Aufrüstung in Europa: Wie stärkt die EU ihre Sicherheit?
Interview
Verteidigung und Aufrüstung:Warum Geld allein Europa nicht absichern wird
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800 Milliarden Euro: Damit will Ursula von der Leyen Europa aufrüsten. Doch es fehlt nicht nur an Geld, erklärt Experte Jean-Jacques Roche. Drei Fragen, drei Antworten.
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Nachdem die US-Regierung um Donald Trump ihre Unterstützung für die Ukraine vorerst pausiert hat, will Europa enger zusammenrücken und in eine gemeinsame Verteidigung investieren. Dafür will EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen 800 Milliarden Euro mobilisieren. Auch Deutschland ist bereit, in die Aufrüstung zu investieren.
Doch Geld allein reicht nicht aus, damit Europas Rüstungsindustrie mit den USA oder Russland mithalten kann, meint der Experte für Verteidigungsindustrie Jean-Jacques Roche - drei Fragen, drei Antworten.
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ZDFheute: Die Europäische Union ist bereit, viel Geld in die Verteidigung zu investieren. Sind die Probleme in Sachen Verteidigung damit geregelt?
Jean-Jacques Roche: Wenn es nur eine Frage des Geldes wäre, dann gäbe es schon längst eine gemeinsame europäische Verteidigung. Aber das Problem liegt anderswo. Es ist nicht möglich, Milliarden einfach so in Material zu investieren.
Denn die Industrie ist nicht in der Lage, in diesem Ausmaß und so schnell zu liefern.
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Jean-Jacques Roche, Experte für Verteidigungsindustrie
Man müsste bei den USA einkaufen, aber selbst dort hat der Einkauf auf Vorrat seine Grenzen. Das ist der erste Punkt.
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Zweitens geht es über die Investition hinaus. Es fehlt auch die Bereitschaft, gemeinsam eine europäische Verteidigung aufzubauen. Der Beweis: Zwei neutrale europäische Mitgliedsstaaten, Schweden und Finnland, fühlten sich nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine gezwungen, der NATO beizutreten. Die Garantie der Sicherheit der EU war nicht ausreichend.
Quelle: ZDF, Leif Stange
Jean-Jacques Roche ist Professor der Politikwissenschaft an der Universität Panthéon-Assas in Paris, wo er das Institut für Rüstung und Verteidigung und den Masterstudiengang "Défense et dynamiques industrielles" (Verteidigung und industrielle Dynamik) leitet. Sein Schwerpunkt ist das Zusammenspiel von Verteidigung, Wirtschaft und Industrie in Frankreich und auf internationaler Ebene.
ZDFheute: Nun gibt es diese ersten Schritte in Richtung einer europäischen Verteidigung. Warum reicht das noch nicht aus?
Roche: Die Rüstungsindustrie ist eigen. Sie unterliegt extrem strengen Auflagen und wird von Investoren nicht bevorzugt. Wenn ein kleines Unternehmen, das Zulieferer eines großen Konzerns ist, einen Auftrag erhält und zur Bank geht, um einen Kredit zur Erfüllung des Auftrags zu erhalten, wird die Bank diesen Kredit unter Umständen nicht bewilligen. Und das aus einem einfachen Grund: Pensionsfonds wollen und können aus steuerlichen und gesellschaftlichen Gründen nicht in die Rüstungsindustrie investieren.
Also ist die Frage der Finanzierung eine entscheidende Frage, um überhaupt produzieren zu können.
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Jean-Jacques Roche, Experte für Verteidigungsindustrie
Doch die Finanzierung ist nur der erste Schritt. Außerdem muss die Rüstungsindustrie umstrukturiert werden. Aktuell strebt man in Deutschland wie in Frankreich nicht nach einfacher Produktion, man will Hightech-Produkte. Und so muss man heute die Industrieanlagen, die nur kleine Mengen herstellen können, umgestalten, um im Akkord zu produzieren. Und es muss auf Vorrat produziert werden. Das ist der große Unterschied.
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ZDFheute: Wie steht die EU im Vergleich mit den USA und Russland da?
Roche: Wir werden nicht mit den USA mithalten können, die jährlich 800 bis 900 Milliarden Euro in den Verteidigungshaushalt stecken.
Mit Russland gleichzuziehen, ist in finanzieller Hinsicht nicht allzu schwer.
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Jean-Jacques Roche, Experte für Verteidigungsindustrie
Das russische Bruttoinlandsprodukt (BIP) liegt zwischen dem spanischen und dem italienischen, das heißt die EU-Länder verfügen über die finanziellen, wirtschaftlichen und technologischen Möglichkeiten, um Schritt zu halten. Allerdings wird es noch einige Jahre dauern, bis unsere Industrieanlagen auf dem gleichen Niveau sind. Außerdem müssen wir die industrielle Zusammenarbeit zwischen den EU-Mitgliedsstaaten verbessern, auch das wird Zeit in Anspruch nehmen.
Am Interview waren ZDF-Korrespondent Thomas Walde sowie Carolin Auen für das ZDF-Studio Paris beteiligt.
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Quelle: dpa
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