Unzufriedenheit mit dem Staat: Kommunen als Frustrationsfaktor

Interview

Pleitekommunen als Frustrationsfaktor:Unzufriedenheit mit dem Staat entsteht in der Kommune

|

Fehlende Kitaplätze, marode Infrastruktur: Die Unzufriedenheit von Menschen mit der Politik entsteht meist da, wo sie leben - und wirkt sich dann auf ihre Haltung zum Staat aus.

Baustelle in Gladbeck

Viele Städte und Kommunen in Deutschland sind unterfinanziert. Oft müssen Dienstleitungen und Angebote gestrichen werden. Das hat Folgen, die sich auf die Akzeptanz unserer Demokratie auswirken.

01.12.2025 | 1:51 min

ZDFheute: Welchen Effekt hat es auf die Bürgerinnen und Bürger, wenn sie in einer armen Kommune leben?

Stefan Marschall: Wir wissen, dass sich die Menschen sehr stark mit ihrer Kommune identifizieren, und wenn es dort Probleme gibt, hat das Auswirkungen auf ihre Gesamthaltung zum Staat und der eigenen Heimat. Es ist also so, dass das, was man als staatliche Leistung bezeichnet, zuallererst auf kommunaler Ebene wahrgenommen wird.

Wir begegnen dem Staat eben meist auf der kommunalen Ebene.

Stefan Marschall, Politikwissenschaftler

Schüler, die ihren Klassenraum putzen

Am Scheffold-Gymnasium in Schwäbisch Gmünd müssen Schüler ihre Klassenzimmer selbst putzen. Grund ist die Finanznot der Kommune. Wie kommt die Maßnahme bei den Schülern und Lehrern an und wie sinnvoll ist sie?

20.10.2025 | 2:01 min

ZDFheute: Unterscheiden die Menschen denn überhaupt zwischen den Ebenen Bundes-, Landes- und Kommunalpolitik?

Marschall: Eher nicht, für die Menschen ist nicht entscheidend, wer zuständig ist, das ist eher eine rechtliche Frage. Den Menschen ist es egal, ob der Bund, das Land oder ihre Kommune zuständig sind. Für sie ist einfach wichtig, dass der Staat leistungsfähig ist.

... ist Professor für Politikwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf mit dem Schwerpunkt "Politisches System Deutschlands".

Quelle: HHU Düsseldorf


ZDFheute: Wenn also in meiner Kommune Straßen oder Schulen dauerhaft marode sind, ändert das mein grundsätzliches Verhältnis zum Staat?

Marschall: Wenn die Menschen denken, die Politik kümmert sich nicht, dann zweifeln diese Menschen häufig insgesamt an der staatlichen Leistungsfähigkeit.

Das ist sehr problematisch, denn die Art und Weise, wie ich meine Kommune wahrnehme, prägt mein Bild darüber, wie der Staat insgesamt funktioniert.

Stefan Marschall, Politikwissenschaftler

Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) spricht bei der Kommunaltagung "Zusammen Zukunftsfest“.

Viele Kommunen klagen über unzureichende finanzielle Mittel. Bei einer Kommunaltagung in Mannheim hat Innenminister Dobrindt nun mehr Unterstützung vom Bund versprochen.

03.11.2025 | 1:43 min

ZDFheute: Gibt es ein Ungerechtigkeitsempfinden bei den Menschen, wenn sie sehen in meiner Kommune sind Gebühren und Abgaben höher als in den Nachbarkommunen?

Marschall: Die Menschen beobachten schon sehr genau, was in anderen Kommunen passiert. Viele kennen ja Leute aus den Nachbarkommunen und man kann die Abgaben und Gebühren ja sehr gut vergleichen. Und so kann ein deutlicher Eindruck entstehen, wenn man merkt, in der einen Kommune werden bestimmte Leistungen nicht mehr erbracht, zum Beispiel Schwimmbäder oder Bibliotheken schließen. Diese Vergleiche können dazu führen, dass Frustration entsteht.

Angespannte Finanzlage in Deutschlands Kommunen

Die Kassen sind leer, darüber klagen Länder und Kommunen schon länger. Sie fordern mehr Geld vom Bund. Eine Reportage über den alltägichen Kampf gegen klamme Kassen.

23.10.2025 | 2:35 min

ZDFheute: Viele Kommunen sind ja enorm hoch verschuldet. Ist es durch Sparen eigentlich möglich, wieder auf einen grünen Zweig zu kommen?

Marschall: Die Verschuldung ist in vielen Kommunen so massiv, die Spielräume sind völlig eingeschränkt. Das führt dazu, dass Kommunalpolitiker vielerorts eigentlich kaum noch Spielräume haben. Oft ist es so, dass nur noch die Pflichtaufgaben erfüllt werden können, es ist eine Art Mangelverwaltung.

Das heißt, man macht nur noch das, was man machen muss. Politische Gestaltungsräume gibt es dann nicht mehr.

Stefan Marschall, Politikwissenschaftler

Am Ende geht es auf der kommunalen Ebene dann nur noch um Notverwaltung, nicht mehr um Gestaltung.

Das Interview führte Jan Hofer, Korrespondent im ZDF-Studio in Düsseldorf.

Über das Thema berichtete heute in Deutschland am 1.12.25 um 14 Uhr.

Mehr zur Lage in Deutschlands Kommunen

  1. Ein Mitarbeiter einer Straßenbaufirma beseitigt in Dresden Straßenschäden

    Mehr Ausgaben, weniger Einnahmen:Kommunen: Höchstes Defizit seit der Wende

    mit Video1:41

  2. André Schröder, Landrat in Mansfeld-Südharz
    Interview

    Finanznot der Kommunen:Landrat: "Das ist politische Zechprellerei"

    mit Video4:34

  3. Kita An der Arche in Bottrop

    Studie der Bertelsmann-Stiftung:Fachkraft-Anteil in Kitas sinkt in vielen Bundesländern

    mit Video0:24

  4. Startblock in Schwimmbad gesperrt

    DLRG fordert Investitionen:Schwimmbäder: Zu wenig, zu kaputt, zu unsicher

    mit Video1:45

  5. Rathaus und Marktplatz Schwäbisch Gmünd

    Kommunen unter Druck:Reformbedarf: Bürokratie bremst Bürgermeister aus

    von Claudia Krafczyk
    mit Video11:32

  6. Archiv:  Schilder weisen vor der Moseltalbrücke der Autobahn A61 auf Brückenschäden hin.

    Firmen zu Infrastruktur befragt:Kaputte Straßen bremsen deutsche Wirtschaft

    mit Video0:20

  7. Archiv: Pressekonferenz mit Finanzminister Lars Klingbeil zur Steuerschätzung
    Analyse

    Steuerschätzung:Warum der Spardruck trotz Mehreinnahmen hoch bleibt

    von Jan Henrich
    mit Video2:52

  8. Joachim Trauboth steht in einer ukrainischen Tracht mit einer Frau vor einem Ukraine-Schriftzug.

    Finanznot in Sachsen:"Wunder von Görlitz" vor dem Aus

    von Cornelia Schiemenz
    mit Video1:59