Ungarische Spione in Ukraine? Warum der Fall brisant ist

Analyse

Ungarische Spione in Ukraine?:Spionageverdacht: Warum der Fall brisant ist

von Christian Mölling, András Rácz
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Die Ukraine will ungarische Spione festgenommen haben. Erhärten sich die Vorwürfe, könnte dies die Politik der EU und der Nato gegenüber Ungarn beeinflussen.

Der ungarische Ministerpräsident Viktor Orban hält eine Rede im Parlament in Budapest am 12. Mai 2025.
Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán nutzt das Anti-Ukraine-Narrativ auch für seinen Wahlkampf.
Quelle: AFP

Am 9. Mai wurde ein großer Spionageskandal zwischen Ungarn und der Ukraine öffentlich. Brisant ist dieser Vorfall aus zwei Gründen: EU und Nato unterstützen die Ukraine im Abwehrkampf gegen die russische Invasion. Ungarn hat als Mitglied beider Organisationen zwar bislang die Unterstützung der EU behindert, nicht aber die der Nato - zumindest nicht offensichtlich.
Sollte Ungarn nun sogar Informationen aktiv an Russland weitergegeben haben, wäre eine neue Qualität erreicht, in der das Land aktiv gegen die Ziele von EU und Nato arbeitet.
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Russland könnte sensible Informationen erhalten haben

Der ukrainische Inlandsgeheimdienst SBU veröffentlichte ein Video von der Verhaftung von zwei angeblichen Agenten des ungarischen Militärgeheimdienstes. Die beiden mutmaßlichen Spione, ein Mann und eine Frau, hatten demnach den Auftrag, Informationen über die öffentliche Stimmung, kritische zivile und militärische Infrastruktur und sogar über die von Nato und EU unterstützte Luftverteidigung in der westukrainischen Region Transkarpatien zu sammeln.
Nach ukrainischer Gesetzgebung droht den beiden Agenten im Kriegsfall eine lebenslange Freiheitsstrafe.
Informationen über Flugabwehrsysteme sind aber nur für Russland von Nutzen, nicht für Ungarn. Dass möglicherweise sensible Informationen über die kritische Infrastruktur in der Region weitergegeben wurden, darauf verweisen veränderte Muster russischer Luftangriffe in Transkarpatien.
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Ungarn wirft der Ukraine Einmischung vor

Anstatt die Vorwürfe zu bestreiten oder zu versuchen, die Angelegenheit vertraulich und unter Ausschluss der Öffentlichkeit zu deeskalieren, beschuldigte die ungarische Regierung die Ukraine öffentlich, sich in die ungarische Innenpolitik einzumischen.
Der Grund dafür ist, dass Ungarns führende politische Oppositionskraft, die Tisza-Partei, die Regierung beschuldigt hatte, sich heimlich auf einen militärischen Konflikt vorzubereiten, indem sie eine Tonaufnahme des Verteidigungsministers durchsickern ließ.
Es ist nicht klar, ob die beiden Ereignisse - das Leck und das lange, gut vorbereitete Video des SBU - in irgendeiner Weise miteinander verbunden waren.
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Ungarn und die Ukraine weisen Geheimdienstler aus

Ein weiterer bemerkenswerter Vorgang ist die Ausweisung von zwei ukrainischen Geheimdienstmitarbeitern aus Ungarn, die unter diplomatischer Tarnung arbeiteten. Beiden wurde nur eine Frist von 48 Stunden eingeräumt, um das Land zu verlassen.



Dies stellt ein ungewöhnlich aggressives Vorgehen dar. Hätte die Orbán-Regierung eine symmetrische Antwort geben und die Spannungen in Grenzen halten wollen, hätte sie zwei ukrainische Agenten auf ähnlich niedriger Ebene ausweisen oder verhaften können, aber nicht zwei Berufsgeheimdienstler.
Als Reaktion darauf wies die Ukraine ebenfalls innerhalb einer Frist von 48 Stunden zwei ungarische Geheimdienstmitarbeiter aus, die unter diplomatischer Tarnung arbeiteten.
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Anti-Ukraine-Narrativ wichtig im Wahlkampf

Der Vorgang ist auch für die ungarische Innenpolitik relevant: Die Orbán-Regierung beschuldigt die Opposition, die Tisza-Partei, immer wieder, heimlich mit der Ukraine zu konspirieren. Da die Parlamentswahlen im April 2026 näher rücken und die Wirtschaft am Boden liegt, ist es sehr wahrscheinlich, dass die Regierung das Ukraine-Narrativ auch weiterhin für den innenpolitischen Wahlkampf instrumentalisieren wird.
Das zeigt eine weitere Eskalation des Skandals: Die ungarische Regierung beschuldigt nun offen den Oppositionsführer Péter Magyar, mit den ukrainischen Geheimdiensten konspiriert zu haben. Um diesen Vorwurf zu untermauern, hat die ungarische Regierung sensible persönliche Daten eines ukrainischen Politikers auf regionaler Ebene veröffentlicht. Demnach wurde dieser wegen Spionagevorwürfen mit einem Einreiseverbot für Ungarn belegt. Von Kiew ist eine symmetrische Antwort zu erwarten.
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EU-Blockaden und mögliche Isolation Ungarns in der Nato

Es ist davon auszugehen, dass Ungarn weiterhin alle die Ukraine betreffenden Schritte der EU blockieren oder behindern wird, da dies den innenpolitischen Interessen der Orbán-Regierung entgegenkommt. Die Europäische Friedensfazilität wird weiterhin blockiert werden, wahrscheinlich auch das EU-Beitrittsverfahren der Ukraine.
Die Krise könnte auch schwerwiegende Auswirkungen auf die Nato haben. Sollte sich herausstellen, dass der ungarische Militärgeheimdienst Informationen über die militärische Infrastruktur der Ukraine an Russland weitergegeben hat, würde dies wahrscheinlich zu einer nahezu vollständigen Isolierung Budapests im Informationsaustausch der Nato führen.
Man kann daher nur hoffen, dass eine gründliche, internationale Untersuchung durchgeführt wird, um zu klären, was genau passiert ist und wie.
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