Trotz Sanktionen: Westliche Technik für Russlands Drohnen-Krieg
Dual-Use-Chips trotz Sanktionen:Westliche Technik für Russlands Drohnen-Krieg
von Katja Belousova, Harriet Kloss, Markus Thöß
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Moskaus Drohnen-Krieg gegen die Ukraine ist auch möglich, weil weiterhin Computerchips aus dem Westen in Russland landen. Zum Teil auch neueste Halbleiter. Wie kann das sein?
Beinahe täglich fliegen russische Drohnenschwärme tödliche Angriffe auf die Ukraine. Möglich ist das auch dank westlicher Technik - trotz Sanktionen gegen Russland.01.07.2025 | 10:11 min
Sie kommen nachts, in Schwärmen, mit ihrem charakteristisch summenden Ton: von Russland eingesetzte Shahed-Drohnen, die ukrainische Städte und Zivilstrukturen nahezu täglich angreifen. Das Ziel der Schwärme ist vor allem, die ukrainische Luftverteidigung abzulenken - damit russische Raketen ihre Ziele treffen können.
"Vor zwei Jahren hatte man vielleicht 400 oder 800 Drohnen pro Monat, die auf Städte und die zivile Infrastruktur abgeschossen wurden. Mittlerweile sind wir bei 4.200 Drohnen", sagt "Monitor Luftkrieg Ukraine"-Analyst Marcus Welsch.
Das sei in diesem Umfang nur möglich, weil Russlands Militär immer wieder westliche Technik und Mikrochips in ihre Drohnen verbaut.
Wegen knapper Munition steht die ukrainische Armee unter Druck. Zum Ausgleich setzen die Streitkräfte auf sogenannte FPV-Drohnen, die feindliche russische Stellungen zerstören.10.04.2024 | 16:49 min
Russische Drohnen von der Front ausgewertet
Die Firma Comsit aus dem oberbayerischen Zolling konnte die Bestandteile mehrerer russischer Drohnen - darunter auch des Typs Shahed - auswerten, die in der Ukraine eingesetzt wurden. Die Firma ist selbst Zwischenhändler von Halbleitern und Mikrochips - ihr COO Simon Jacob sieht einen Wettbewerbsnachteil, weil andere Firmen nicht so streng auf ihre Lieferketten achten würden.
Doch es geht ihm auch um etwas anderes: 2015 war Jacob Frontberichterstatter im Irak, erlebte, wie Freunde von IS-Drohnen getötet wurden. Russlands Drohnen-Krieg weckt bei ihm Erinnerungen.
Ich sehe in den Drohnen-Kriegen der Zukunft eine immense Gefahr.
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Simon Jacob, COO Comsit
Auch deshalb recherchiert er zum heimlichen Handel mit Computerchips, der solche Hightech-Attacken ermöglicht.
Russland hat die ukrainische Hafenstadt Odessa erneut mit Drohnen angegriffen. Laut Behörden wurden dabei mindestens zwei Menschen getötet und sechs weitere verletzt.28.06.2025 | 0:15 min
Dual-Use-Chips aus dem Westen gefunden
Der Comsit-Analysebericht liegt ZDF frontal vor. Er belegt: In allen überprüften Drohnen fanden sich Dual-Use-Chips aus dem Westen - etwa aus der Schweiz und den USA. Diese sind wichtig für die Steuerung der Drohnen. Die Hightech-Bauteile nutzt nicht nur das Militär, sondern auch die Industrie.
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine unterliegen solche Bauteile mit doppeltem Verwendungszweck strikten EU-Ausfuhrbeschränkungen.
Schweizer Firma reagiert
Auch die Schweiz hat das westliche Sanktionsregime übernommen - trotzdem waren in mehreren von Comsit überprüften Drohnenteilen Chips der Schweizer Firma STMicro verbaut. Einer wurde sogar erst 2023 hergestellt und landete danach in einer russischen Shahed.
Auf Anfrage erklärt die Firma: "Seit Ende Februar 2022 haben wir Maßnahmen ergriffen, um die spezifischen Anforderungen mehrerer Sanktionspakete und Exportkontrollmaßnahmen zu erfüllen. [...] Wir sind nicht mehr in Russland tätig."
STMicro schreibt uns, das Unternehmen habe keine unsachgemäße Verwendung ihrer Produkte autorisiert. Zudem verfüge die Firma über ein umfassendes globales Programm, mit dem es alle internationalen Handelsregeln einhalte.
Doch wie konnte der Chip nach 2022 überhaupt nach Russland gelangen? Darauf bekommen wir aus der Schweiz keine Antwort.
Die Ukraine baut immer mehr Drohnen und will die Produktion weiter hochfahren. Im Krieg gegen Russland spielen Drohnen eine immer wichtigere Rolle - ein Innovationskampf.13.03.2024 | 2:14 min
Wie kommen europäische Halbleiter nach Russland?
Das sei kein Einzelfall, erklärt Sanktionsexperte Benjamin Hilgenstock von der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Immer wieder würden sich neuere Bauteile in Russlands Waffen finden.
"In vielen Fälle ist es so, dass ein Hersteller dieser Elektronik oder anderer exportkontrollierter Komponenten diese verkauft an eine Firma, mit der man schon sehr lange zusammenarbeitet. Und dann von dort die Güter weiterverkauft werden und über mehrere Ebenen dann letztlich in Russland landen", erklärt Hilgenstock .
Meistens sitzt der Verkäufer nach Russland am Ende dieser Kette in China, in Hongkong, in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in der Türkei.
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Benjamin Hilgenstock, Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik
China wolle dem Westen zeigen, nicht am Ukraine-Krieg beteiligt zu sein und ihn beenden zu wollen, so Militärexperte Gressel. Aber China wolle auch nicht, dass Putin verliert.
10.04.2025 | 16:05 min
"Hier ist ein weltweites Handelssystem entstanden ist, das unsere Sanktionen umgeht", kritisiert der CDU-Bundestagsabgeordnete Roderich Kiesewetter.
Es ist auch ein technologischer Krieg, den Russland zu gewinnen versucht, indem es unsere Schwäche, Geld zu verdienen, ausnutzt.
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Roderich Kiesewetter, CDU-Bundestagsabgeordneter
Es geht um Glaubwürdigkeit des Sanktionsregimes
Doch was können Firmen und westliche Staaten tun, um dem Einhalt zu gebieten? Die Durchsetzung der Sanktionen sei nach wie vor ein Problem, gibt Sanktionsexperte Hilgenstock zu bedenken: "Es mag schwierig sein, Exportkontrollen für kleinste Computerteile wie Mikrochips durchzusetzen. Wir haben uns aber vor mehr als drei Jahren bewusst entschieden, diese Exportkontrollen zu verhängen und dann müssen wir sie jetzt auch durchsetzen, um die Glaubwürdigkeit des Sanktionsregimes zu bewahren."
"Geschlossenheit und Rückenstärkung" für die Ukraine habe man nicht hinbekommen, da sie Slowakei "Angst habe, nicht genug Gas zu bekommen", so Ulf Röller, ZDF-Korrespondent in Brüssel, zu Russland-Sanktionen.27.06.2025 | 3:24 min
Vor allen Dingen seien aber die Firmen selbst gefragt - sie müssten ihre Lieferketten genaustens überprüfen. Und Geschäftsbeziehungen im Notfall auch beenden, falls sie ihren Sorgfaltspflichten nicht nachkommen.
Solange das nicht konsequent erfolgt, kann Russland seinen Drohnen-Krieg mit westlichen Bauteilen fortsetzen - samt seiner fatalen Konsequenzen für die Menschen in der Ukraine.
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Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.