Wehrpflicht:Ist das Losverfahren gerecht, Herr Wüstner?
Oberst André Wüstner erklärt, warum ein klarer Mechanismus für die Wehrpflicht nötig ist, welche Risiken hybride Angriffe bergen und warum Drohnenabwehr nur ein Anfang ist.
Oberst André Wüstner im ZDF (Archivbild).
Quelle: ZDF/Svea PietschmannDie sicherheitspolitische Lage Deutschlands ist angespannt: Hybride Angriffe, Spionage und Terrorismus stellen Staat und Gesellschaft vor neue Herausforderungen. Gleichzeitig ringt die Politik um die Frage, wie die Bundeswehr personell aufgestellt werden soll. Ein Losverfahren für die Wehrpflicht wird diskutiert - ist das gerecht oder problematisch?
Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes, warnt im ZDFheute-Interview vor gravierenden Defiziten des deutschen Militärs:
ZDFheute: Wehrpflicht per Losverfahren - wäre das wirklich gerecht?
André Wüstner: Sollten sich nicht genügend Freiwillige für den Dienst in der Bundeswehr entscheiden oder sich die sicherheitspolitische Lage ändern, muss ein Verfahren beschrieben sein, das die Einberufung von Wehrpflichtigen verfassungskonform ermöglicht. Bei einem Losverfahren haben alle die gleichen Chancen - Willkür ist ausgeschlossen. Insofern ist es sicher gerechter, als einfach die Musterungs- und Eignungskriterien so zu verschärfen, dass nur noch ein Bruchteil eingezogen werden würde.
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...ist Bundesvorsitzender des Deutschen Bundeswehr Verbandes e.V. Von 2008 bis 2013 leitete er den Gesamtvertrauenspersonenausschuss beim Verteidigungsministerium. 2009 wählten ihn die Delegierten der 18. Hauptversammlung des Deutschen Bundeswehrverbandes zum zweiten stellvertretenden Bundesvorsitzenden. 2013 folgte die Wahl zum Bundesvorsitzenden, die 2017 und 2021 jeweils bestätigt wurde.
Wüstner ist seit 1994 Soldat des Heeres und hat zahlreiche Stabs-, Ausbildungs- und Führungsverwendungen durchlaufen. Er war mehrfach in Auslandseinsätzen, unter anderem im Kosovo und in Afghanistan, wo er als unmittelbarer Vorgesetzter Verantwortung für seine Soldaten auch in extremen Gefahrensituationen trug.
Die Frage der Verfassungsmäßigkeit muss natürlich von Juristen beurteilt werden, aber das Gutachten von Professor Udo di Fabio bezieht sich exakt auf diese Fragestellung. Auf jeden Fall ist es eine gute Idee, den notwendigen Aufwuchspfad - für Wehrdienstleistende und die Profis (Zeit- und Berufssoldaten) gleichermaßen - klar zu beschreiben.
Union und SPD ringen um den künftigen Wehrdienst: Während die Union notfalls ein Losverfahren fordert, setzt Verteidigungsminister Pistorius weiter auf Freiwilligkeit.
15.10.2025 | 1:38 minSo lässt sich objektiv nachvollziehen, ob die Zahlen mit Blick auf die Personalgewinnung erreicht werden. Tun sie es nicht, muss der Mechanismus der verpflichtenden Einberufung in Kraft gesetzt werden, der den personellen Aufwuchs gewährleistet.
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ZDFheute: Hat Boris Pistorius der Koalition eine erneute Krise beschert?
"Krise" ist so ein großes Wort, aber gut gelaufen ist es nicht.
Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes
Wüstner: Der Vorgang ist sicher ungewöhnlich, aber er zeigt, wie emotional um dieses wichtige Thema gerungen wird. Jetzt kommt es darauf an, dass die parlamentarische Befassung wie geplant ihren Lauf nimmt, damit das Gesetz zügig in Kraft treten kann. Die Beratungen laufen bereits im Hintergrund weiter, im November ist eine Expertenanhörung vorgesehen und somit bleibe ich bezogen auf eine Kompromissfindung zuversichtlich.
Die Regierungskoalition von Union und SPD streitet weiterhin über den Gesetzentwurf zum Wehrdienst. ZDF-Korrespondentin Diana Zimmermann mit einer Einschätzung.
15.10.2025 | 1:15 minZDFheute: Hybride Kriegsführung, Spionage und Terrorismus: die Chefs der drei deutschen Nachrichtendienste berichteten diese Woche über aktuelle Gefahren und Herausforderungen - welche Rolle kann und sollte die Bundeswehr bei der Gefahrenabwehr einnehmen?
Wüstner: Diese Woche wurde wie lange nicht die Bedrohungslage öffentlich beschrieben. Und ja, wir sind verwundbar. Dass die Grenze zwischen Äußerer und Innerer Sicherheit weiter verschwimmt, ist kein neues Phänomen. Hybride Angriffe, zum Beispiel im Cyberraum, haben diesen Trend nochmals verstärkt.
Darauf sind wir als Staat und Gesellschaft noch nicht angemessen eingestellt.
Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes
Es gibt trotzdem gute Gründe gegen einen Einsatz der Bundeswehr im Innern. Einerseits haben die Streitkräfte ihren Kernauftrag zu erfüllen, das ist die Landes- und Bündnisverteidigung. Andererseits stehen Bund und Länder in der Pflicht, ihre Instrumente so aufzustellen, dass sie die Innere Sicherheit gewährleisten können.
Fakt ist, das Verteidigungsministerium hatte in der letzten Legislaturperiode mit seinen Hausaufgaben begonnen, im Innenministerium ist man dagegen leider über die Erarbeitung von Dachdokumenten nicht hinausgekommen.
Im Klartext: Im Bereich der Inneren Sicherheit besteht enormer Nachholbedarf!
Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes
Eigentlich wollten Union und SPD eine Einigung auf ein Losverfahren für den Wehrdienst verkünden. Doch dann wurde eine Pressekonferenz abgesagt. Was ist los in der Koalition?
14.10.2025 | 3:00 minZDFheute: Innenminister Dobrindt hat letzte Woche ein Gesetzespaket für die Abwehr von Drohnen auf den Weg gebracht. Sind die Maßnahmen darin ausreichend?
Wüstner: Drohnenabwehr ist ein Thema, das alle Sicherheitsbehörden, künftig sogar zivile Wachdienste im Rahmen des Werkschutzes betrifft. Die Zahl der zu schützenden Objekte ist einfach enorm - denken Sie an Häfen, Flughäfen, Strom- und Wasserwerke, Brücken, Industrieanlagen, Krankenhäuser, Telekommunikationsinfrastruktur und so weiter.
Die Maßnahmen sind zumindest ein Anfang, es ist gut, dass Politik an dieser Stelle ein Problembewusstsein entwickelt.
Oberst André Wüstner, Vorsitzender des Deutschen Bundeswehrverbandes
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Sie reicht allerdings bei weitem nicht aus, denn es gibt eine Vielzahl von Bedrohungen im Spektrum hybrider Angriffe. Jetzt ist wichtig, Kompetenzen und technische Mittel aufzubauen, um der Bedrohung im Inneren in Gänze wirksam zu begegnen.
Am Donnerstagabend, 16. November 2025, diskutiert Wüstner bei maybrit illner im ZDF zum Thema "Deutschlands Sicherheit - neue Gefahren von außen und innen?".
Das Interview führte Claudia Rochel aus der Redaktion "maybrit illner".
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