Richterin Brosius-Gersdorf wehrt sich gegen Vorwürfe
Berichterstattung zu Richterwahl:Brosius-Gersdorf wehrt sich gegen Vorwürfe
von Nicola Frowein
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Nach der gescheiterten Wahl der neuen Verfassungsrichter, hat sich SPD-Kandidatin Frauke Brosius-Gersdorf zu Wort gemeldet. Vorwürfe, die gegen sie erhoben wurden, seien falsch.
Nachdem letzte Woche die Wahl der Verfassungsrichter abgesagt wurde, übernimmt Jens Spahn Verantwortung für das Scheitern. Er habe den Widerstand in der Union gegenüber der SPD Kandidatin Brosius-Gersdorf unterschätzt.15.07.2025 | 2:26 min
Die von der SPD nominierte Juristin Frauke Brosius-Gersdorf hat sich im Zusammenhang mit der Berichterstattung über die Wahl zum Bundesverfassungsgericht zu Wort gemeldet. In einem Brief an die Presse, der auch dem ZDF vorliegt, betont sie, dass die Darstellung ihrer Person in einigen Medien "unzutreffend und unvollständig, unsachlich und intransparent" gewesen sei.
Sie war nicht sachorientiert, sondern von dem Ziel geleitet, die Wahl zu verhindern.
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Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf
Brosius-Gersdorf: Ultralinks? "Diffamierend und realitätsfern"
In ihrer Erklärung wehrt sich die Staatsrechtlerin dagegen, als 'ultralinks' oder 'linksradikal' bezeichnet zu werden. Das sei "diffamierend und realitätsfern."
Im Streit um die SPD-Kandidatin fürs Bundesverfassungsgericht habe Merz "gar keine genaue Vorstellung, wie diese Lage jetzt nochmal zu klären ist", so ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Andrea Maurer.15.07.2025 | 1:04 min
Vorwürfe macht Brosius-Gersdorf auch einigen - namentlich nicht genannten - Politikern, die sich an der Kritik an ihrer Person beteiligt hätten. Anonym an "medialer Kritik bis hin zu Schmähungen anderer mitzuwirken und gleichzeitig für sich selbst Schmähungsschutz zu fordern", stehe im Widerspruch, schreibt Brosius-Gersdorf.
In Zeiten, in denen Politikerinnen und Politiker für sich zu Recht stärkeren Schutz vor verbalen Angriffen fordern [...], befremden anonyme Äußerungen aus den Reihen politisch verantwortlicher Funktionsträger des Staates.
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Prof. Dr. Frauke Brosius-Gersdorf
Die Juristin, die an der Universität in Potsdam lehrt, verweist auf ihre thematisch breitgefächerte, wissenschaftliche Arbeit. Sie wirft ihren Kritikern vor, sich nicht ausreichend mit ihrer Forschung beschäftigt zu haben.
Die Wahl dreier Richter für Deutschlands höchstes Gericht ist im Bundestag vorerst gescheitert, nach tagelangem Streit um SPD-Kandidatin Brosius-Gersdorf. ZDFheute live analysiert.11.07.2025 | 35:06 min
Sich selbst ordnet Brosius-Gersdorf als politisch der demokratischen Mitte zugehörig ein, das zeigten ihre wissenschaftlichen Positionen. Zuschreibungen wie "ultralinks" oder "linksradikal" beruhten auf einer unvollständigen Auswahl einzelner Themen und Thesen und einzelner, aus dem Zusammenhang gerissener Sätze, "um ein Zerrbild zu zeichnen."
Frauke Brosius-Gersdorf wird heute Abend um 23 Uhr bei "Markus Lanz" im ZDF zu Gast sein. Die Juristin will dann persönlich schildern, wie sie auf die geplatzte Richterwahl und die Berichterstattung über sie und ihre Standpunkte blickt. Den Stream zur Sendung und weitere Berichterstattung finden Sie dazu am späteren Abend bei ZDFheute.
Die verschobene Wahl für die Besetzung des Bundesverfassungsgericht sorgt weiter für Streit. Das Vertrauen zwischen SPD und Union ist erschüttert, Merz nimmt Spahn in Schutz.14.07.2025 | 2:24 min
Nach Angaben aus der SPD-Fraktion wollen die Sozialdemokraten allerdings nicht auf Brosius-Gersdorfs Kandidatur für das Amt einer Verfassungsrichterin verzichten. Auch die Juristin selbst werde nicht zurückziehen, hieß es aus der SPD. Brosius-Gersdorf selbst äußerte sich in ihrer Stellungnahme nicht zu ihrer Kandidatur.
Zu diesen Vorwürfen bezieht Frauke Brosius-Gersdorf konkret Stellung:
"Der Hauptvorwurf in den Medien ist, dass ich dem ungeborenen Leben die Menschenwürdegarantie abspräche und für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt sei. Das ist falsch. Dem menschlichen Leben steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu. Dafür bin ich stets eingetreten.
Die Aussage, ich wäre für eine Legalisierung und eine (hiervon zu unterscheidende) Straffreiheit des Schwangerschaftsabbruchs bis zur Geburt, ist unzutreffend und stellt eine Verunglimpfung dar. Richtig ist, dass ich auf das verfassungsrechtliche Dilemma hingewiesen habe, das besteht, wenn man dem ungeborenen Leben ab Nidation die Menschenwürdegarantie zuerkennt wie dem Mensch nach Geburt. Unter der herrschenden rechtsdogmatischen Prämisse der Nichtabwägungsfähigkeit der Menschenwürde mit Grundrechten Dritter wie der Schwangeren wäre ein Schwangerschaftsabbruch unter keinen Umständen zulässig. Auch ein Abbruch wegen medizinischer Indikation bei Gefährdung des Lebens oder der Gesundheit der Frau schiede dann aus.
Es ist aber die seit langem bestehende Rechtslage, dass ein Abbruch bei medizinischer Indikation zulässig ist. Mein Bestreben und meine Aufgabe als Wissenschaftlerin war und ist es, auf diese Problematik und auf Inkonsistenzen im bestehenden Recht hinzuweisen sowie Lösungsmöglichkeiten für eine widerspruchsfreie Regelung des Schwangerschaftsabbruchs aufzuzeigen. Die Lösung kann verfassungsrechtlich nur sein, dass entweder die Menschenwürde doch abwägungsfähig ist oder für das ungeborene Leben nicht gilt. Diesen notwendigen verfassungsdogmatischen Erörterungsbedarf habe ich aufgezeigt, ohne damit die Position zu vertreten, dass das ungeborene Leben schutzlos sei.
Im Gegenteil: Selbst wenn die Menschenwürde erst für den Mensch ab Geburt gelten sollte, wäre das ungeborene Leben nicht schutzlos. Ihm steht ab Nidation das Grundrecht auf Leben zu, wofür ich stets eingetreten bin. Der Vorwurf, ich würde für einen Schwangerschaftsabbruch bis zur Geburt eintreten und sei "lebenskritisch", ist falsch und entbehrt jeder Grundlage. Meine diesbezüglichen Veröffentlichungen lassen sich auch nicht dahingehend missverstehen. Das von mir aufgezeigte verfassungsdogmatische Dilemma wird verkürzt wiedergegeben und genutzt, um mir unzutreffend zu unterstellen, ich würde nicht für das Grundrecht auf Leben ab dem Zeitpunkt der Nidation eintreten."
[Anm. der Red.: Die Nidation beginnt am fünften oder sechsten Tag nach der Befruchtung der Eizelle.]
"Anliegen und Gegenstand der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit dem religiösen Kopftuch von Rechtsreferendarinnen waren Unterschiede in der Rechtsprechung beim Umgang mit dem Neutralitätsgebot des Staates. Während ein Kopftuchverbot für Lehrerinnen an staatlichen Schulen verfassungsrechtlich nicht zulässig sein soll, soll ein entsprechendes Verbot für Rechtsreferendarinnen in bestimmten Situationen im Gerichtssaal zulässig sein.
Hierin habe ich einen Widerspruch gesehen. In beiden Fällen ist zwischen dem Staat, für den ein Neutralitätsgebot (Identifizierungsverbot) gilt, und den Staatsbediensteten, die ihre grundrechtliche Freiheit ausüben, zu unterscheiden. Der Staat identifiziert sich nicht mit der Grundrechtsausübung seiner Bediensteten. Daraus folgt aber nicht, dass ein Kopftuchverbot stets verfassungswidrig wäre. Denn auch wenn sich ein Kopftuchverbot für Amtswalter nicht auf das Neutralitätsgebot für den Staat stützen lässt, kann es im Einzelfall durch das Mäßigungsgebot für Staatsbedienstete legitimiert sein."
"Es wurde berichtet, ich wolle durch Paritätsmodelle für die Wahl des Deutschen Bundestags Wahlgrundsätze wie insbesondere die Wahlgleichheit aushebeln. Richtig ist: Ich habe mich rechtswissenschaftlich mit der Frage auseinandergesetzt, ob das im Grundgesetz verankerte Gebot der Förderung der tatsächlichen Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern Eingriffe in die Wahlgrundsätze rechtfertigt. Diese Frage ist in der Rechtswissenschaft umstritten und höchstrichterlich nicht geklärt."
Unterstützung von Juristen und Wissenschaftlern
Unterstützung bekommt Frauke Brosius-Gersdorf von knapp 300 Juristen und Juristinnen, die sich ebenfalls mit einer Stellungnahme an die Öffentlichkeit gewendet haben. Die Vertreter aus Forschung, Lehre und Justiz protestieren in ihrem Schreiben "nachdrücklich" gegen die Art, wie in Politik und Öffentlichkeit mit Frauke Brosius-Gersdorf umgegangen worden sei.
Dieser Umgang ist geeignet, die Kandidatin, die beteiligten Institutionen und mittelfristig [...] die gesamte demokratische Ordnung zu beschädigen.
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Stellungnahme der Juristen
Frauke Brosius-Gersdorf sei eine "hoch angesehene Staatsrechtslehrerin", das sei in Fachkreisen völlig unstrittig. Auch wenn andere Meinungen natürlich möglich seien: Darstellungen, die ihre Positionen als "abseitig oder radikal einordnen", seien durch Unkenntnis der rechtswissenschaftlichen Diskussion geprägt.
Scharfe Kritik an Politikern
Deutliche Kritik üben die Unterzeichner an der Politik, der sie mit Blick auf das Zurückrudern der Union "fehlendes politisches Rückgrat" und "mangelnde interne Vorbereitung" vorwerfen.
Die Aufforderung einzelner Bundestagsabgeordneter, die Universität Potsdam solle Maßnahmen gegen Brosius-Gersdorf ergreifen, sei ein "Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit" gewesen, der durch "ausgesprochen unglaubhafte Plagiatsvorwürfe" noch verstärkt worden sei.