Neitzel: "Unsere Zeit ist gefährlicher als der Kalte Krieg"

Militärhistoriker zu Russland:Neitzel: "Unsere Zeit ist gefährlicher als der Kalte Krieg"

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Militärhistoriker Neitzel sieht in den jüngsten Atomtest-Ankündigungen vor allem Propaganda, warnt aber zugleich vor einer realen Eskalation - und fordert mehr politische Führung.

Sönke Neitzel vor einer Karte Europas mit der Ukraine im Zentrum.

Erstmals seit 1992 kündigt Trump wieder Atomwaffentests an. Welchen Einfluss globale Machtkämpfe auf den Krieg in der Ukraine haben – Militärhistoriker Neitzel bei ZDFheute live.

30.10.2025 | 42:19 min

Die jüngsten Ankündigungen von Atomwaffentests durch US-Präsident Donald Trump und russische Waffentests sind nach Einschätzung des Militärhistorikers Sönke Neitzel Teil eines "rhetorischen Kräftemessens". Im Interview mit ZDFheute live warnte der Experte von der Universität Potsdam jedoch auch vor anderen Gefahren.

Das vollständige Interview mit Professor Sönke Neitzel sehen Sie oben im Video.

Atomtests als Propagandaschlacht

Trump hatte angekündigt, dass die USA erstmals seit 1992 wieder Atomwaffentests durchführen könnten - als Reaktion auf russische Tests eines atomgetriebenen Torpedos namens "Poseidon". Neitzel sieht darin vor allem eine symbolische Wirkung:

Atomtests sind dann immer auch ein Signal der Stärke. Sie sind erstmal noch keine Bedrohung, aber es sind Signale.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Wladimir Putins Drohungen sieht der Historiker eher gelassen: "Putin - das können wir ja verfolgen seit dem Februar 2022 - droht immer wieder mit neuen Waffen." Russland sei "technologisch den USA und auch Europa massiv unterlegen". Die neuen Waffentests seien vielmehr "ein Teil einer Propagandaschlacht und ein Teil einer hybriden Kriegführung, die eigentlich auf unseren Willen zielt, diese Konfrontation mit Russland auch anzunehmen".

Situation gefährlicher als im Kalten Krieg

Im Vergleich zum Kalten Krieg sieht Neitzel die heutige Situation trotzdem deutlich kritischer: "Wir sind in einer viel gefährlicheren Zeit aus meiner Sicht als im Kalten Krieg." Allerdings nicht wegen der Atomkriegsgefahr:

Es geht nicht um den Atomkrieg, aber ein konventioneller Krieg in Europa scheint wieder möglich zu sein.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Anders als die Sowjetunion sei Russland heute keine Status-quo-Macht mehr: "Russland will Grenzen verändern, hat Grenzen verändert. Und wir können uns eben nicht sicher sein, was eigentlich der wirkliche Plan ist."

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US-Präsident Trump ordnet neue Atomwaffentests an und verweist auf ausländische Programme. Art und Umfang der Tests sind noch unklar. Dazu: Elmar Theveßen.

30.10.2025 | 1:49 min

Sanktionen allein reichen nicht aus

Zur Wirksamkeit wirtschaftlicher Sanktionen gegen Russland äußerte sich Neitzel skeptisch. Es gebe "eigentlich kein historisches Beispiel, in dem wir sagen können, dass Sanktionen, dass Wirtschaftskriege wirklich einen solchen Konflikt entscheiden. Sie sind immer nur ein Beitrag."

Der Glaube, man könne mit Sanktionen Russland zum Einlenken bewegen, sei ein "Irrglaube". Volkswirtschaften seien vielfältig, "und es finden sich eigentlich immer wieder Wege, Güter auch nach Russland hineinzuschmuggeln". China spiele dabei eine entscheidende Rolle, und "die Druckmöglichkeiten des Westens auf China" seien begrenzt.

Wehrpflicht: Neitzel appelliert an die deutsche Politik

Deutliche Worte fand Neitzel zur aktuellen Wehrpflicht-Debatte. Die von Verteidigungsminister Boris Pistorius favorisierte Freiwilligkeit werde nicht ausreichen:

Eigentlich ist jedem klar in der Bundeswehr, solange er nicht ein SPD-Parteibuch hat oder ganz in der Leitungsebene arbeitet, dass die Freiwilligkeit nicht ausreichen wird. Da reichen eigentlich die Grundrechenarten, wenn man die beherrscht.

Sönke Neitzel, Militärhistoriker

Deutschland brauche laut Vorgaben der Nato 260.000 Soldaten. Mit einer Auswahlwehrpflicht nach schwedischem oder dänischem Vorbild sei das machbar.

Scharf ist auch Neitzels Kritik an der Politik in Deutschland: "Wir haben viel zu wenig Führung in diesen Dingen, Entscheidungen der Regierung. Politik redet und redet und redet endlos und beschreibt das Problem, aber entscheidet nicht."

Das Interview führte Christian Hoch, Zusammenfassung von Jan Schneider.

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