EM-Halbfinale gegen England: Italiens Girelli und ihr Goldschatz

Vermutlich wird sich Cristiana Girelli gar nicht mehr erinnern. Die EM 2013 war schließlich ihr erstes großes Turnier mit Italiens Frauen-Nationalmannschaft. Damals löste der überraschende Einzug ins Viertelfinale, das dann gegen den späteren Europameister Deutschland 0:1 verloren ging, gewisse Aufregung aus.

Aus der Heimat, einer zu diesem Zeitpunkt fast ausschließlich auf den Männerfußball ausgerichteten Nation, reiste damals der erste Reporter hastig nach Südschweden. Der Mann stürmte verspätet und mit einem großen Koffer polternd zur Pressekonferenz in Växjö, bekam aber noch die Gesprächspartner zugeführt, die er hören wollte.

Zwölf Jahre später ist das vor dem EM-Halbfinale Italien gegen England in Genf (Dienstag, 21 Uhr/live im ZDF) glücklicherweise anders. Zwar ist für heimische Gazetten immer noch wichtiger, wer bei den Männern diesen Sommer vielleicht zu Juventus Turin, Inter Mailand oder SSC Neapel transferiert wird, aber die Frauen laufen nicht mehr völlig unter dem Radar.

Immerhin schalteten 2,36 Millionen Fernsehzuschauer auf Rai 1 ein, als die 35 Jahre alte Anführerin ihren Doppelpack im EM-Viertelfinale gegen Norwegen (2:1) schnürte. So kommt es zum dritten EM-Halbfinale nach 1993 und 1997 - beide Male erreichten die Italienerinnen das Endspiel, um es dann zu verlieren.

Jene Generation, die damals auf Augenhöhe mit Deutschland und den Topnationen aus Skandinavien agierte, ist eine Inspiration für die Kapitänin. "Wir möchten uns nicht mit dem zufrieden geben, was wir erreicht haben", sagt die 125-fache Nationalspielerin Girelli, die im Nationalteam bereits 60 Tore erzielt hat.

Gegen große Nationen spielt ihr Ensemble typisch italienisch: Räume verstellen, tief stehen, bei Ballbesitz schnell umschalten.

Trainer Andrea Soncin, ein früherer Profi der Serie A, der sich weigert, Frauenfußball zu sagen, weil es für ihn einfach Fußball ist, weiß, was sein Ensemble kann - und was nicht. Titelverteidiger England ist wegen seiner physischen Präsenz, auch seinen technischen Fähigkeiten der erklärte Favorit.

Wenn es eine mit den Engländerinnen aufnimmt, dann seine Nummer zehn, die schon so viel erlebt hat. "Unser Glaube, gegen jedes Team bestehen zu können, ist groß. Er sagt uns immer, dass wir mutig sein und wirklich Fußball spielen sollen, weil wir die Qualität dazu haben. Und das zeigen ja auch unsere Leistungen und die Ergebnisse", sagte Girelli in einer Medienrunde vor dem Showdown im Stade de Geneve.

Sie hat mitbekommen, dass England sowohl gegen Frankreich als auch Schweden durchaus verwundbar wirkte. Gerade die Verteidigung wackelte bedenklich. Oft stimmten die Abstände der Viererkette nicht, das Zentrum um Leah Williamson stand oft falsch. Eine Chance für eine schlaue Spielerin wie sie, die schon vor der Reise in die Schweiz so eine Ahnung hatte.

"Ehrlich gesagt hat es sich besonders angefühlt. Ich habe in den Augen meiner Kolleginnen ein besonderes Leuchten gesehen." Dieses Leuchten ist nach dem Sieg gegen Norwegen noch stärker geworden:

Zumal das Idol ihrer Jugend wieder zuschaut: Alessandro Del Piero. Der Weltmeister von 2006 lässt sich die Auftritte der "Azzurre", der Azurblauen, nicht entgehen, was Girelli ungemein freut. Früher hingen seine Poster in ihrem Kinderzimmer, heute drückt er ihr die Daumen.

"Er ist ein Goldschatz, er hat uns mehr als einmal viel Glück gewünscht", sagt sie, die seit 2018 bei Juventus Turin spielt. Jener Klub, den auch Del Piero geprägt hat. Nur eben in anderen Dimensionen. Aber das kennt ja Cristiana Girelli gar nicht anders.