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Analyse
Abgeblasene Richterwahl:Der Schaden ist immens
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Union und SPD scheitern an der Richterwahl - mit Ansage. CDU und CSU fehlt eine Strategie, der Schaden ist immens. Für den Bundestag, das Verfassungsgericht - und die Demokratie.
Es ist keine fünf Tage her, da macht Jens Spahn der SPD ein Versprechen. Ja, sagt der Unionsfraktionschef am Montagabend, man werde die SPD-Kandidatin bei der Richterwahl für das Bundesverfassungsgericht unterstützen.
Zwar gibt es in der Union Kritik an der von der SPD nominierten Richterin Frauke Brosius-Gersdorf. Aber man werde vor der Wahl im Bundestag noch mit den kritischen Abgeordneten reden, heißt es aus der Unionsspitze.
Ein Kompromiss wird kolportiert. Brosius-Gersdorf soll nicht Vizepräsidentin des Bundesverfassungsgerichts werden. Damit will die Union die Kritiker in den eigenen Reihen besänftigen. Was für eine Fehleinschätzung.
Spahn hat Widerstand in der Union unterschätzt
Am Freitag zeigt sich: Der Widerstand gegen die Potsdamer Richterin ist größer als von Jens Spahn angenommen. Nach ZDFheute-Informationen sollen es 30 bis 50 Abgeordnete gewesen sein, die Brosius-Gersdorf nicht zustimmen wollten.
Die CDU-Abgeordnete Saskia Ludwig etwa hatte Brosius-Gersdorf als "unwählbar" bezeichnet. Ex-AfD-Frau Joana Cotar hatte daraufhin bei X geschrieben, die CDU möge deren Wahl verhindern. "Erledigt", schreibt Ludwig am Freitag.
Dass Spahn diesen Widerstand nicht früher hat kommen sehen, ist sein Versäumnis, sagt eine sichtlich erzürnte Grünen-Fraktionschefin Britta Haßelmann. Sie wirft Spahn Dilettantismus vor. Er hätte vor der Wahl eine Mehrheit organisieren müssen:
Das ist kein Roulette, das man hier spielt.
Britta Haßelmann, Grüne
Union, SPD und Grüne haben keine Zweidrittelmehrheit
Sehenden Auges haben Spahn und Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) den Bundestag und das Bundesverfassungsgericht in diese Peinlichkeit manövriert. Denn es handelt sich um ein Scheitern mit Ansage.
Wer also ohne die Stimmen der AfD Richter wählen, die Schuldenbremse reformieren oder das Grundgesetz ändern will, braucht die Stimmen der Linken. Das kann man beklagen. Das kann man ablehnen. Nur leugnen kann man es nicht. Es ist seit der vergangenen Bundestagswahl die Realität.
CDU setzt auf Prinzip Hoffnung
Doch anstatt sich der neuen Lage zu stellen, setzt die Union auf das Prinzip Hoffnung. Man werde einfach vollständig erscheinen, sodass es für eine Mehrheit bei den abgegebenen Stimmen reicht, hatte Fraktionsgeschäftsführer Steffen Bilger (CDU) angekündigt.
Wir gehen davon aus, dass bei uns, aber auch bei SPD und Grünen, so gut wie alle Abgeordneten an Bord sind.
Steffen Bilger, CDU
Mal abgesehen davon, dass auch Bilger den Widerstand in der Union unterschätzt hat, zeigt es auch die fehlende Strategie. Die Union hatte offensichtlich gehofft, dass ein paar AfD-Abgeordnete im Aufzug stecken bleiben und der Abstimmung fernbleiben.
Das also hat die Union Gesprächen mit der Linken vorgezogen, was umso erstaunlicher ist, als sie ja im Mai noch aushelfen durfte. Nach der gescheiterten Kanzlerwahl von Friedrich Merz durfte die Linke mit der Union stimmen und so einen zweiten Wahlgang ermöglichen.
Das Muster Friedrich Merz
Hier nun zeigt sich ein Muster. Zum wiederholten Mal geht Friedrich Merz in eine Abstimmung, ohne vorher die eigene Mehrheit sichergestellt zu haben. So war es bei seiner eigenen Wahl zum Kanzler. Beim Migrationsgesetz Ende Januar. Und bei der Aussetzung des Familiennachzugs für bestimmte Geflüchtete war die Mehrheit knapp.
Mangelnde Kompromissfähigkeit macht sich überall bemerkbar. Auch die Linke hätte im Vorfeld Zustimmung zu allen drei Richterkandidaten signalisieren können. Stattdessen kritisiert auch Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek:
Immer wenn man denkt, die Union kann nicht mehr tiefer sinken, kommen Sie, Herr Spahn, und packen Ihre Schaufel aus.
Heidi Reichinnek, Linke
AfD jubelt
Nun ist Schaden entstanden. Für die Koalition, für das Bundesverfassungsgericht und für die parlamentarische Demokratie, der man heute ein Stück weit beim Zerbröseln zugucken konnte. Wenn es die Parteien der Mitte nicht schaffen, sich zu einigen, gerät das System unter Druck.
Am Freitagvormittag geht eine vergnügte Alice Weidel durch den Bundestag. Die AfD-Chefin frohlockt:
Hach, ist das schön.
Alice Weidel, AfD
Das bleibt nach diesem Tag.
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