Russische Truppen rücken vor:Pokrowsk vor dem Fall: Ukraine kann Blatt nicht wenden
von Christian Mölling und András Rácz
Der russische Kessel um Pokrowsk schließt sich, der Gegenangriff der ukrainischen Spezialeinheiten war offenbar nicht erfolgreich. Die ukrainische Führung zögert mit dem Rückzug.
Russische Truppen rücken weiter auf Pokrowsk vor. In der umkämpften Stadt kommt es zu Häuserkämpfen, während tausende Bewohner in das sichere Pawlograd fliehen.
06.11.2025 | 1:37 minDer Kampf um Pokrowsk und Myrnohrad im russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine könnte bald in die Endphase gehen. Russische Truppen konnten weiter in die Stadt vordringen.
Am Mittwoch tauchte ein Video auf, das russische Einheiten, darunter einen Militär-Pickup, in Pokrowsk zeigte, wie sie ukrainische Barrikaden entfernten. Die russischen Soldaten schienen sich keine Sorgen um ukrainischen Beschuss zu machen, sie suchten keine Deckung, sondern arbeiteten ruhig - ein Zeichen dafür, dass die ukrainischen Verteidiger weit zurückgedrängt wurden.
Am Donnerstagabend kontrollierten die Russen bereits etwa 80 Prozent von Pokrowsk: Nur einige Teile im Norden der Stadt könnten noch in ukrainischer Hand sein.
In der ostukrainischen Stadt Pawlohrad werden Menschen, die aus dem Frontgebiet fliehen müssen, humanitär versorgt. Sie berichten von ihren Erlebnissen und ihrer Unsicherheit.
06.11.2025 | 2:38 minRussischer Kessel um Pokrowsk schließt sich
Die Russen haben innerhalb der Stadt eine innovative Taktik angewendet. Ihre infiltrierenden Truppen fanden Unterschlupf in den Ruinen und griffen mit einer Kombination aus Artillerie- und Drohnenangriffen sowie Überfällen und Hinterhalten gezielt ukrainische Drohnentruppen an.
Indem sie viele Drohneneinheiten ausschalteten, zwangen sie die anderen ukrainischen Drohnenteams, aus größerer Entfernung zu arbeiten, sodass ihre Fähigkeit, die Kämpfe ihrer Kameraden der Bodentruppen innerhalb der Stadt zu unterstützen, eingeschränkt wurde.
Diese Taktik, die darauf abzielt, feindliche Drohnenteams durch Hinterhalte zu unterdrücken, um den Vormarsch der Bodentruppen zu unterstützen, funktioniert möglicherweise nur in einer dichten, städtischen Umgebung, in der es möglich ist, sich ihnen zu nähern - aber in Pokrowsk hat sie gut funktioniert.
Noch sei Pokrowsk nicht vollständig eingekreist, sagte Militäranalyst Remmel noch am Donnerstag und räumte gleichzeitig ein: Das sei nur eine Frage der Zeit.
06.11.2025 | 25:58 minUkrainische Spezialkräfte wohl ohne Effekt
Der ukrainische Gegenangriff unter Beteiligung von Eliteeinheiten des Inlandsgeheimdienstes SBU und des Militärnachrichtendienstes HUR konnte offenbar das Blatt nicht wenden. Die Anwesenheit des HUR-Kommandanten Kyrylo Budanow in der Nähe der Front, der seine Truppen persönlich befehligte, war wahrscheinlich eher eine Medien-Inszenierung als echte militärische Führung.
Im Evakuierungszentrum, etwa hundert Kilometer von Pokrowsk, wurden im vergangenen Jahr 36.000 Flüchtlinge durchgeschleust und weiterverteilt, berichtet ZDF-Reporterin Anne Brühl aus der Ukraine.
06.11.2025 | 6:12 minObwohl die genaue taktische Lage schwer einzuschätzen ist, ist klar, dass sich der russische Kessel um Pokrowsk und Myrnohrad schnell schließt. Einige der am besten ausgebildeten Brigaden der Ukraine, wie die 25. mechanisierte Infanteriebrigade und die 37. Marineinfanteriebrigade, befinden sich noch immer tief im Inneren und sind von einer Einkreisung bedroht.
Tatsächlich haben sie höchstwahrscheinlich bereits mit dem Rückzug begonnen, mit oder ohne Befehl des Generalstabs. Auch die Positionen der 155. und 92. Brigade sind bedroht.
Die Autoren:
... ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Bald zu spät für geordneten Rückzug
Während die ukrainische Regierung vor zwei Tagen erklärte, dass sie Pokrowsk so lange wie möglich halten wolle, besteht in Wirklichkeit die Gefahr, dass die ukrainische Militärführung ähnlich wie bei den Kämpfen um Bachmut, Awdijiwka, Wuhledar, die Region Kursk und einige andere Orte den Rückzug anordnet, wenn es für ein ordentlich organisiertes Manöver bereits zu spät ist.
Ein überstürzter, in letzter Minute angeordneter und unorganisierter Rückzug führt immer zu schweren Verlusten an Menschenleben und zum fast vollständigen Verlust der militärischen Ausrüstung, die nicht in geordneter Weise abtransportiert werden kann.
Russische Truppen rücken weiter auf Pokrowsk vor. Die Gefechte zwingen die letzten Bewohner zur Flucht. Hilfsorganisationen versuchen, die Ankommenden in Sicherheit zu bringen.
06.11.2025 | 1:36 minUkraine mit Erfolgen nördlich von Pokrowsk
Unterdessen erzielen die ukrainischen Streitkräfte nördlich von Pokrowsk und Myrnohrad Erfolge. Geolokalisierte Aufnahmen belegen, dass es ihnen gelungen ist, zusätzliche Gebiete bei Wolodymyriwka sowie westlich von Schachowe zurückzuerobern. Das operative Ziel besteht offenbar darin, die Nordseite des russischen Kessels um Myrnohrad abzuschneiden und damit den Druck auf die Truppen in der zerstörten Stadt zu verringern.
Selbst wenn die Stellungen innerhalb der Stadt nicht mehr gehalten werden könnten, wäre zumindest ein geordneter Rückzug möglich. Doch selbst wenn dieses Manöver gelingt, haben die halb umzingelten ukrainischen Truppen bereits schwere Verluste erlitten, die vermeidbar gewesen wären, wenn ein rechtzeitiger Rückzug angeordnet worden wäre.
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Militärische Fehler
Es ist schwer zu verstehen, warum die oberste ukrainische Militärführung immer wieder denselben Fehler begeht, nämlich den Rückzug aus unhaltbaren Stellungen erst dann anzuordnen, wenn es bereits zu spät ist. Ob es sich dabei um eine absolutierte Fixierung auf die Verteidigung jedes Zentimeters des Territoriums handelt oder um die Priorisierung innenpolitischer PR-Interessen, lässt sich derzeit nicht bestimmen.
Unterdessen scheint sich das alte Sprichwort, dass keine Armee sich gegen ihren eigenen Befehlshaber verteidigen kann, wieder einmal zu bewahrheiten.
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