Westliche Technik in Russlands Drohnen: Kann man das unterbinden?

Interview

Westliche Technik in Drohnen:Chips in Russland: Kann man das unterbinden?

|

Wie wichtig ist westliche Technik für Moskaus Drohnenkrieg? Wie landet sie aus dem Westen in Russland? Und was muss passieren? Fragen an Sanktionsexperte Benjamin Hilgenstock.

Ein ukrainischer Offizier untersucht eine abgeschossene Shahed-Drohne.
Beinahe täglich fliegen russische Drohnenschwärme tödliche Angriffe auf die Ukraine. Möglich ist das auch dank westlicher Technik - trotz Sanktionen gegen Russland.01.07.2025 | 10:11 min
ZDFheute: Herr Hilgenstock, Sie forschen unter anderem zum Thema Sanktionen - auch mit Blick auf Russlands Drohnenkrieg in der Ukraine: Wie wichtig ist westliche Technik für Moskau?
Benjamin Hilgenstock: Die ukrainischen Behörden finden weiterhin in Drohnen und anderem Kriegsgerät auf dem Schlachtfeld oder in ukrainischen Städten nach Luftangriffen sehr viel westliche Elektronik.

Letztlich sind die russischen Luftangriffe auf die Ukraine in diesem Ausmaß nur möglich, weil weiterhin westliche Komponenten in Russland landen.

Benjamin Hilgenstock
Quelle: ZDF

... ist Sanktionsexperte mit Schwerpunkt auf Russland und Associate Fellow im Zentrum für Geopolitik, Geoökonomie und Technologie der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Zudem ist er als Senior Economist am KSE Institute der Kyiv School of Economics tätig.

Man muss aber unterscheiden zwischen komplexen Angriffs- und Aufklärungsdrohnen wie zum Beispiel den Shaheds und kleineren sogenannten FPV-Drohnen, die auf dem Schlachtfeld zum Einsatz kommen. Bei Letzteren ist es so, dass man die wahrscheinlich weitestgehend ohne westliche Technologie bauen und betreiben kann.



Bei den komplexeren Systemen finden sich weiterhin viele westliche Komponenten, wobei chinesische Bauteile immer mehr zum Einsatz kommen. Hier ist es so, dass es für bestimmte Technologien keinen Ersatz aus China oder anderen Ländern gibt - also für fortgeschrittene Kommunikations- oder Navigationselektronik, KI-Chips und so weiter.
ZDFheute: Kann man denn solche Geschäfte - auch mit Chips, die zum Teil seit Jahren im Umlauf sind - in einer globalisierten Welt überhaupt noch stoppen?
Hilgenstock: Wenn es um Komponenten geht, die schon lange im Umlauf sind, die vor dem Beginn der russischen Großinvasion der Ukraine im Februar 2022 und dem Beginn der Exportkontrollen hergestellt und verkauft worden sind - dann besteht für die Produzenten hier kaum eine Handhabe, um nachzuvollziehen, was mit diesen Gütern passiert ist.
Generalmajor Christian Freuding
Zwischen dem Krieg von Israel und Iran und der Lage in der Ukraine gebe es militärisch keinen Zusammenhang, so Generalmajor Freuding. Russland produziere seine Drohnen nun selbst.19.06.2025 | 27:27 min
ZDFheute: Wir haben das Beispiel eines Schweizer Mikrochips gefunden, der von 2023 stammt und dennoch seinen Weg nach Russland gefunden hat. Die Firma kann uns auf Nachfrage nicht sagen, wie das passiert ist. Haben Sie eine Vermutung, was da passiert sein könnte?
Hilgenstock: In den meisten Fällen ist es so, dass ein Hersteller diese Komponenten an eine Vertriebsfirma verkauft, mit der er schon seit Langem zusammenarbeitet. Diese Firma verkauft dann das Produkt weiter. Und je weiter sich dieses Vertriebsnetzwerk erstreckt, je mehr Zwischenhändler teilnehmen, desto weniger wird der notwendigen Sorgfaltspflicht wirklich nachgekommen.
Zu irgendeinem Zeitpunkt, an irgendeiner Stelle findet diese Komponente ihren Weg zu einem Zwischenhändler in China, den Vereinigten Arabischen Emiraten, der Türkei oder Ländern in Zentralasien, von wo sie dann direkt nach Russland verkauft und geliefert wird.

Das passiert bei sehr vielen der nach 2022 produzierten Komponenten, die nach Russland gelangen.

Marta Orosz, Host frontal YouTube, vor Skyline Dubai
Giltzer, Gangster, Geldwäsche: Kriminelle aus aller Welt investieren im Glitzer-Emirat Dubai Millionenbeträge dubioser Herkunft, um Strafverfolgung und Sanktionen zu entgehen.25.09.2024 | 12:51 min
ZDFheute: Was können die Firmen, die die Chips herstellen, machen, damit ihre Technik nicht in russische Hände fällt?
Hilgenstock: Letztendlich geht es darum, dass Unternehmen ihre Vertriebsnetzwerke so weit wie möglich verstehen und nachvollziehen können, um eben problematische Firmen, die irgendwo hier involviert sind, zu identifizieren. Und dann diese Lieferungen stoppen.
Das heißt praktisch, dass eine Firma ein ernsthaftes Gespräch mit ihren Vertriebspartnern führen muss, Anforderungen formulieren muss, was die Sorgfaltspflicht betrifft beim Weiterverkauf. Und auch klarmachen muss, was es für Konsequenzen gibt, wenn dieser nicht nachgekommen wird: Dass dann eben diese Geschäftsbeziehung zum Ende kommt.
Und das heißt dann, dass dieses Vertriebsunternehmen das gleiche Gespräch wiederum mit ihren Geschäftspartnern und ihren Abnehmern führt.
Soldat steuert eine Drohne
Wegen knapper Munition steht die ukrainische Armee unter Druck. Zum Ausgleich setzen die Streitkräfte auf sogenannte FPV-Drohnen, die feindliche russische Stellungen zerstören.10.04.2024 | 16:49 min
ZDFheute: Wird das denn Ihrer Meinung nach bisher stark genug durchgesetzt in Europa?
Hilgenstock: Die Durchsetzung der Sanktionen ist nach wie vor sicherlich ein Problem. Es mag schwierig sein, Exportkontrollen für kleinste Computerteile wie Mikrochips durchzusetzen. Wir haben uns aber vor mehr als drei Jahren bewusst entschieden, diese Exportkontrollen zu verhängen. Und dann müssen wir sie jetzt auch durchsetzen, um die Glaubwürdigkeit des Sanktionsregimes zu bewahren.
Viel wichtiger ist aber, dass die Sorgfaltspflichten für Unternehmen in der EU meiner Meinung nach nicht konkret genug formuliert sind. Es ist etwa immer noch nicht klar, was konkret ein Unternehmen tun muss, das im Ausland in einem Drittstaat Komponenten herstellen lässt.

Fallen diese dort produzierten Komponenten dann unter europäische Exportkontrollen? Hier existiert erheblicher Nachholbedarf.

Zur Wahrheit gehört aber auch, dass Russland aktuell nach dem, was wir wissen, dramatisch höhere Preise bezahlen muss, um diese westlichen Komponenten weiter zu importieren. Weil Zwischenhändler, die hier involviert sind in Umgehungsnetzwerken in China, in den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderswo, sich dies teuer bezahlen lassen.
Es ist ein mehrstöckiges Gebäude zu sehen, das bei einem russischen Angriff auf ein Wohnviertel in Cherson, Ukraine, schwer beschädigt wurde.
Die Stadt Cherson liegt im Süden der Ukraine und quasi direkt an der Front. Geschosse aus den russisch besetzten Gebieten schlagen hier praktisch ohne Vorwarnzeit ein.07.04.2025 | 1:23 min
ZDFheute: Und was sagen Sie zu möglichen Sanktionen gegen am Handel beteiligte Drittstaaten - zum Beispiel gegen China?
Hilgenstock: Sanktionen sind ein realpolitisches Mittel und so sollte es auch eingesetzt werden. Wenn es uns wichtig ist, dafür zu sorgen, dass Russland diesen Krieg gegen die ukrainische Zivilbevölkerung nicht fortsetzen kann, dann müssen wir diese Mittel anwenden.
Natürlich kann es zu diplomatischen Verstimmungen kommen, aber in den meisten Fällen richten sich Sekundärsanktionen gegen einzelne Firmen, einzelne Banken in Drittstaaten und nicht unbedingt gegen den Drittstaat selbst.
Das Interview führte Katja Belousova für die Redaktion ZDF frontal.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog:

Russland greift die Ukraine an
:Aktuelles zum Krieg in der Ukraine

Seit Februar 2022 führt Russland einen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Kiew hat eine Gegenoffensive gestartet, die Kämpfe dauern an. News und Hintergründe im Ticker.
Russische Soldaten bereiten eine selbstfahrende Haubitze 2S1 Gvozdika zum Feuern vor, während die russische Militäroperation in der Ukraine auf dem Gebiet der Region Cherson fortgesetzt wird
Liveblog

Aktuelle Nachrichten zur Ukraine