Bundesverfassungsgericht: Eine Richterwahl mit offenem Ausgang

Analyse

Bundesverfassungsgericht:Eine Richterwahl mit offenem Ausgang

Andrea Maurer
von Andrea Maurer
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Schwarz-Rot braucht eine Zweidrittelmehrheit, um drei neue Verfassungsrichter zu wählen - also auch Stimmen der Linken. Doch deren Verhältnis zur Union ist zerrüttet. Und jetzt?

Bundesverfassungsgericht
Im Bundestag steht die Wahl neuer Verfassungsrichter an. (Symbolbild)
Quelle: dpa

Am Freitag steht im Bundestag die Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht auf der Tagesordnung. Am Montagabend sollte der Wahlausschuss des Bundestages über die Empfehlung zur Nachbesetzung abstimmen. Die Union stellt einen Kandidaten auf, die SPD zwei Kandidatinnen. Bislang liefen diese Wahlen nach einem bewährten Muster. Diesmal ist es anders.

Die alte Formel funktioniert nicht mehr

Insgesamt 16 Richterinnen und Richter hat das Verfassungsgericht in zwei Senaten. Sie werden zeitlich gestaffelt und zur Hälfte aus Bundestag und Bundesrat gewählt. Seit 2018 gilt für die Vorschläge aus dem Bundestag die Formel 3-3-1-1.
Union und SPD können jeweils drei Stellen besetzen, Grüne und FDP je eine. So war auch immer die Zustimmung der jeweils anderen Fraktionen garantiert. Da die FDP nun aber nicht mehr im Bundestag sitzt und eine Kooperation mit der AfD bisher ausgeschlossen ist, bräuchte es für eine Zweidrittelmehrheit eigentlich die Linke. Und das macht es kompliziert.
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Das Verhältnis zwischen Union und Linken ist zerrüttet

Die Linke ist bekanntermaßen ziemlich verstimmt. Bei den Wahlen in Gremien mit Geheimhaltungsauflagen hat die Union der linken Fraktionschefin Heidi Reichinnek, die ins Parlamentarische Kontrollgremium wollte, und der linken Parteichefin Ines Schwerdtner, die in den Unterausschuss zur Bundesverschuldung wollte, die nötige Zustimmung verweigert.
Und das, obwohl - so sieht es die Linke - die Union am Tag der Kanzlerwahl die Stimmen der Linken dankend angenommen hat, um einen zweiten Wahlgang für Friedrich Merz zu ermöglichen, nachdem der im ersten Wahlgang durchgefallen war.
Seit der Nicht-Wahl der linken Spitzenfrauen in die Gremien ist nun aber klar: Die Union möchte den ideologischen Graben zur Linken offenbar doch nicht zuschütten. Und jetzt?
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Drei Optionen für die Linke

Grundsätzlich gibt es für die Linke drei Optionen. Option 1: Sie pocht auf das Vorschlagsrecht für einen eigenen Kandidaten, und übernimmt gewissermaßen das Vorschlagsrecht der FDP. Der Nachteil aus Sicht der Linken: Die Amtszeit der beiden Richter, die von der FDP vorgeschlagen wurden, geht bis 2033 und 2035. Das wären also noch mindestens acht Jahre.
Option 2: Die SPD tritt eines ihrer Vorschlagsrechte an die Linke ab. Selbst wenn sie das täte, was unwahrscheinlich ist, müsste dann allerdings die Union für den Kandidaten der Linken stimmen, was noch unwahrscheinlicher ist. Linken-Chef Jan van Aken nennt diese Option ohnehin nur eine Zwischenlösung. Er sagt ZDFheute:

Natürlich, gerne: Die SPD tritt einen ab. Aber wir wollen jetzt vor allem einen guten demokratischen Prozess, wo man sich einigt auf ein neues Verhältnis, wer darf wie viele vorschlagen.

Jan van Aken, Linke

Das wolle man nicht unterlaufen, indem man eine Person verbrenne - "und dann wird am Ende niemand gewählt. Dafür ist das Bundesverfassungsgericht zu wichtig", sagt er.
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Option 3: Die Linke stimmt für den Kandidaten der Union, Günter Spinner. Spinner wäre für die Linke theoretisch sogar wählbar, weil er eigentlich ein Vorschlag des Bundesverfassungsgerichts selbst ist. Dafür müsste allerdings die Union das Gespräch suchen und Verhandlungen führen. Das Verhältnis aber ist zerrüttet, siehe oben.

Auch Schwarz-Rot ist sich nicht einig

Hinzu kommt: Schon Schwarz-Rot selbst ist sich bei den Nominierungen nicht einig. Vor allem eine der von der SPD nominierten Kandidatinnen, die Juraprofessorin Frauke Brosius-Gersdorf, stieß bei der Union schon im Vorfeld auf Widerstände. Sie sei "ultralinks" war zu hören. Sie sei "unwählbar".

Die Wahl der Richterinnen und Richter für das Bundesverfassungsgericht - sie ist im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt.

Von den 16 Richterinnen und Richtern, die in zwei Senaten mit je acht Richterinnen und Richtern amtieren, werden acht vom Bundestag und acht vom Bundesrat mit Mehrheit gewählt. Dabei haben SPD, CDU/CSU, sowie Bündnis 90/Grüne und FDP vor Jahren einen Verteilungsschlüssel abgesprochen. Der lautet "3-3-1-1" - das heißt, die beiden Senate des Gerichts setzen sich jeweils aus drei von der SPD, drei von der Union, einer von den Grünen und einer von der FDP vorgeschlagenen Jurapersönlichkeit zusammen. Das heißt aber nicht, dass die Nominierten den jeweiligen Parteien auch angehören müssen. Dieser Schlüssel wird überdacht werden müssen, denn die FDP gehört dem Bundestag nicht mehr an.

Frühestens drei Monate vor dem Ablauf der Amtszeit der Vorgänger können die Nachfolger gewählt werden. Kommt innerhalb von zwei Monaten nach dem Ablauf der Amtszeit keine Wahl eines Nachfolgers zustande, so wird das Bundesverfassungsgericht vom Wahlausschuss des Bundestags bzw. dem Bundesratspräsidenten unverzüglich zur Nennung von Wahlvorschlägen aufgefordert - bei einem Nachfolger müssen drei, bei zwei Nachfolgern vier Namen genannt werden.

Die Nominierten müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben. Und drei Richterinnen und Richter in jedem Senat müssen länger an einem Bundesgericht, also Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht oder Bundesfinanzhof, tätig gewesen sein. Die Stelle von Bundesverfassungsrichter Josef Christ ist eine Richter-Richterstelle. Das heißt, für ihn muss eine Richterpersönlichkeit gewählt werden, kein Anwalt oder Juraprofessor.

Auch ohne die Linke ist es kompliziert

Ursprünglich sollte über die drei Kandidaten im Paket abgestimmt werden. Jetzt kommt es anders: Am Freitag stimmt der Bundestag zuerst mal nur über den von der Union nominierten Kandidaten ab, danach erst über die von der SPD nominierten Kandidatinnen.
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Ein Linken-Politiker, der immer guten Draht in die Unionsfraktion hatte, ist der ehemalige Fraktionschef und jetzige haushaltspolitische Sprecher Dietmar Bartsch. Bartsch sagt ZDFheute, er sei "einigermaßen erstaunt, dass die Regierungsfraktionen die Wahlen am Freitag trennen. Sollte der Verfassungsgericht-Unionskandidat nicht gewählt werden, hätte das dann auch Folgen für die Wahl der SPD-Kandidatin?"
Und dann gibt es noch einen weiteren möglichen Fallstrick: Dass die AfD behauptet, die Zweidrittelmehrheit für den Kandidaten der Union in der geheimen Wahl gesichert zu haben. Die Gemengelage ist kompliziert.

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