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Interview
Bundestag verschiebt Richterwahl:Ist das Verfassungsgericht jetzt beschädigt?
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Was bedeutet die verschobene Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht? Der ehemalige Verfassungsrichter Ferdinand Kirchhof spricht bei ZDFheute live über die Folgen.
Eigentlich sollte der Bundestag über drei neu zu besetzende Richterstellen am Bundesverfassungsgericht abstimmen - doch die Wahl wurde nun kurzfristig abgesagt. Union und SPD hatten sich über die von den Sozialdemokraten nominierte Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zerstritten.
Im Gespräch mit ZDFheute live erklärt Professor Ferdinand Kirchhof, selbst von 2007 bis 2018 Richter am Bundesverfassungsgericht, wie er diesen Tag wahrgenommen hat und was der Eklat im Bundestag für die Arbeit des Verfassungsgerichts bedeutet.
Sehen Sie das Interview oben in voller Länge oder lesen Sie es hier in Auszügen. Das sagt Kirchhof ...
... zur abgesagten Richterwahl im Bundestag
Dass die schwarz-rote Koalition mit der Verfassungsrichter-Wahl im Bundestag gescheitert ist, sei "unerfreulich", so Kirchhof.
Es ist eine Panne in einer Personalauswahl, von der man sich eigentlich vorgenommen hat, dass sie im Konsens und ohne Aussprache oder gar Angriff auf eine Person geschieht.
Ferdinand Kirchhof, ehemaliger Verfassungsrichter
Ein schwarzer Tag für das Verfassungsgericht sei es aber nicht, so Kirchhof. "Allenfalls ein schwarzer Tag für das Parlament und den Wahlausschuss", sagt der ehemalige Verfassungsrichter.
... über die Personalie Brosius-Gersdorf und die Unabhängigkeit der Richter
Dass die geplatzte Wahl durch massiven Widerstand in der Unionsfraktion gegen Brosius-Gersdorf die Unabhängigkeit des Verfassungsgerichts beeinträchtigen könnte, glaubt Kirchhof nicht.
"Da sehe ich keine Gefahr. Man wird einmal in das Amt gewählt, das kann spannend sein und jetzt auch mit Turbulenzen ausgestattet sein, aber wenn der Richter im Amt ist, (...) dann muss sich auch seine Unabhängigkeit zeigen", erklärt er. Das sei bisher immer gut gelungen. Jeder, der gewählt würde, wisse, dass er zwölf Jahre "völlig unabhängig ist".
Er agiert im Einklang und in der Diskussion mit insgesamt acht Senatsmitgliedern und das bildet die Unabhängigkeit.
Ferdinand Kirchhof, ehemaliger Verfassungsrichter
"Ich glaube nicht, dass das Amt in seiner Unabhängigkeit irgendwie gefährdet wird", merkt Kirchhof an.
... zur weiteren Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts
Die Grünen wollen nun die Wahl in einer Bundestags-Sondersitzung kommende Woche durchführen - sollte das nicht passieren, verschiebt sie sich mindestens bis zur nächsten regulären Sitzung im September. Die Funktionsfähigkeit des Verfassungsgerichts sieht Kirchhof dadurch aber nicht gefährdet.
"Ein Richter, der 68 geworden ist, wie Herr (Josef) Christ, der ausscheidende Richter, der muss sein Amt fortführen, bis der Nachfolgende gewählt ist", erklärt Kirchhof.
So wird eine Kontinuität gewährleistet. In der Besetzung des Gerichts, also die Rechtssprechung ist nicht gefährdet.
Ferdinand Kirchhof, ehemaliger Verfassungsrichter
Lediglich "intern" habe das Verfassungsgericht möglicherweise ein Problem. "Die Richter müssen immer in derselben Besetzung in einer Sache entscheiden, von Anfang bis Ende", so Kirchhof.
In langwierigen Verfahren, bei denen man wisse, dass ein Richter in einigen Monaten ausscheiden werde, "da wird man dann sehr vorsichtig sein, weil man sonst das ganze Verfahren wieder neu mit einer neuen Richterschaft beginnen müsste".
Daher werde die interne Planung des Gerichts durchaus gestört, erklärt der ehemalige Verfassungsrichter. "Man kann nur noch kurze Verfahren durchführen, wo man weiß, dass man schnell zu einem Ergebnis kommt. Die schwierigen, die langen Verfahren werden aufgeschoben und erst wieder gestartet, wenn der Senat in neuer Besetzung vollständig ist", so Kirchhof.
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