Ukraine-Krieg: Wie Russland seine Drohnen verheerender macht
Analyse
Taktik in der Ukraine:Wie Russland seine Drohnen verheerender macht
von Christian Mölling, András Rácz
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Groß angelegte russische Drohnenangriffe begannen bereits vor der ukrainischen "Operation Spider Web". Russland will die Ukraine aus dem Krieg "herausbomben" - so geht Moskau vor.
Russland greift die Ukraine täglich mit Drohnen und Raketen an. Ein Ende der russischen Angriffe ist nicht in Sicht. ZDFheute live analysiert die Situation in der Ukraine.12.06.2025 | 30:53 min
Nach der sehr erfolgreichen "Operation Spiderweb" der Ukraine gegen russische strategische Bomber ist es plausibel, dass Russland als Vergeltungsmaßnahme verstärkt zivile Ziele angreift. Doch die Zahlen sprechen eine etwas andere Sprache: Die russischen Luftangriffe wurden bereits intensiver, bevor ukrainische Drohnen am 1. Juni 2025 russische, strategische Bomber zerstörten.
Schon am Vortag, in der Nacht vom 31. Mai zum 1. Juni, hat Russland insgesamt 479 Drohnen, Marschflugkörper und ballistische Raketen auf die Ukraine abgeschossen.
Verschärfte russische Drohnenangriffe in der Ukraine seit April
Zum Vergleich: Im Jahr 2024 lag die durchschnittliche Zahl der Luftgeschosse pro Tag bei weniger als 420. Außerdem wurden bei dem weithin angekündigten russischen Vergeltungsschlag am 5. und 6. Juni 2025 nach der "Operation Spinnennetz" "nur" 452 Drohnen und Raketen eingesetzt. Mit anderen Worten: Der rasante Anstieg der Zahlen begann nicht mit der "Operation Spider Web", sondern schon vorher.
... ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Veränderte Quantität und Qualität
Nicht nur die Zahl der Drohnen nimmt zu, Russland verbessert auch die Taktik für den Einsatz seiner Drohnen.
Etwa bei der Flughöhe: Die Geran-1- und Geran-2-Drohnen haben heute ein technologisches Niveau erreicht, das es ihnen ermöglicht, wesentlich höher zu fliegen als ihre Vorgänger, nämlich in einer Höhe von drei bis vier Kilometern. Hier sind herkömmliche Flugabwehrkanonen praktisch nutzlos. Nur mobile Flugabwehrkanonen, wie der deutsche Flakpanzer Gepard, können sie treffen. Doch die Anzahl dieser Flakpanzer ist zu gering.
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Zudem sind die Geran-Drohnen jetzt in der Lage, sich zu sammeln und ihr Ziel in einem Schwarm anzugreifen, wobei manchmal 15 bis 20 Drohnen versuchen, dasselbe Ziel zu treffen. Diese Taktik überwältigt die meisten Luftverteidigungssysteme, außer bei den am stärksten verteidigten Zielen.
Dabei greifen die Geran Drohnen nun im Sturzflug an, was ihre Geschwindigkeit und damit auch ihre Durchschlagskraft erhöht. Auf diese Weise kann ein Geran sein Ziel treffen, indem er im Sturzflug mit etwa 400 bis 450 Stundenkilometern fliegt.
Täuschungsdrohnen sollen Flugabwehr überwältigen
Russland setzt bereits massenhaft eine Täuschungsdrohne ein, die sogenannte Gerbera. Sie sieht der Geran sehr ähnlich, und das mit Absicht: Gerbera-Drohnen sind so konstruiert, dass sie die Form und Radarreflexion der Geran imitieren. Die Gerberas sind zwar etwas kleiner, da sie nachts angreifen, aber der kleine Unterschied macht nicht viel aus. Sie bestehen aus sehr billigem Material wie Styropor, Sperrholz oder manchmal auch einfachem Plastik. Ihr Zweck ist es, die Flugabwehr zu überwältigen und das Feuer auf sich zu ziehen, um den Geran den Weg zu ebnen.
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Moskau ist es gelungen, die Produktion von Geran-Drohnen erheblich auszuweiten. Für 2025 ist die Produktion von etwa 25.000 bis 30.000 Stück geplant, was die russische Armee in die Lage versetzen wird, noch größere und konzentriertere Drohnenangriffe durchzuführen.
So primitiv sie auch sein mögen, eine solche Anzahl von Angriffsdrohnen stellt eine große Herausforderung für die ukrainische Luftverteidigung dar.
Geringere Abschussraten der Ukraine
Während es der ukrainischen Luftabwehr vor einem Jahr nach offiziellen Angaben gelang, 85 bis 90 Prozent der ankommenden Drohnen abzuschießen oder elektronisch zu neutralisieren, ist die Effizienzrate heute auf 70 bis 75 Prozent gesunken. Die Ukraine führt zwar vielversprechende Experimente mit kleinen Abfangdrohnen durch, doch sind diese Lösungen noch nicht in großem Maßstab verfügbar.
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Was macht das mit der Moral der Zivilbevölkerung?
Mit dem Einsatz einer ständig wachsenden Zahl von Drohnen verfolgt Russland offensichtlich nicht das Ziel, Präzisionsschläge zu fliegen, sondern eine Art Bombenteppich zu legen und so viel wie möglich von der ukrainischen Infrastruktur zu zerstören, ohne Rücksicht auf die zivilen Kollateralschäden.
Diese Taktik scheint darauf hinzudeuten, dass Moskau die Ukraine aus dem Krieg "herausbomben" will, indem es versucht, die Moral der Zivilbevölkerung durch die verstärkten Luftangriffe zu brechen. Die Militärgeschichte zeigt jedoch, dass es fast unmöglich ist, die Moral der Zivilbevölkerung allein durch Luftangriffe zu brechen, ganz gleich, wie heftig diese sind. Daher ist es fraglich, ob diese russische Bombenkampagne letztlich auf strategischer Ebene erfolgreich sein wird.
Die "Operation Spinnennetz" galt als schwerer Schlag für Russland. Moskau kündigte eine Reaktion an - und begann die wohl größte Angriffsserie an Luftschlägen seit Kriegsbeginn.