EU-Haushalt für Aufrüstung: Verteidigungsfähig gegen Russland
Interview
Verteidigung im EU-Haushalt:"Industrie eine der wichtigsten Ressourcen"
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Im Angesicht des Ukraine-Krieges stellt die EU-Kommission den neuen EU-Haushalt vor - ein Grund, weshalb sich die Prioritäten verschieben, wie Kommissar Andrius Kubilius erklärt.
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In Brüssel stellt die EU-Kommission am Nachmittag ihren Vorschlag für den sogenannten Mehrjährigen Finanzrahmen (MFR) vor - also den EU-Haushalt für die kommenden sieben Jahre. Klar ist: Es wird große Verschiebungen geben, es soll etwa wesentlich mehr Geld für Verteidigung bereitgestellt werden.
ZDFheute hat mit dem EU-Verteidigungskommissar Andrius Kubilius darüber gesprochen, wie es mit Europas Aufrüstung läuft.
ZDFheute: Herr Kubilius, was ist das Ziel von Europas Aufrüstung?
Andrius Kubilius: Ziel ist es, unsere Verteidigungskapazitäten so weit auszubauen, dass wir alle Versuche Russlands, Mitgliedstaaten der Europäischen Union anzugreifen, abwehren können. Wie Sie wissen, sagen verschiedene Nachrichtendienste öffentlich, dass Russland in den nächsten drei bis fünf Jahren bereit sein könnte, Artikel 5 der Nato zu testen. Und:
Unsere Verteidigungsfähigkeiten sind im Moment dafür nicht ausreichend.
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Andrius Kubilius, EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt
Deshalb haben wir das Programm Rearm Europe verabschiedet, um auf nationaler und europäischer Ebene umfangreiche zusätzliche Mittel bereitzustellen, die den Mitgliedstaaten helfen sollen, ihre Verteidigungskapazitäten aufzubauen.
... ist seit 2024 EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt in der Kommission von Ursula von der Leyen. Der Politiker war in der Vergangenheit zudem - mit Unterbrechung - Premierminister in Litauen.
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ZDFheute: Es gibt Länder, vor allem in Südeuropa, die sagen, sie könnten nicht so viel mehr für Verteidigung ausgeben.
Kubilius: Verteidigung ist definitiv eine Grundlage für den Frieden. Wenn wir keinen Frieden auf dem europäischen Kontinent haben werden, wenn einige Aggressoren entscheiden, dass wir schwach sind und sie unsere Verteidigungsfähigkeiten testen, dann werden wir mit vielen Problemen konfrontiert sein, sowohl im sozialen Bereich, bei der Umwelt als auch bei der wirtschaftlichen Entwicklung.
Die Bereitschaft zur Verteidigung kostet viel, aber nicht bereit zu sein, kostet noch viel mehr.
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Andrius Kubilius, EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt
Deshalb stellt die EU den Mitgliedsstaaten etwa ein sehr attraktives Angebot von 150 Milliarden Darlehen zur Verfügung.
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ZDFheute: Inwieweit soll die Ukraine eingebunden werden in Europas Aufrüstung?
Kubilius: Einerseits können wir den ukrainischen Herstellern helfen, sich irgendwo in Europa sicher niederzulassen und das zu produzieren, was für den ukrainischen Bedarf benötigt wird. Aber wir können auch viel von der ukrainischen Rüstungsindustrie lernen: wie man innovativ ist, wie man völlig neue Technologien einführt.
ZDFheute: Könnte Europa denn überhaupt so schnell Drohnen produzieren, wie die Ukraine?
Kubilius: Ich habe die Ukrainer gefragt, ob die EU jetzt auch Millionen von Drohnen produzieren und lagern sollte. Die Antwort lautete: Nein, das wäre ein Fehler, denn in ein paar Wochen sind die Drohnen, die ihr im Moment benutzt, veraltet, weil die Russen lernen, wie man sie stört, wie man sie abfängt.
Der Ratschlag war also ganz einfach: es ist viel wichtiger, Teams aus Ingenieure, Digitalexperten etc. zu bilden, die jetzt lernen, wie man zusammenarbeitet, und die einige Komponenten für die Drohnenproduktion in den Lagerbeständen haben. Damit wir dann schnell mit der Produktion von Drohnen beginnen können, wenn wirklich ein Bedarf besteht, wenn wir angegriffen werden.
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ZDFheute: Wie sehr muss Europa sich unabhängig machen von den USA?
Kubilius: Ich sehe im Moment keine dramatischen Veränderungen. Aber wenn die Amerikaner sagen, dass sie in den kommenden Jahren immer mehr ihrer Ressourcen in den indopazifischen Raum verlagern müssen, dann ist das die sich verändernde Geopolitik.
Wir sollten nicht wütend auf die Amerikaner sein, sondern unsere Verteidigungsindustrie entwickeln.
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Andrius Kubilius, EU-Kommissar für Verteidigung und Raumfahrt
Denn die Verteidigungsindustrie ist eine der wichtigsten Ressourcen der Verteidigung, neben den Soldaten, neben der militärischen Ausrüstung, die wir brauchen. Denn wenn der Krieg kommt, wenn wir einen echten Krieg führen müssen, dann brauchen wir eine Industrie, die in der Lage ist, neue Waffen zu reparieren, zu warten und zu produzieren, und das nicht weit von der Front entfernt.
Deshalb ist es für uns wichtig, europäische Produkte zu kaufen oder europäische Gelder für unsere Verteidigung auszugeben. Das ist nicht irgendeine Art von Protektionismus, sondern das ist die Entwicklung unserer Verteidigung.
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ZDFheute: Welche Rolle wird Verteidigung im nächsten EU-Haushalt spielen?
Kubilius: Ich kann die Zahlen noch nicht näher erläutern, aber es ist ganz klar, dass Verteidigung und Sicherheit neben der Wettbewerbsfähigkeit eine der wichtigsten Prioritäten sind. Deshalb gehen wir davon aus, dass die Verteidigungsausgaben im nächsten Mittelfristigen Finanzrahmen (MFR) wesentlich höher sein werden als in diesem Haushalt, in dem wir insgesamt nur etwa zwölf Milliarden Euro für die Verteidigung eingeplant haben. Das ist wirklich nicht genug.
Wir dürfen aber auch nicht vergessen, dass der Großteil der Mittel für die Verteidigung aus den nationalen Verteidigungsausgaben stammt. Wir gehen also davon aus, dass dies auch in Zukunft so sein wird. Was die Europäische Union tun kann, was für einen zusätzlichen Nutzen wir bringen können, ist, dass wir den Mitgliedstaaten einen Anreiz bieten, ihre nationalen Verteidigungsausgaben effektiver zu nutzen.
Das Interview führte Isabelle Schaefers, Korrespondentin im ZDF-Studio in Brüssel.
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