Feindbild Regenbogen: Kulturkampf auf der Straße und im Parlament
Queerfeindlichkeit:Der neue Kulturkampf um den Regenbogen
von David Gebhard, Kathrin Haas, Julia Klaus
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Gewalt gegen CSD-Teilnehmer, Nazi-Symbolik statt Regenbogenfahne - der Druck auf queere Menschen wächst. Unterwegs zwischen CSD und Bundestag.
In den letzten Jahren hat die Zahl der Straftaten gegen queere Menschen drastisch zugenommen. Veranstaltungen wie der Christopher Street Day finden unter massivem Polizeischutz statt. 15.07.2025 | 8:48 min
"Es gibt kein Recht auf Homopropaganda", skandieren Teilnehmer einer Anti-CSD-Demonstration in Falkensee bei Berlin. Und später: "Alle Schwulen sind Schweine." Im Hintergrund läuft Rechtsrock der Band "Übermensch". Zeitgleich, einige Straßen entfernt, läuft der CSD-Zug mit Regenbogenflaggen und Polizeischutz, eine Teilnehmerin sagt gegenüber ZDF Frontal: "Wir haben gedacht, es wird besser - jetzt haben wir die Situation, dass Nazis vor unseren CSDs stehen, auf unsere Veranstaltungen rennen und Leute angreifen."
In Falkensee bleibt es an diesem Wochenende ruhig, doch CSDs und Feste für Vielfalt werden immer öfter Ziel von Drohungen und Gewalt. In Gelsenkirchen sagten Veranstalter den CSD in diesem Jahr kurzfristig ab - laut Polizei gab es Hinweise auf eine "abstrakte Bedrohungslage". In Wernigerode im Harz soll ein Mann einen Anschlag auf den CSD angedroht haben - bei einer Hausdurchsuchung fand die Polizei Munition und Schreckschusswaffen.
In Bad Freienwalde in Brandenburg hatte eine Gruppe Vermummter ein Fest für Vielfalt gestürmt und zwei Männer verletzt, einem wurde die Augenhöhle gebrochen. Der mutmaßliche Angreifer soll aus der rechtsextremen Szene stammen.
Queerfeindliche Straftaten nehmen rasant zu
Von Körperverletzung bis Sachbeschädigung: Queerfeindliche Straftaten haben sich in den vergangenen Jahren fast verdoppelt - das Dunkelfeld der nicht angezeigten Vorfälle dürfte zudem um ein Vielfaches größer sein.
2022 zählte das Bundeskriminalamt 1.188 queerfeindliche Straftaten,
2024 waren es bereits 2.108.
Bei den meisten dieser Taten kann die Polizei kein klares Tatmotiv zuordnen - wenn sie es belegen kann, dann ordnet sie die meisten Täter dem rechten Spektrum zu.
Immer öfter werden queere Menschen Opfer von Straftaten. Das geht aus der jüngsten Statistik des Bundeskriminalamts hervor. 15.07.2025 | 2:47 min
Regenbogenfahnen: Geklaut, verbrannt, als Wischmopp missbraucht
Das Symbol vieler queerer Menschen - die Regenbogenflagge - wird zudem immer wieder gestohlen, mancherorts verbrannt oder gar als "Wischmopp" missbraucht. In Neubrandenburg führte der Streit um die Fahne zum Rücktritt des Oberbürgermeisters. Silvio Witt (parteilos) hatte sich dafür eingesetzt, dass sie - als eine von vier Flaggen - am Bahnhof wehte:
Wenn ich mich recht erinnere, ist sie, glaube ich, fünfmal gestohlen worden. Aber zweimal ist sie eben nicht nur gestohlen worden, sondern es wurden verfassungsfeindliche Symbole gehisst. Einmal die Flagge der Hitlerjugend und einmal eine Flagge der Wehrmacht.
Nazi-Flaggen ausgerechnet hier. In Neubrandenburg gab es ein Außenlager des KZs Ravensbrück, den Bahnhof passierten damals Zwangsarbeiterinnen. Die Stadtverordnetenversammlung beschloss im Oktober 2024 trotzdem, die Regenbogenflagge gänzlich abzuhängen - zu oft sei sie gestohlen worden.
Für Witt, der offen homosexuell lebt und von weiteren homophoben Schmähungen berichtet, war das ein weiterer Angriff gegen ihn persönlich, wie er ZDF Frontal schildert: "Ich war Oberbürgermeister, der schwul ist, aber ich war kein schwuler Oberbürgermeister. Das ist ein großer Unterschied." Dennoch hätten die politischen Konkurrenten es geschafft, die Flagge als "sein Thema" darzustellen. Witt trat nach dem Beschluss zurück.
Gut zwei Monate ist Julia Klöckner jetzt Bundestagspräsidentin. Ein Amt, das sie anders interpretiert als ihre Vorgänger. Oft zugespitzt und kontrovers. Dafür erntet sie Kritik.
von Mathis Feldhoff
Analyse
Wowereit kritisiert "Zirkuszelt"-Aussage von Merz als "dummen Spruch"
Auch im Bundestag herrscht Streit um die Regenbogenfahne. Bundestagspräsidentin Julia Klöckner (CDU) will - mit Verweis auf die Neutralitätspflicht der Verwaltung - am Berliner CSD nicht mehr die Flagge hissen lassen. Bundeskanzler Friedrich Merz sprang ihr bei und behauptete, der Bundestag sei "kein Zirkuszelt", auf dem beliebige Flaggen gehisst werden sollten.
Der ehemalige Bürgermeister von Berlin, Klaus Wowereit, der sich 2001 mit dem Satz outete "Ich bin schwul und das ist auch gut so", hat für Merz kein Verständnis. Wenn Menschen für gleiche Rechte auf die Straße gingen, "dann hat das mit Zirkus nichts zu tun", so Wowereit gegenüber ZDF Frontal.
Wir sehen, dass Entwicklungen sich auch wieder zurückdrehen lassen und das versuchen einige und da hat Merz eben eine große Verantwortung, die soll er wahrnehmen. Und nicht so dumme Sprüche machen!
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Klaus Wowereit (SPD), ehemals Regierender Bürgermeister von Berlin
Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) am 1. Juli 2025 in der ARD-Sendung "maischberger". Der Bundestag sei "kein Zirkuszelt", sagt Merz zur Regenbogenfahne auf dem Reichstag.02.07.2025 | 0:57 min
Bundestagspolizei kontrollierte Entfernen der Regenbogenflagge
Auch aus Protest gegen Klöckner und Merz hängte die Linken-Abgeordnete Stella Merendino Anfang Juli eine Regenbogenfahne aus ihrem Berliner Büro, an ihrer Tür klebte zudem ein Aufkleber. Vergangene Woche meldete sich dann Klöckners Abteilung bei ihr: "Es kam eine E-Mail der Bundestagsverwaltung, wir sollten die Fahnen und die Sticker abnehmen", sagt Merendino ZDF Frontal. Ihr Büro sei der Aufforderung nachgekommen. Wenig später kontrollierten gar Bundestagspolizisten, ob die Fahne noch hänge, so Merendino.
Die Bundestagsverwaltung spricht von sieben Fällen, bei denen sie in Bezug auf Regenbogensymboliken Bundestagsbüros ermahnt habe. Ein Sprecher verweist dabei auf die Hausordnung, es handele sich um "einen üblichen Vorgang" der sich "auf alle Aushänge, insbesondere von Plakaten, Postern, Schildern und Aufklebern jeglicher Art, erstreckt", so die Verwaltung.*
"Ich finde es höchst problematisch den Regenbogen zunehmend zu einem politischen Symbol zu erklären", sagt Nyke Slawik, B’90/Grüne, queerpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion.11.07.2025 | 4:37 min
Symbole im Parlament, Hass auf den Straßen
Was verschiebt sich da in der Politik - zulasten der queeren Minderheit? Nyke Slawik, queerpolitische Sprecherin der Grünen, sieht in der Klöckner-Haltung "eine Härte, die wir so noch nicht kannten":
Das ist eine Form der Entsolidarisierung, die ganz ganz brandgefährlich ist und auch als Brandbeschleuniger im Land wirkt.
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Nyke Slawik, Grünen-Bundestagsabgeordnete
Streit um Symbole im Parlament, Hass und Gewalt auf den Straßen: Beim Kulturkampf um den Regenbogen steht auch die offene Gesellschaft auf dem Spiel, in der sich alle sicher fühlen können, egal wie und wen sie lieben.
*Die erweiterte Begründung der Bundestagsverwaltung wurde nachträglich ergänzt.