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Corona und KI:Wissenschaft in der Vertrauenskrise
von Gunter Große
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Die Mehrheit der Deutschen vertraut Wissenschaft und Forschung. Doch bleibt das so? Gesellschaftliche Spaltung und neue Technologie bedrohen zunehmend auch die Welt der Akademiker.
Wie wichtig Vertrauen in die Wissenschaft ist, hat die Coronazeit besonders deutlich gemacht. Ohne dieses Vertrauen wären gesundheitspolitische Maßnahmen und Impfkampagnen ins Leere gelaufen.
Diese Zeit machte aber auch deutlich, wie schnell wissenschaftliche Glaubwürdigkeit in Krisenzeiten untergraben werden kann. Während die Menschen am Anfang der Pandemie an den Lippen der Wissenschaftler hingen, wurde mit anhaltender Diskussion über die Verhältnismäßigkeit von Maßnahmen auch zunehmend der wissenschaftliche Diskurs politisiert. Am Ende wurden dann sogar Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu Opfern von Hass und Hetze.
Misstrauen gegenüber vermeintlicher Elite
Heute wissen wir: Ein kleiner Teil der Gesellschaft wird offenbar von tief sitzendem Misstrauen gegenüber einer vermeintlichen Elite getrieben, zu der sie insbesondere auch die Akademiker zählen. Für die Medizinethikerin und neue "nano Talk"-Moderatorin Alena Buyx wird dabei ein Zusammenhang immer deutlicher:
Die Menschen, die Wissenschaft sehr wenig vertrauen, sind gleichzeitig sehr geneigt, extreme Parteien zu wählen (…), vor allem Rechts. Aber das gibt es auch im linken Spektrum.
Alena Buyx, Medizinethikerin und neue "nano Talk"-Moderatorin
Dies, so die ehemalige Vorsitzende des Ethikrates, würde von den extremen Parteien inzwischen auch bewusst genutzt, um die Demokratie zu zersetzen.
USA: Misstrauen in Wissenschaft fortgeschrittener
Ein Prozess, der in den USA schon weit fortgeschritten ist. Während in Deutschland bisher konstant knapp 10 Prozent der Bevölkerung den Wissenschaften mit Misstrauen begegnet, waren es in den USA zuletzt schon 23 Prozent. Das sind 10 Prozent mehr als vor der Pandemie. Besonders groß ist der Anteil der "Misstrauischen" bei den Wählern der Republikaner.
Der unerklärte Krieg der Administration Donald Trumps gegen die Universitäten des eigenen Landes lässt für die Zukunft noch schlechtere Werte erwarten. Misstrauen nährt offenbar Populismus und Populismus nährt Misstrauen - eine zerstörerische Symbiose.
KI-Fakes werden zur Bedrohung für die Wissenschaft
Hinzukommt, dass der von Wissenschaftlern vorangetriebene technologische Fortschritt sich im Zeitalter von Künstlicher Intelligenz nun auch noch zur Bedrohung der eigenen Zunft entwickelt. Denn genauso wie Politik und Medien müssen sich Wissenschaft und Forschung immer häufiger auch mit Fakes herumschlagen.
Das Ausmaß von gefälschten Studien hat nach Untersuchungen des ehemaligen Leiters des Institutes für medizinische Psychologie der Uni Magdeburg, Bernhard Sabel, in der jüngsten Vergangenheit zugenommen. Nicht nur die Glaubwürdigkeit von Wissenschaft wird dadurch zerstört, sondern das "Weltwissen" wird zunehmend verschmutzt. Insbesondere im Gesundheitswesen könnte das sogar tödliche Konsequenzen haben.
Um das Thema "Wissenschaft in der Vertrauenskrise" geht es am Donnerstagabend auch in der letzten Ausgabe von "scobel". Ab 21 Uhr bei 3sat - und jederzeit in der ZDF-Mediathek.
Experte: 500.000 gefälschte Studien jährlich
Sabel geht davon aus, dass jährlich 500.000 gefälschte Studien von sogenannten Paper Mills (Papiermühlen) in Umlauf gebracht werden. "Das Problem ist so groß", betont Sabel, "dass wir es nicht ignorieren dürfen".
Es hat sich eine regelrechte Fake-Mafia in der Wissenschaft entwickelt, die mit gefälschten Arbeiten Milliarden verdient. Vor allem in Ländern wie China, Russland und Indien werden diese Fake-Publikationen massenhaft in Umlauf gebracht. Die Folgen dieser Entwicklung reichen jedoch zwangsläufig in einer global vernetzten Wissenschaftsgemeinschaft bis zu uns.
Manch ein Wissenschaftler in der westlichen Welt merkt gar nicht, dass er plötzlich Co-Autor auf einer Arbeit ist, von einer Gruppe aus anderen Ländern.
Bernhard Sabel, Uni Magdeburg
Auch wenn seriöse Wissenschaftszeitschriften das Problem erkannt haben und beginnen, dagegen vorzugehen, kommt schon die nächste Bedrohung auf die Wissenschaftswelt zu. Das Fälschen einer wissenschaftlichen Studie mithilfe von KI dauert inzwischen kaum noch mehrere Stunden. Kommen solche Fake-Ergebnisse in Umlauf und wird dann sogar noch daraus zitiert, befürchtet Sabel einen Kollaps des "Wissens".
Ein erster Schritt, dem zuvorzukommen, wäre, jungen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern den Publikationsdruck zu nehmen und stärker Qualität statt Quantität zu honorieren. Noch heute werden wissenschaftliche Karrieren und die Vergabe von Drittmitteln an der Anzahl wissenschaftlicher Publikationen gemessen. Ein Fehlanreiz, der dringend korrigiert werden muss.
Gunter Große ist Wissenschaftsjournalist in der Redaktion nano in Mainz.
Quelle: dpa
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