Kommunen in Finanznot: Warum sich Landkreise verschulden
Interview
Finanznot der Kommunen:Landrat: "Das ist politische Zechprellerei"
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Landkreise bewältigten ein Viertel aller staatlichen Aufgaben, sagt Landrat Schröder. Doch es fehle Geld. Im Interview erklärt er, warum er Verfassungsbeschwerde eingelegt hat.
Immer mehr Aufgaben, etwa Flüchtlingsunterbringung oder Deutschland-Ticket, aber das Geld fehlt. Die Landkreise sind chronisch unterfinanziert und klagen dagegen vorm Bundesverfassungsgericht.08.03.2025 | 4:34 min
Von den insgesamt 294 Landkreisen in Deutschland sind 240 ver- oder überschuldet. Der Deutsche Landkreistag schätzt den bundesweiten Fehlbetrag auf rund 20 Milliarden Euro. Auch Mansfeld-Südharz steht finanziell mit dem Rücken zur Wand.
Für die Bewältigung von Pflichtaufgaben muss sich der Landkreis immer weiter verschulden. Die im Grundgesetz verankerte Selbstverwaltung sei daher nicht mehr gegeben, sagt Landrat André Schröder. Er hat in Karlsruhe kommunale Verfassungsbeschwerde eingelegt.
André Schröder, Landrat in Mansfeld-Südharz, erwartet von der neuen Regierung, "dass sie die Belange der Kommunen ernst nimmt".
Quelle: ZDF
ZDFheute: In der Verfassungsbeschwerde geht's ja vor allem auch um die Finanzen der Landkreise. Was ist dabei ganz grundsätzlich das Problem?
André Schröder: Landkreise haben keine eigenen Steuereinnahmen. Sondern die Städte und Gemeinden finanzieren die Aufgaben des Landkreises mit ihren Steuern, mit ihren Einnahmen aus der Wirtschaftsentwicklung.
Und wenn die Wirtschaftsentwicklung nicht so ist wie erwartet, dann kann auch die Kreisumlage nicht so hoch ausfallen.
In Sachsen-Anhalt weisen alle Landkreise Fehlbeträge aus - wenngleich unterschiedlich stark.
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André Schröder, Landrat Mansfeld-Südharz
Quelle: ZDF
… ist seit 2021 Landrat von Mansfeld-Südharz. Vorher war er Finanzminister und CDU-Landtagsabgeordneter in Sachsen-Anhalt. Er stammt aus Sangerhausen, einer traditionsreichen Bergbau-Region, die seit der Wiedervereinigung einen dramatischen Strukturwandel durchlebt.
Laut einer aktuellen Umfrage spitzt sich die finanzielle Lage in Kommunen weiter zu. Der Deutsche Städtetag ruft die kommende Regierung dringend zu Entlastungen auf.17.02.2025 | 1:31 min
ZDFheute: Welche sind dabei die größten Verschuldungstreiber?
Schröder: Die größten Ausgaben fallen immer in der Sozialpolitik an, in der Kinder- und Jugendhilfe, in den ganzen Aufwendungen für die Kosten der Unterkunft. Oben drauf kommt dann z.B. noch die Migrationspolitik. Da braucht man Ärzte, Schulen, Kitas. Das ist alles eine zusätzliche Belastung für die kommunale Infrastruktur.
Das beschließt der Staat und das ist auf der kommunalen Ebene umzusetzen und mitzufinanzieren. Das ist politische Zechprellerei.
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André Schröder, Landrat Mansfeld-Südharz
Ländliche Räume müssen erheblich in ihre Infrastruktur investieren. Wie hier in Sachsen-Anhalt braucht es nicht nur finanzielle Mittel, sondern auch innovative Ideen.17.02.2025 | 2:43 min
ZDFheute: Warum kann Mansfeld-Südharz nicht weiter sparen?
Schröder: Wir haben bereits unsere freiwilligen Leistungen auf zwei Prozent, und damit auf die Untergrenze des Möglichen, zurückgeführt. Das sind etwa sechs Millionen Euro - die gehen in die Sport- und Kulturförderung, aber auch für die Straßenverkehrswacht oder Wirtschaftsförderung drauf.
Wir haben relativ wenige öffentliche Investitionen, würden da gern noch mehr tun. Und wir haben auch einen vergleichsweise unterdurchschnittlichen Personalbestand in der Verwaltung.
Ich denke, wir haben kein Ausgabeproblem, sondern wir haben ein Einnahmeproblem.
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André Schröder, Landrat Mansfeld-Südharz
Der Städtetag hat in Gotha nach Lösungen gesucht und die künftige Bundesregierung aufgefordert, die Kommunen stärker zu unterstützen. Ein Thema: Bezahlbarer Wohnraum.23.01.2025 | 1:29 min
ZDFheute: Nun können Kommunen an sich ja nicht pleitegehen. Sondern am Ende nehmen Sie für Pflichtaufgaben Kredite auf. Welche Folgen haben die knappen Kassen für die Bürger?
Schröder: Man ist immer mit Wünschen konfrontiert, die man nicht erfüllen kann. Vielleicht möchte man noch zwei, drei Sportvereine mehr fördern oder bei der Freiwilligen Feuerwehr noch etwas mehr tun.
Das heißt also, bei den freiwilligen Leistungen, die nicht durch das Gesetz vorgegeben sind, muss man sich immer sehr zurückhalten.
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André Schröder, Landrat Mansfeld-Südharz
Und bei öffentlichen Investitionen im Straßenbau, bei den Schulen, überall, wo die öffentliche Hand Geld ausgibt, da muss man sich zurückhalten, weil es eben nicht für alles reicht.
Landkreise übernehmen Aufgaben, die für alle angehörenden Städte und Gemeinden übergreifend anfallen oder deren Leistungsfähigkeit überfordern würden: wie etwa Verbindungsstraßen und Busverkehr, kommunale Krankenhäuser und weiterführende Schulbauten, oder auch die Abfallentsorgung, der Katastrophenschutz, die Kinder- und Jugendhilfe.
Anders als Bund, Länder und Gemeinden können Landkreise keine Steuern erheben. Sie erwirtschaften eigenen Einnahmen z.B. aus Vermietung, Nutzungsgebühren oder Bußgeldern. Daneben erhalten sie zweckgebunden Gelder vom Bund sowie Zuweisungen vom Land und die sogenannte Kreisumlage.
Alle kreisangehörigen Gemeinden müssen die entrichten, abhängig von ihrer Wirtschaftskraft. Über die Höhe der Zuweisungen gibt’s immer wieder Streit.
Die Kommunale Selbstverwaltung ist in Artikel 28 des Grundgesetzes garantiert. In Absatz 2 heißt es unter anderem: "Den Gemeinden muss das Recht gewährleistet sein, alle Angelegenheiten der örtlichen Gemeinschaft im Rahmen der Gesetze in eigener Verantwortung zu regeln. Auch die Gemeindeverbände haben (…) das Recht der Selbstverwaltung." Dazu zählen auch die "Grundlagen der finanziellen Eigenverantwortung".
Mit der kommunalen Verfassungsbeschwerde können Gemeinden oder Gemeindeverbände das Bundesverfassungsgericht anrufen, wenn sie die kommunale Selbstverwaltungsgarantie verletzt sehen.
Stellvertretend für alle elf Landkreise in Sachsen-Anhalt wollen Mansfeld-Südharz und der Saalekreis vom Bundesverfassungsgericht grundsätzlich klären lassen, ob es dafür auch für Landkreise eine finanzielle Mindestausstattung geben muss.
Immer mehr Aufgaben, jedoch keine zusätzlichen Mittel. Man werde finanziell überfordert, klagen deutsche Kommunen. Und fordern die Bundespolitik erneut zu einem Kurswechsel auf.03.01.2025 | 2:35 min
ZDFheute: Gemeinsam mit Ihrem Kollegen aus dem Saalekreis haben Sie nun eine kommunale Verfassungsbeschwerde eingelegt. Mit welchem Ziel?
Schröder: Über ein Viertel der staatlichen Aufgaben sind von den Landkreisen zu erfüllen und dieser Erfüllungsaufwand kostet Geld. Und deswegen muss entweder der Aufgabenbestand reduziert oder das Geld so ausreichend sein, dass es eben reicht. Wenn man Pflichtaufgaben dauerhaft über Kredite schultert, ist etwas faul.
Es fehlt an Wohnungen, an Deutsch- und Integrationskursen und auch an Geld. Ein Blick in eine betroffene Kommune zeigt die Herausforderungen.10.09.2024 | 2:17 min
ZDFheute: Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?
Schröder: Dass sie die Belange der Kommunen ernst nimmt, dass sie die Sorgen und Nöte der Menschen erkennt. Dass sie in der Lage ist, klare Entscheidungen zu treffen und das, was sie vorgibt, auch ausreichend ausfinanziert.
Da ist natürlich der Wunsch - und ich glaube, dass es parteiübergreifend gewollt ist, dass es notwendige Anpassungen in der Migrationspolitik und in der Wirtschaftspolitik gibt. Außerdem wäre eine Verwaltungsreform wichtig und ein Bürokratieabbau. Das gilt für die Bundes- wie auch die Landespolitik.
Das Interview führte Annette Pöschel, Reporterin im ZDF-Landesstudio Sachsen-Anhalt.
Quelle: dpa
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