Ploß bei "Lanz": "Hätte Brosius-Gersdorf nicht gewählt"
Rumort es in der Union?:Ploß: "Hätte Brosius-Gersdorf nicht gewählt"
von Felix Rappsilber
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Die Absage der Verfassungsrichter-Wahl sei "richtig" gewesen, sagt CDU-Politiker Ploß bei "Lanz". Grünen-Fraktionschefin Haßelmann unterstellt Spahn "eklatantes Führungsversagen".
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 16. Juli 2025 in voller Länge.16.07.2025 | 77:50 min
"Das, was für die Union der Kern ist, nämlich die Würde des Menschen ganz nach vorne zu stellen, ist nicht ganz zufriedenstellend beantwortet worden [...]." - Der CDU-Abgeordnete Christoph Ploß (CDU) kritisierte am Mittwochabend bei "Markus Lanz" den Auftritt von Frauke Brosius-Gersdorf am Tag zuvor.
Nachdem ihre Wahl zur Verfassungsrichterin abgesagt worden war, hatte sich Brosius-Gersdorf bei "Lanz" verteidigt. Die SPD hatte die Juristin für das Bundesverfassungsgericht nominiert. Zunächst stand die Zusage der Unionsführung. Die Wahl scheiterte letztlich am Widerstand der Unionsfraktion.
Brosius-Gersdorf steht insbesondere wegen ihrer Haltung zu Schwangerschaftsabbrüchen in der Kritik. Ihre Unterstützer sprachen in den vergangenen Tagen immer wieder von einer rechten Hetzkampagne.
Zu diesen Vorwürfen bezog Frauke Brosius-Gersdorf konkret Stellung:
"Der Hauptvorwurf in den Medien ist, dass ich dem ungeborenen Leben die Menschenwürdegarantie abspräche und für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt sei. Das ist falsch. Dem menschlichen Leben steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten.
Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar. Richtig ist, dass ich auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen habe, das besteht, wenn man dem ungeborenen Leben ab Nidation die Menschenwürdegarantie zuerkennt wie dem Mensch nach Geburt. Unter der herrschenden rechtsdogmatischen Prämisse der Nichtabwägungsfähigkeit der Menschenwürde mit Grundrechten Dritter wie der Schwangeren wäre ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulässig. Auch ein Abbruch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau schiede dann aus.
Es ist aber die seit langem bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer Indikation zulässig ist. Mein Bestreben und meine Aufgabe als Wissenschaftlerin war und ist es, auf diese Problematik und auf Inkonsistenzen im bestehenden Recht hinzuweisen sowie Lösungsmöglichkeiten für eine widerspruchsfreie Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aufzuzeigen. Die Lösung kann verfassungsrechtlich nur sein, dass entweder die Menschenwürde doch abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt. Diesen notwendigen verfassungsdogmatischen Erörterungsbedarf habe ich aufgezeigt, ohne damit die Position zu vertreten, dass das ungeborene Leben schutzlos sei.
Im Gegenteil: Selbst wenn die Menschenwürde erst für den Mensch ab Geburt gelten sollte, wäre das ungeborene Leben nicht schutzlos. Ihm steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu, wofür ich stets eingetreten bin. Der Vorwurf, ich würde für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt eintreten und sei "lebenskritisch", ist falsch und entbehrt jeder Grundlage. Meine diesbezüglichen Veröffentlichungen lassen sich auch nicht dahingehend missverstehen. Das von mir aufgezeigte verfassungsdogmatische Dilemma wird verkürzt wiedergegeben und genutzt, um mir unzutreffend zu unterstellen, ich würde nicht für das Grundrecht auf Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation eintreten."
[Anm. der Red.: Die Nidation beginnt am fünften oder sechsten Tag nach der Befruchtung der Eizelle.]
"Anliegen und Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem religiösen Kopftuch von Rechtsreferendarinnen waren Unterschiede in der Rechtsprechung beim Umgang mit dem Neutralitätsgebot des Staates. Während ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen verfassungsrechtlich nicht zulässig sein soll, soll ein entsprechendes Verbot für Rechtsreferendarinnen in bestimmten Situationen im Gerichtssaal zulässig sein.
Hierin habe ich einen Widerspruch gesehen. In beiden Fällen ist zwischen dem Staat, für den ein Neutralitätsgebot (Identifizierungsverbot) gilt, und den Staatsbediensteten, die ihre grundrechtliche Freiheit ausüben, zu unterscheiden. Der Staat identifiziert sich nicht mit der Grundrechtsausübung seiner Bediensteten. Daraus folgt aber nicht, dass ein Kopftuchverbot stets verfassungswidrig wäre. Denn auch wenn sich ein Kopftuchverbot für Amtswalter nicht auf das Neutralitätsgebot für den Staat stützen lässt, kann es im Einzelfall durch das Mäßigungsgebot für Staatsbedienstete legitimiert sein."
"Es wurde berichtet, ich wolle durch Paritätsmodelle für die Wahl des Deutschen Bundestags Wahlgrundsätze wie insbesondere die Wahlgleichheit aushebeln. Richtig ist: Ich habe mich rechtswissenschaftlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das im Grundgesetz verankerte Gebot der Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern Eingriffe in die Wahlgrundsätze rechtfertigt. Diese Frage ist in der Rechtswissenschaft umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt."
Frauke Brosius-Gersdorf will weiterhin für das Bundesverfassungsgericht kandidieren. Wegen Vorwürfen gegen sie war die Wahl der Verfassungsrichter verschoben worden.16.07.2025 | 1:32 min
Ploß: Spannungsfeld in der Union
Christoph Ploß verteidigte das Vorgehen seiner Fraktion. Die Union sei keiner rechten Kampagne auf den Leim gegangen, "sondern die Abgeordneten haben sich eine eigenständige Meinung gebildet". An den Äußerungen der Juristin sei eine "politische Agenda zu sehen, die die meisten in der Union ablehnen".
Der CDU-Abgeordnete beschrieb das Partei-interne "Spannungsfeld": "Auf der einen Seite ist die Unionsfraktion immer eine Fraktion, die weiß, wie wichtig Stabilität ist, wie wichtig es ist, dass wir nicht große Konflikte oder Streitigkeiten haben."
Aber:
Auf der anderen Seite wird hier ein Kern der Union berührt: die Würde des Menschen [...].
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Christoph Ploß, CDU-Politiker
Ploß wiederholte damit einen Vorwurf, dem sich Brosius-Gersdorf seit Tagen ausgesetzt sieht. Am Abend zuvor hatte sie versucht, bei "Lanz" klarzustellen: "Es ist falsch, dass ich gesagt hätte, ich bin für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt. Ich bin nie eingetreten für eine Legalisierung oder Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt."
Die SPD hält weiter an ihrer Kandidatin Brosius-Gersdorf fest und sieht die Union am Zug. Ein Kurzgutachten entlastet die Juristin vom Vorwurf wissenschaftlichen Fehlverhaltens.16.07.2025 | 1:32 min
Haßelmann: Plagiatsvorwurf wie ein Kartenhaus zusammengefallen
Mit diesem Auftritt habe sich Brosius-Gersdorf ein Stück weit die Ehre zurückgeholt, sagte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann:
Da ist mit so viel Dreck geworfen worden: so viele Unterstellungen, so viele Aussagen über sie, die sie hat über sich ergehen lassen müssen, auch Falschdarstellungen.
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Britta Haßelmann, Grünen-Fraktionschefin
Haßelmann zeigte kein Verständnis für die Absage der Verfassungsrichter-Wahl: "Das zentrale Argument [...] des Ersten Parlamentarischen Geschäftsführers der CDU/CSU-Fraktion war der Plagiatsvorwurf. Und der ist heute wie ein Kartenhaus zusammengefallen."
Die Richterin Brosius-Gersdorf äußert sich zu gescheiterten Verfassungsrichterwahl im Bundestag. Diana Zimmermann gibt eine Einschätzung in Berlin. 15.07.2025 | 1:55 min
Führungsversagen von Jens Spahn?
In den frühen Morgenstunden des geplanten Wahltages waren Plagiatsvorwürfe gegen Brosius-Gersdorf laut geworden. Inzwischen entlastet ein von ihr in Auftrag gegebenes Gutachten die Rechtswissenschaftlerin.
Die Wahl sei "auf Zuruf" gescheitert, empörte sich Haßelmann, "weil Jens Spahn und Friedrich Merz in ihrer Fraktion nicht abgesichert haben, drei in Rede stehende Personen zu wählen".
Im Streit um die SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht habe Merz "gar keine genaue Vorstellung, wie diese Lage jetzt nochmal zu klären ist", so ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer.15.07.2025 | 1:04 min
Ploß fand es "richtig, dass Jens Spahn die Abstimmung abgesagt hat".
Denn:
Ich hätte [Frauke Brosius-Gersdorf] auch nicht gewählt.
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Christoph Ploß, CDU-Politiker
Haßelmann widersprach: "Wenn ich mir vorstelle, dass eine so wichtige Frage wie die Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht so dilettantisch vorbereitet wird [...], dann ist das ein eklatantes Führungsversagen von Jens Spahn."
Bei der Besetzung des Bundesverfassungsgerichts habe Jens Spahn "die Lage völlig unterschätzt", so Politikwissenschaftler von Lucke. Es komme jetzt darauf an, die Koalition wieder zu vereinigen.14.07.2025 | 4:14 min
Haßelmann: Brosius-Gersdorf - ein gemeinsamer Vorschlag
"Gemeinsam" mit Unions-Fraktionschef Spahn, SPD-Fraktionschef Matthias Miersch und Grünen-Co-Fraktionschefin Katharina Dröge habe Haßelmann Anfang Juni die Kandidaten für das Bundesverfassungsgericht vorgeschlagen.
Abgeordnete würden "nach ihrem Gewissen" entscheiden, betonte Ploß. Er räumte ein:
Der Prozess war nicht gut und da gilt es, einiges aufzuarbeiten.
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Christoph Ploß, CDU-Politiker
Das habe Spahn in einem Brief an die Fraktion unterstrichen.
Die verschobene Wahl für die Besetzung des Bundesverfassungsgericht sorgt weiter für Streit. Das Vertrauen zwischen SPD und Union ist erschüttert, Merz nimmt Spahn in Schutz.14.07.2025 | 2:24 min
Die zentrale Frage sei, ob diese Regierung "überhaupt eine Mehrheit hat" und "als Koalition belastbar ist", sagte Haßelmann und forderte trotz parlamentarischer Sommerpause:
Wir müssen jetzt ganz schnell vor September zu einer Richterwahl kommen.
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Britta Haßelmann, Grünen-Fraktionschefin
Ploß sah das anders: "Es ist auch gut, ein paar Tage mal alles abkühlen zu lassen."