Kommunen unter Druck:Reformbedarf: Bürokratie bremst Bürgermeister aus
von Claudia Krafczyk
Kommunen kämpfen gegen wachsende Bürokratie. Immer mehr Vorschriften und Förderchaos erschweren eigenverantwortliches Handeln und gefährden die kommunale Selbstverwaltung.
Zwei Bürgermeister zeigen, wie Bürokratieabbau in Kommunen funktioniert - zwischen Digitalisierungsfortschritt und Regelchaos.
20.10.2025 | 11:32 minRund 11.000 Bürgermeisterinnen und Bürgermeister in Deutschland ächzen unter der Last der Bürokratie. Sie tragen Verantwortung für hoheitliche Aufgaben, Infrastruktur, Soziales, Straßen- und Schulbau - doch beim "Wie" ihrer Umsetzung fehlt zunehmend der Gestaltungsspielraum.
Wenn Normen zur Belastung werden
Besonders im Bauwesen häufen sich Vorschriften, die über die Baugesetze hinausgehen. Oberbürgermeister Richard Arnold (CDU) aus Schwäbisch Gmünd kritisiert:
Es gibt mittlerweile 33.500 Normen im Baubereich - das ist heftig.
Richard Arnold, Oberbürgermeister in Schwäbisch Gmünd (CDU)
Er spricht von "Fachbruderschaften", die mit Bund, Ländern und der EU zusammenwirken, im Ergebnis aber die Kommunen mit detaillierten Regelwerken überziehen.
Rathaus und Marktplatz in Schwäbisch Gmünd (Baden-Württemberg).
Quelle: imagoAlexander Handschuh vom Deutschen Städte- und Gemeindebund fordert Vereinfachungen im Bau- und Planungsrecht. Eine gute Idee sei zum Beispiel der Gebäudetyp E.
Das vereinfachte, schnell zu genehmigende experimentelle Bauen muss endlich gesetzlich verankert werden.
Alexander Handschuh, Sprecher des Deutschen Städte- und Gemeindebunds
Ein entsprechendes Vorhaben hat die Schwarz-rote Regierung im Koalitionsvertrag festgehalten. Die Idee stammte bereits aus der Zeit der Ampel-Regierung.
Fördermittel: Eigeninitiative statt Abwarten
Ein ähnliches Problem hatte die Stadt Zossen in Brandenburg. Sie will neue Arbeitsplätze schaffen und ein Gewerbegebiet an die Bundesstraße anbinden. Doch ohne Landesmittel ist das Projekt nicht realisierbar - und die Priorisierung durch das Land bleibt aus. Die Stadt wartet seit Jahren vergeblich.
Auch Brandenburg an der Havel leidet unter maroden Brücken, zu teuren Neubauten und Bürokratie. Der Sanierungsstau gefährdet Wirtschaft und Verkehr.
09.07.2025 | 1:45 minBürgermeisterin Wiebke Şahin-Connolly (parteilos) hat deshalb eine eigene Stabsstelle zur Fördermittelakquise eingerichtet.
Wir schreiben bergeweise Anträge und Begründungen, um unsere Projekte realisieren zu können.
Wiebke Şahin-Connolly, Bürgermeisterin in Zossen (parteilos)
Und das mit Erfolg, sagt Şahin-Connolly. Die Anbindung soll 25 Millionen Euro kosten, zwölf Millionen sind bereits gesichert. Der Bau kann beginnen.
Netzwerk fordert Reformen
Einheitliche Förderanträge könnten Kommunen deutlich entlasten. Derzeit sind die Verfahren komplex und zeitaufwendig. Jochen Engel (Freie Wähler), Bürgermeister im hessischen Trebur, berichtet: "Wenn sechs Bundesbehörden einen Antrag prüfen oder Fördermittel zurückgegeben werden müssen, weil Mehrkosten durch Planung und Berichtspflichten fast alles auffressen, läuft etwas gewaltig schief."
IAB-Studie zu Bürokratieaufwand
Deutsche Unternehmen haben einer aktuellen Studie zufolge in den vergangenen drei Jahren rund 325.000 zusätzliche Arbeitskräfte eingestellt, um zunehmende Bürokratie zu bewältigen. Wie aus der Untersuchung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) hervorgeht, bewerten 14 Prozent der Betriebe ihre bürokratische Belastung im laufenden Jahr als sehr hoch - 2022 waren dies nur vier Prozent. Von den mehr als 9.000 befragten Betrieben gab jeder zehnte an, seit 2022 mehr Personal für gesetzliche Vorgaben und Dokumentationspflichten eingestellt zu haben.
80 Prozent der größeren Betriebe beklagen höhere Kosten als Folge der zunehmenden Bürokratie. 55 Prozent der Unternehmen hätten dadurch nach eigenen Angaben einen Verlust an Produktivität. "Eine sinnvolle Möglichkeit wäre es, zukünftige Gesetze und Verordnungen zunächst befristet einzusetzen und mit einem ergebnisoffenen Prüfauftrag zu verbinden", sagte Forscher Alexander Kubis.
Quelle: dpa, edp
Paragrafendschungel und Papierberge: Die Verwaltungslast in Deutschland nimmt immer weiter zu. Ehrenamtliche und kleine Unternehmen stoßen zunehmend an ihre Grenzen.
20.10.2024 | 29:47 minAuch bei der Mittelvergabe sehen Kommunen Nachbesserungsbedarf. "Fördermittel gibt es häufig nur für neue Projekte - das führt zu absurden Situationen, in denen ein Spielplatz lieber neu gebaut als instandgehalten wird", sagt Henning Witzel, Geschäftsführer des Netzwerks Junge Bürgermeister*innen (NJB).
Michael Salomo (SPD), Oberbürgermeister in Heidenheim in Baden-Württemberg, fordert deshalb:
Bürokratieabbau darf kein Lippenbekenntnis bleiben.
Michael Salomo, Oberbürgermeister in Heidenheim (SPD)
Die Entlastung müsse endlich auf der kommunalen Arbeitsebene ankommen, so Salomo.
Erprobungsparagraf: Mehr Flexibilität in der Kita
Ein Beispiel für gelungene Entbürokratisierung ist der Erprobungsparagraf in Baden-Württemberg. Er erlaubt Trägern von Kindertageseinrichtungen von Regelungen abzuweichen und neue Modelle zu erproben.
Kita-Krise, fehlende Vereinbarkeit von Job und Familie: Eva Schulz fragt, was Deutschlands Familien stresst - und wo die Politik versagt.
28.08.2025 | 44:38 minDer Hintergrund: In Deutschland arbeiten rund 840.000 Menschen in der Kinderbetreuung - mehr als in der Automobilbranche. Dennoch reicht das Personal nicht aus, um die gesetzliche Betreuungszusage zu erfüllen. Die Kita-Vorgaben sind streng: Maximal 25 Kinder pro Gruppe, davon zwölf betreut durch eine pädagogische Fachkraft. Fällt diese aus, droht die Schließung.
Im Rahmen dieses Paragrafen hat Schwäbisch Gmünd daher den Antrag gestellt, bis zu 20 Prozent des Kita-Personals durch Assistenzkräfte zu ersetzen - sofern das Kindeswohl gewahrt bleibt und Fachkräfte eingebunden sind. Das Landesjugendamt hat den Antrag genehmigt. "Solche Modelle könnten auch in der Seniorenbetreuung helfen, etwa in Pflege-WGs", erhofft sich Oberbürgermeister Richard Arnold.
Dauerhafte Entlastung nötig
Die finanzielle Lage der Kommunen ist angespannt. Laut Städte- und Gemeindebund steigt das Finanzierungsdefizit in diesem Jahr auf 30 Milliarden Euro. "Wir brauchen einen deutlich höheren Anteil der Kommunen an den Gemeinschaftssteuern und eine Entlastung bei den Ausgaben für soziale Leistungen", mahnt Alexander Handschuh vom Städte- und Gemeindebund. Andernfalls sei die kommunale Selbstverwaltung ernsthaft gefährdet.
Claudia Krafczyk ist Redakteurin beim ZDF-Magazin "WISO".
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