Finanznot in Sachsen:"Wunder von Görlitz" vor dem Aus
von Cornelia Schiemenz
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Seit 2022 kümmern sich Ehrenamtliche in Görlitz um traumatisierte Frauen aus der Ukraine. Nun droht der deutsch-ukrainischen Begegnungsstätte das Aus.
An den Wänden hängen bedrückende Bilder. Stilisierte blutgetränkte Raketen fallen auf eine schlafende Frau. Eine Frau in ukrainischer Tracht steht inmitten eines Flammenmeers. Gemalt wurden die Bilder von geflüchteten Ukrainerinnen, die im sächsischen Görlitz eine neue Bleibe gefunden haben.
Der wöchentliche Malkurs ist Teil einer Traumatabegleitung. Angeboten von Psychologinnen, die ebenfalls geflüchtet sind. "Wir essen, reden und weinen hier zusammen. Dabei versuchen wir, die psychischen Probleme der Frauen zu lösen. Schritt für Schritt", erklärt Victoriia Sheliia, Psychologin aus Charkiw.
Seit Ausbruch des Kriegs in der Ukraine wurden in der deutsch-ukrainischen Begegnungsstätte über 15.000 Frauen betreut, plus deren Kinder. Alles ehrenamtlich. Als "Wunder von Görlitz" wird das Projekt gern bezeichnet. Ein Wunder, dass nun zu scheitern droht. Denn die Kassen der Kommunen, Landkreise und des Landes sind leer.
Projekte in Sachsen fürchten um Existenz
Joachim Trauboth (SPD) ist Integrationsbeauftragter der Stadt Görlitz und Initiator der Begegnungsstätte. Seit Jahren steckt er seine Zeit, sein Geld, seine Gesundheit in das Projekt.
Ich habe Albträume nachts. Dass immer mehr Frauen über die Brücke aus Polen kommen. Und wir ihnen nicht mehr helfen können, weil kein Geld da ist.
Joachim Trauboth, Initiator der Begegnungsstätte
"Ich nehme die Auszeichnung nur stellvertretend an und widme sie der gesamten Ukraine": Joachim Trauboth bekommt den Ehrenamtspreis.
Quelle: ZDF
Trauboth weiß, dass im Moment in Sachsen viele Projekte um ihre Existenz fürchten, dass die politisch Verantwortlichen schwere Entscheidungen zu treffen haben, wem sie die wenigen Fördermittel geben. Er fürchtet, dass Projekte bevorzugt würden, die in der Bevölkerung attraktiv sind, wie ein Schützenverein. "Da geht es aber um Spaß. Bei uns geht’s um Menschenleben. Und darum ist es ein Drama, wenn das Projekt gestoppt wird", so Trauboth.
Kretschmer sieht finanzielle Notlage in Sachsen
Als die Spitzen der möglichen zukünftigen Minderheitsregierung in Sachsen in der vergangenen Woche vor die Presse traten, um ihren Koalitionsvertrag zu präsentieren, war viel von Geld die Rede. Von fehlendem Geld im sächsischen Haushalt. Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU sprach von einer "finanziellen Notlage".
Wegen der schwierigen Regierungsbildung gibt es noch keinen Haushalt, alle Pläne stehen unter Finanzierungsvorbehalt. Sachsen muss sparen. Weniger Geld für zukünftige Beamte, Streichung eines Ministeriums sowie Reduzierung von Staatssekretären - alles beschlossen. "Wir übernehmen Verantwortung in dieser schwierigen Zeit", so Michael Kretschmer.
Sparkurs trifft auch Vereine und Projekte
Doch der Sparkurs trifft nicht nur Beamte und Staatssekretäre, sondern eben auch unzählige Vereine und Projekte im Freistaat. Joachim Trauboth, der Gründer der deutsch-ukrainischen Begegnungsstätte in Görlitz, rechnet vor: Bislang gab die Sächsische Aufbaubank Gelder, um die Nebenkosten des Ukrainehauses zu übernehmen. 25.000 Euro im Jahr. Diese Förderung wird eingestellt, der Verein muss aus den Räumlichkeiten raus. Es ist das Ende.
Der Oberbürgermeister von Görlitz, Octavian Ursu, weiß um die Arbeit der vielen Ehrenamtlichen und um die Traumata vieler ukrainischer Frauen.
Es ist ein herausragendes Projekt. Wir suchen nach Lösungen. Aber wir werden es allein nicht stemmen können.
Octavian Ursu, Oberbürgermeister von Görlitz
Es ist der klassische Ruf einer Kommune nach mehr Hilfe vom Freistaat und vom Bund.
Ehrenamtspreis trotz unsicherer Zukunft
Es ist eine Ironie des Schicksals. Parallel zum Aus für "das Wunder von Görlitz" erhält Joachim Trauboth am 5. Dezember den Ehrenamtspreis der Stadt für sein jahrelanges Engagement für die Ukraine. Er nutzt die festliche Verleihung im Görlitzer Gerhart-Hauptmann-Theater für mahnende Worte in Richtung Politik. Gekleidet in eine Wyschywanka, der typisch ukrainischen Tracht, und umringt von den Frauen, denen er seit Jahren hilft, sagt Trauboth unter Tränen:
Ich nehme die Auszeichnung nur stellvertretend an und widme sie der gesamten Ukraine.
Joachim Trauboth, Initiator der Begegnungsstätte
Cornelia Schiemenz ist Leiterin des ZDF-Landesstudios in Sachsen.
Quelle: dpa
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