Moskau testet die Nato:Militärexperte: Abschreckung "politisches Problem"
Mit Militärmanövern, Drohnen in Polens Luftraum und Machtrhetorik eskaliert Russland einen hybriden Krieg gegen Europa, sagt Militärexperte Werner. Und fordert zu Abschreckung auf.
Die Ukraine wehrt sich gegen die russischen Angriffe. Welche Strategie Kiew derzeit verfolgt, erklärt Julian Werner von der Universität der Bundeswehr bei ZDFheute live.
18.09.2025 | 28:02 minErst vor wenigen Tagen setzte Moskau mit dem russisch-belarussisch Militärmanöver Sapad erneut ein Zeichen - mit dem Ziel: Macht demonstrieren. Militärexperte Julian Werner hält angesichts der anhaltenden Spannungen eine politische Antwort Europas für dringend nötig. Europa müsse Stärke zeigen, sagt der Ex-Militär und Dozent der Universität der Bundeswehr in München im Interview im ZDFheute live.
Das Manöver habe neben Übung für die eigene Truppe in erster Linie einen Propaganda-Effekt gehabt. Man wolle die Reaktionen des Westens austesten und schauen, wie er reagiere.
Oft hätten Russland und Belarus betont, dass es bei der Militärübung um Verteidigung ginge - gleichzeitig haben sie großes Geschütz aufgefahren, berichtet ZDF-Reporter Klauser.
18.09.2025 | 3:25 minGleiches gilt für Werner auch mit Blick auf die Drohnen, die in der Vergangenheit in den polnischen Luftraum eingedrungen seien. Das Problem: Die Nato habe auf solche Provokationen derzeit keine Antworten. "Aber das ist weniger ein militärisches Problem, als vielmehr ein politisches Problem", sagt Werner und erläutert:
Das Problem ist in erster Linie, dass wir anerkennen müssen, dass Krieg nicht binär ist. Man wacht nicht einfach morgens im Krieg auf, sondern ein solcher Krieg hat immer Eskalationsstufen. Und die Russen wissen das.
Julian Werner, Militärexperte Bundeswehruniversität München
Nicht umsonst spreche man seit Jahren davon, dass ein hybrider Krieg gegen Europa geführt werde: Von Cyber-Attacken über Sabotage bis hin zur Verletzung des Luftraums. "Gleichzeitig müssten wir jetzt eben darüber diskutieren, wo unsere eigenen roten Linien verlaufen und welche proportionalen Reaktionsmöglichkeiten wir haben, wenn Russland weiter eskaliert", fordert Werner.
Werner über Abschreckung: Sind USA "einfach hinterher gelaufen"
Wie man in Europa und der Nato diese einheitliche rote Linie finden kann, sieht Werner als ein wesentliches Problem. Europa habe sich diese Fragen nie stellen müssen. Man habe immer die Führungsmacht USA gehabt, "der wir letztendlich einfach hinterher gelaufen sind," auch bei Abschreckungsmöglichkeiten. "Wir müssen jetzt ein Stück weit lernen, sicherheitspolitisch erwachsen zu werden".
Der politische Wille von Putin ist wahrscheinlich größer als die Gesundheit der russischen Wirtschaft, so Militärexperte Werner.
18.09.2025 | 16:24 minMit Blick auf Unsicherheiten einer Nato in Zeiten von Donald Trump betont Werner, man müsse selbstständig als Europa agieren können. "Wir haben ja auch die Fähigkeiten dazu." Das hätten etwa die Systeme wie F16 und F35 gezeigt, die beim Abschuss der Drohnen über Polen eingesetzt worden seien. Man müsse sich aber hinsetzen, um eine gemeinsame militärische Strategie zu entwerfen, die Europa eigenständig trage, auch ohne die USA.
Experte warnt: "Andere Backe hinhalten" keine kluge Strategie
Die Gefahr, dass eine Abschreckung Eskalation hervorrufe, sieht Werner nicht. Es sei schließlich von Seiten Russlands schon eskaliert worden.
Die Frage ist eigentlich nur, ob wir proportional mitgehen, oder ob wir - christlich gesprochen - die andere Backe hinhalten. Das ist aber eigentlich keine kluge Strategie. Weil wir laden durch Zeichen der Schwäche eher zu mehr Attacken ein.
Julian Werner, Bundeswehruniversität München
Pauschale Antworten auf die Eskalation gegen Europa sieht Werner nicht, die Möglichkeiten reichten etwa von Wirtschaftssanktionen bis hin zu kinetischen Antworten: "Wenn wieder russischen Drohnen in den Nato-Luftraum eindringen, dann schießt man auch mal eine Drohne im ukrainischen Luftraum ab." Laut Werner geht es darum, proportional zu agieren - nicht hochzueskalieren, "aber ein bisschen Eskalations-Management betreiben".
Wirtschaftlichen Druck in Russland sieht Werner nicht als entscheidend für die Länge des Krieges. Natürlich sei die wirtschaftliche Lage immer ein Faktor, der auf die Dauer eines Krieges Einfluss habe. Aber in erster Linie komme es auf die Politik an. Werner resümiert:
Das Problem ist, dass der politische Wille von Wladimir Putin, diesen Krieg bis zum Ende durchzuführen, wahrscheinlich größer ist, als die Gesundheit der russischen Wirtschaft.
Julian Werner, Bundeswehruniversität München
Drohnen könnten die Kampfkraft einzelner Soldaten zwar stärken, erklärt Dara Hassanzadeh, bislang gelinge das aber nicht flächendeckend.
18.09.2025 | 3:53 minUkraine: Keine "Offensive", sondern "Gegenangriff"
Zum aktuellen Frontverlauf in der Ukraine und den Aussagen von Präsident Wolodomyr Selenskyj über eine großangelegte "Gegenoffensive" ordnet Werner so ein: "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt würde ich noch nicht sagen, dass es sich um eine Gegenoffensive im militärischen Sinne handelt." Eine solche sei meist sehr groß angelegt, mit viel militärischem Gerät wie auch Luftschlägen.
Daher gehe er eher davon aus, dass es "ein Gegenangriff" sei, mit defensiven Absichten. Mit dieser Strategie seien die Erfolgsaussichten deutlich höher, den Russen die Initiative zu nehmen und Teile des Raums, den man aufgeben musste, zurückzugewinnen.
Ebenso wenig führe Russland derzeit eine "Großoffensive" durch. Werner erläutert, dass beide Seiten zu wenig Personal vor Ort hätten, um den Raum zu kontrollieren. Allerdings räumt er ein: Russland habe die Personalstärke, "um die gegenwärtig laufende Offensive noch weiter fortzusetzen". Ziel sei es, so viel Druck auf die ukrainischen Streitkräfte auszuüben, dass die ukrainische Politik ab einem bestimmten Zeitpunkt zu Verhandlungen gezwungen sein werde.
Das Interview führte Jessica Zahedi, zusammengefasst hat es ZDFheute-Redakteurin Michaela Schmehl.
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