Bundesverfassungsgericht: Richter dringend gesucht

Bundestag am Zug:Verfassungsgericht drängt auf Richterwahl

ZDF-Rechtsexperte Christoph Schneider
von Christoph Schneider
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Seit Monaten steht die Neuwahl einer Verfassungsrichterin oder eines Verfassungsrichters an - doch der Bundestag hat noch nicht entschieden. Jetzt fordert Karlsruhe Tempo.

Symbolbild: Die Robe einer Bundesverfassungsrichterin
Das Bundesverfassungsgericht will schnellstmöglich die Nachfolge eines Richters regeln.
Quelle: dpa

Eigentlich endete die Amtszeit des Bundesverfassungsrichters Josef Christ am 30. November vergangenen Jahres. Denn der im Ersten Senat tätige Richter feierte im November seinen 68. Geburtstag, geht eigentlich in den Ruhestand. Doch er muss weiter amtieren, denn die Nachfolgefrage ist ungeklärt.

Bundesverfassungsgericht braucht neuen Richter

Die 16 Verfassungsrichterinnen und -richter werden abwechselnd von Bundestag und Bundesrat gewählt. Im Fall von Josef Christ ist der Bundestag zuständig, das Vorschlagsrecht für seine Nachfolge liegt bei der Union.
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Im Wahlausschuss des Bundestags zur Wahl der Bundesverfassungsrichterinnen und -richter in der vergangenen Legislaturperiode im Januar kam eine Wahl nicht zustande. Grund: Der vorgeschlagene eher konservative Kandidat Robert Seegmüller, Richter am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig, fand nicht die Zustimmung der Grünen, sodass darüber im Ausschuss auch nicht abgestimmt wurde. Denn anschließend wäre eine Zweidrittelmehrheit des gesamten Bundestags für die Wahl erforderlich gewesen.
So schrieb Ende Januar die Vorsitzende des Wahlausschusses, Renate Künast (Grüne), das Bundesverfassungsgericht an und bat um drei Personalvorschläge für die Nachfolge von Christ. Das Plenum des Bundesverfassungsgerichts, das heißt alle 16 Richterinnen und Richter, antwortete ihr Mitte Februar, dass man die Vorschläge erst machen würde, wenn eine Wahl im neuen Bundestag "nicht in überschaubarer Zeit erfolgen sollte".

Karlsruhe macht Vorschläge

Nach der Bundestagswahl am 23. Februar konstituierte sich der neue Bundestag am 25. März. Am 6. Mai wurde Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) gewählt. Und seit dieser Woche sind auch erst die Ausschüsse besetzt. Eher ungewöhnlich, dass das Bundesverfassungsgericht ebenfalls in dieser Woche am 22. Mai seine Vorschlagsliste übermittelt hat, denn der Bundestagswahlausschuss hätte erst in dieser Woche tagen können.
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Das zeigt aber, dass die Zeit zur Klärung der Nachfolgefrage für Josef Christ durchaus drängt, die "überschaubare Zeit" abgelaufen ist, denn in diesem Jahr stehen zwei weitere Personalien an: Ende Juni endet die Amtszeit der Vizepräsidentin Doris König und Ende September will aus gesundheitlichen Gründen Verfassungsrichter Ulrich Maidowski aus dem Gericht ausscheiden. Für die Nachfolgeregelungen ist bei beiden ebenfalls der Bundestag zuständig.
In seinem Schreiben benennt das Bundesverfassungsgericht als mögliche Nachfolger und Nachfolgerin:
  • Günter Spinner - Vorsitzender Richter am Bundesarbeitsgericht in Erfurt, Jahrgang 1972
  • Oliver Klein - Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe, Jahrgang 1974
  • Eva Menges - Vorsitzende Richterin am Bundesgerichtshof, Jahrgang 1970

Die Wahl der Richterinnen und Richter für das Bundesverfassungsgericht - sie ist im Bundesverfassungsgerichtsgesetz geregelt.

Von den 16 Richterinnen und Richtern, die in zwei Senaten mit je acht Richterinnen und Richtern amtieren, werden acht vom Bundestag und acht vom Bundesrat mit Mehrheit gewählt. Dabei haben SPD, CDU/CSU, sowie Bündnis 90/Grüne und FDP vor Jahren einen Verteilungsschlüssel abgesprochen. Der lautet "3-3-1-1" - das heißt, die beiden Senate des Gerichts setzen sich jeweils aus drei von der SPD, drei von der Union, einer von den Grünen und einer von der FDP vorgeschlagenen Jurapersönlichkeit zusammen. Das heißt aber nicht, dass die Nominierten den jeweiligen Parteien auch angehören müssen. Dieser Schlüssel wird überdacht werden müssen, denn die FDP gehört dem Bundestag nicht mehr an.

Frühestens drei Monate vor dem Ablauf der Amtszeit der Vorgänger können die Nachfolger gewählt werden. Kommt innerhalb von zwei Monaten nach dem Ablauf der Amtszeit keine Wahl eines Nachfolgers zustande, so wird das Bundesverfassungsgericht vom Wahlausschuss des Bundestags bzw. dem Bundesratspräsidenten unverzüglich zur Nennung von Wahlvorschlägen aufgefordert - bei einem Nachfolger müssen drei, bei zwei Nachfolgern vier Namen genannt werden.

Die Nominierten müssen das 40. Lebensjahr vollendet haben. Und drei Richterinnen und Richter in jedem Senat müssen länger an einem Bundesgericht, also Bundesgerichtshof, Bundesverwaltungsgericht, Bundesarbeitsgericht, Bundessozialgericht oder Bundesfinanzhof, tätig gewesen sein. Die Stelle von Bundesverfassungsrichter Josef Christ ist eine Richter-Richterstelle. Das heißt, für ihn muss eine Richterpersönlichkeit gewählt werden, kein Anwalt oder Juraprofessor.

Bundestagswahlausschuss muss handeln

Entscheidend: Durch den Karlsruher Vorschlag an den Bundestag soll eine Wahl im Bundestag binnen drei Monaten erfolgen. Passiert das nicht, könnte die Wahl ersatzweise im Bundesrat durchgeführt werden. Dieser Mechanismus wurde im Dezember im Grundgesetz und im Bundesverfassungsgerichtsgesetz im Rahmen der Sicherung und Stärkung des Bundesverfassungsgerichts verankert.
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Gefordert ist also nun der neue Bundestagswahlausschuss. Der ist nicht an die Vorschläge aus Karlsruhe gebunden, sondern kann auch andere Richterpersönlichkeiten nennen. Knackpunkt bleibt aber die dann später zu erreichende Zweidrittelmehrheit des gesamten Bundestags für die Kandidatin oder den Kandidaten. Benötigt wird neben der Zustimmung der Koalitionsregierung von Union (208 Sitze) und SPD (120 Sitze) auch die Zustimmung der Grünen (85 Sitze). Da die zusammen auf 413 Sitze kommen, für eine Zweidrittelmehrheit aber 420 Stimmen erforderlich sind, fehlen noch weitere sieben Stimmen.
Damit kommt es auf die Zustimmung der AfD oder der Linken an. Da Absprachen mit der AfD von allen anderen im Bundestag vertretenen Parteien ausgeschlossen werden, wird man wohl für eine Zweidrittelmehrheit eine Einigung mit den Linken versuchen müssen.
Christoph Schneider ist Redakteur in der Fachredaktion Recht & Justiz des ZDF.

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