vom Himmel holen"
Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) will Drohnen auf verschiedene Arten abwehren - sie vom Kurs abbringen, abfangen oder "vom Himmel holen", also auch abschießen.
23.09.2025 | 0:36 minZDFheute: Wie zuverlässig kann man sagen, dass Russland der Absender ist?
Franke: Das große Problem ist: Die Drohnen sind oftmals weggeflogen, ohne dass man analysieren konnte. Aber viele Indikationen sprechen dagegen, dass es Hobbyflieger sind. Wir sehen häufiger Starrflügler, die nachts fliegen und lange in der Luft bleiben können - Systeme, die keine Privatperson hat. Teilweise wurden sie von Schiffen in der Nord- oder Ostsee gestartet. Das deutet darauf hin, dass es wahrscheinlich russische Drohnen sind oder für Russland fliegende Drohnen.
ZDFheute: Was ist das Ziel - soll kritische Infrastruktur ausgespäht werden?
Franke: Es geht um Informationssammlung. Zum einen sieht die Drohne Dinge, die Satelliten nicht sehen: Wie gut ist etwas bewacht, wann gibt es Wachablösungen? Vor allem aber: Werden diese Drohnen überhaupt entdeckt? Werden sie bekämpft? Wenn ja, wie? Welche Fähigkeiten hat Deutschland? Es geht darum zu schauen, wie reagiert wird.
Nachdem russische Drohnen und Kampfjets mehrmals in den NATO-Luftraum eingedrungen sind, reagiert diese mit einer deutlichen Warnung: Man werde sich mit allen Mitteln verteidigen.
23.09.2025 | 1:46 minZDFheute: Auch sorgen die Überflüge ja für Verunsicherung bei Politik und Bevölkerung.
Franke: Ich gehe davon aus, dass es Teil des Kalküls ist. Man sendet ein Signal: 'Wir können diese Drohnen hier schicken, ohne dass Ihr etwas dagegen tun könnt. Wir könnten sie auch bewaffnen.' Das schürt Unsicherheit, gerade, weil wir nicht wissen: Warum fliegen sie, was können sie, ist das Planung für spätere Sabotageakte oder nur Informationsgewinn? All das wissen wir nicht.
Die Tatsache, dass wir dem nicht Herr werden, schafft zusätzliche Unsicherheit.
Das ist eine Win-Win-Situation für Russland: Man sammelt Informationen und schürt Sorge bei der Bevölkerung. Insofern eine recht clevere Taktik.
ZDFheute: Welche technischen Abwehrmöglichketen hat Deutschland?
Franke: Wir werden nie in der Lage sein, ganz Deutschland unter einen Drohnenschutzschirm zu stellen. Das suggeriert einen perfekten Schutz, den es nicht geben wird. Deutschland ist zu groß. Man kann nicht ganze Städte schützen, nur spezifische Orte: kritische Infrastruktur, Bundeswehrstandorte. Dafür braucht man mehrere Abwehrsysteme. Am Ende eine "layered defense" - elektronische Maßnahmen, Abschussmöglichkeiten, Netzwerfer. Das wäre das Ideal. Da sind wir momentan noch nicht.
ZDFheute: Warum nicht?
Franke: Es ist eine Frage der Verantwortung: Solange es nicht um Bundeswehrstandorte geht, ist die Polizei zuständig - oft auf Länderebene. Einzelne Polizeiorganisationen müssen die Technologien anschaffen. Das macht es schwierig. Es gibt Drohnenabwehrsysteme bei der Polizei und um Infrastruktur herum, aber zu wenige. Man muss auch schnell sein: Wenn eine Drohne entdeckt wird, kann man nicht in der Nachbarstadt anrufen. Wenn das zu lange dauert, ist die Drohne wieder weg.
ZDFheute: Hat Deutschland die Gefahr unterschätzt?
Franke: Meines Erachtens besteht Grund zur Sorge insofern, als dass wir eine Bedrohung haben, für die wir bisher noch keine adäquate Antwort haben. Das ist einfach so. Das liegt auch daran, dass wir uns - wie andere Nato-Staaten - zu wenig damit beschäftigt haben.
Wir kommen aus einer langen Friedenszeit und hatten nicht erwartet, dass über unserem Gebiet eine Bedrohung entsteht.
ZDFheute: Was muss sich ändern?
Franke: Wir befinden uns in einer neuen Bedrohungslage in Deutschland und Europa. Viele Prozesse aus Friedenszeiten müssen geändert werden. Die Verteidigungsindustrie muss aufgebaut werden, und Staat und Militär brauchen eine neue Beziehung zur Industrie.
Wir haben schnelle Innovationszyklen, gerade bei Drohnen und Drohnenabwehr. Man kann einfach nicht mehr sagen, die Bundeswehr kauft von der Industrie System XY, das dauert dann drei, fünf, zehn Jahre, bis man das gebaut hat. Und dann stellt man sich das in den Hof und dann ist es gut. So funktioniert das nicht mehr.
Wir müssen Systeme schnell modifizieren, Innovation zeigen, die Produktion hochskalieren - für den Verteidigungsfall.
Auch Polizei und zivile Sicherheitseinheiten müssen in dieses Mindset kommen: Wir sehen eine internationale, militärische Bedrohung über deutschem Territorium. Und zwar nicht erst in einem Kriegsfall - den wir hoffentlich nie erleben - sondern schon jetzt im Graubereich, im Frieden, aber mit eindringenden russischen Drohnen.
Das Interview führte Ines Trams, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio
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