Bericht von der ukrainischen Front :Wie ein Reporter Russlands Drohnen-Krieg erlebt
von Arndt Ginzel
Am Anfang kommt ein Surren, am Ende Zerstörung und Tod: Russlands Drohnen bedrohen die Ukraine. Weder Netze noch Störgeräte bieten verlässlich Schutz. Ein Bericht von der Front.
Russlands Drohnenkrieg trifft längst nicht mehr nur militärische Ziele. Zunehmend geraten auch Zivilisten ins Visier: Sie werden von Drohnen verfolgt und auf offener Straße angegriffen.
20.11.2025 | 25:07 minWer sich im Osten und Süden der Ukraine bewegt, weiß: Der Himmel ist längst Teil des Schlachtfelds. Denn überall lauern russische Drohnen. Und wenn sie kommen, steht am Anfang immer ein Geräusch: ein hohes Surren, manchmal kaum hörbar, manchmal bedrohlich nah.
Man hält inne, versucht einzuschätzen - kommt es näher? Die Augen suchen den Himmel nach einem winzigen Punkt ab, der über Leben und Tod entscheidet. Oft sehen wir die Drohnen gar nicht - wir hören sie nur. Der Krieg prägt die Wahrnehmung.
Dann wandern die Blicke zu den Ortskundigen. Haben sie es auch gehört? Sind sie alarmiert? Häufig beruhigen sie: "Unsere Drohne."
Im südukrainischen Cherson wird von Russland nicht nur mit Artillerie und Raketen geschossen: Seit mindestens anderthalb Jahren ist noch eine Gefahr hinzugekommen: Drohnen, die gezielt Menschen jagen.
29.10.2025 | 1:51 minWende im Drohnen-Krieg ab 2024
Auch zu Beginn der russischen Invasion gab es Drohnen. Aber vor allem bei der ukrainischen Armee. Schon im Frühjahr 2022 setzte die Ukraine auf kleine DJI-Kameradrohnen. Während der Belagerung Kiews halfen sie, russische Stellungen auszukundschaften und Artilleriefeuer zu korrigieren. Als der Westen seine Waffen- und Munitionszusagen nicht einhielt, entwickelten die Ukrainer Kamikaze- und Abwurfdrohnen, um fehlende Artillerie zu ersetzen. Wladimir Putins Truppen hatten dem zunächst wenig entgegenzusetzen.
Das änderte sich 2024. Russlands Rüstungsindustrie steuerte um. Plötzlich verfügten die russischen Streitkräfte ebenfalls in großen Mengen über billige FPV-Drohnen - First-Person-View-Drohnen, mit denen der Pilot über eine Videobrille live das sieht, was die Kamera der Drohne filmt. In der Folge wuchsen auf den Fahrzeugdächern der ukrainischen Armee, von Rettungsteams und Polizei Antennenwälder: sogenannte Jammer - Störgeräte, die die Funkverbindung zwischen Pilot und Drohne unterbrechen sollten, damit das Fluggerät sein Ziel nicht erreicht.
Russland greift die Ukraine zunehmend mit Drohnen an – gebaut mit westlicher Technik und Mikrochips. An der Front sichergestellte Drohnenteile zeigen: Trotz Sanktionen floriert der Schattenmarkt.
20.08.2025 | 13:02 minStörgeräte sollen Drohnen behindern - doch das klappt nicht immer
Auch das zivile Evakuierungsteam, mit dem wir im Oktober 2024 nahe Kurachowe unterwegs waren, hatte solche Geräte installiert. Etwa zwei Kilometer vor der südostukrainischen Stadt traf eine russische FPV-Drohne das zweite Evakuierungsauto. Der Fahrer, ein ziviler Helfer aus Charkiw, starb. Wir waren Zeugen eines Kriegsverbrechens geworden - und mussten erfahren, dass es gegen die Gefahr von oben keinen verlässlichen Schutz gibt.
2025 wurde die Todesgefahr aus der Luft wirklich akut. Konventionelle FPV-Drohnen reichen bis zu fünf Kilometer weit - doch bald tauchten neue Modelle auf: über Glasfaser gesteuerte Kamikazedrohnen. Das Kabel überträgt das Signal störungsfrei über 20 Kilometer und mehr. Kein Störsignal kann sie zum Absturz bringen, das Videobild für den Piloten ist gestochen scharf.
Seitdem versucht Russland, die wichtigsten Versorgungsstraßen im Donbass unter Kontrolle zu bringen - nicht durch Besetzung oder Artillerie, sondern durch ständige Drohnenangriffe auf alles, was sich bewegt. Für uns als Kamerateam bedeutet das stundenlange Umwege über Nebenstraßen und Schleichrouten.
Netze sollen Schutz vor Drohnen bieten
Die Ukrainer reagieren, indem sie über Kilometer hinweg Anti-Drohnen-Netze spannen. Sie geben ein Gefühl von Schutz - doch wie lange diese Netztunnel ihn bieten, weiß niemand. In russischen Telegram-Kanälen sieht man heute schon Drohnen, die vor den Netzeingängen am Boden sitzend auf Fahrzeuge lauern. Neuerdings kursieren Aufnahmen, die zeigen, wie russische Drohnen brennende Flüssigkeiten über die Kunststoffnetze gießen, bis sie schmelzen.
Was bedeutet das für unsere Arbeit als Kamerateam? Die Gefahrenzone hat sich ausgedehnt. Konnten wir früher anhand der Zerstörung eines Ortes erkennen, ob Gefahr droht, lässt sich das heute kaum noch als Indikator heranziehen. Man fährt in ein weitgehend intaktes Dorf - und der Himmel ist voller Kamikazedrohnen. Die kleinen leichten Fluggeräte töten, richten aber meist keine große Zerstörung an der Bebauung an.
Darauf zu vertrauen, dass Presseschilder auf Westen, Helmen und Fahrzeugen vor Angriffen schützen, ist lebensgefährlich. Der Status als Medienvertreter schützt in diesem Krieg nicht. Die jüngsten tödlichen Angriffe auf Kollegen im Osten der Ukraine zeigen das.
Wegen knapper Munition steht die ukrainische Armee unter Druck. Zum Ausgleich setzen die Streitkräfte auf sogenannte FPV-Drohnen, die feindliche russische Stellungen zerstören.
10.04.2024 | 16:49 minDrohnen mit Glasfasersteuerung oder per Funk
Im umkämpften Großraum Pokrowsk wird derzeit jedes Fahrzeug angegriffen, das sich auf den Zufahrtsstraßen bewegt - ob zivil oder militärisch. Viele dieser Angriffe kommen über glasfasergesteuerte Drohnen. In Cherson wiederum setzen die russischen Truppen vor allem auf funkbasierte FPV-Drohnen. Sie haben eine kürzere Reichweite, können aber von einfachen Drohnendetektoren erfasst werden, die das Kamerabild der angreifenden Drohne anzeigen.
Wieder andere Faktoren - Nebel, Regen, schlechte Sicht - können kurzfristig etwas Sicherheit schaffen.
Grundsätzlich gilt, was schon am ersten Tag der Invasion galt: Lange vor jeder Reise studiere ich die Frontlinien, spreche mit Kontaktleuten in der Ukraine, ändere Pläne oder verwerfe sie im Zweifel, bleibe flexibel. Vorsicht ist Routine geworden. Und immer wieder wird klar: Die Ukraine ist ein Land im Krieg - und der Krieg hält sich an keine Regeln.
Arndt Ginzel berichtet für ZDF frontal als Reporter regelmäßig aus der Ukraine.
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