Türkei-Experte Çopur :Merz bei Erdogan: "Treffen im Zeichen der Realpolitik"
Kanzler Merz sieht sich nach seinem Besuch beim türkischen Präsidenten Erdogan mit Kritik konfrontiert. Doch Türkei-Experte Çopur sagt, es sei ein Treffen auf "Augenhöhe" gewesen.
Im Zeichen der Realpolitik seien sich Merz und Erdogan in Ankara auf Augenhöhe begegnet, so Türkei-Experte Burak Çopur. Beim Thema Gaza werde es jedoch "keine Annäherung geben".
31.10.2025 | 4:46 minDer Antrittsbesuch von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) in Ankara hat in Berlin Kritik ausgelöst. Vertreter von Koalitionspartner SPD und Grünen werfen ihm vor, zu Menschenrechtsfragen geschwiegen zu haben. Der SPD-Abgeordnete Serdar Yüksel etwa sagte dem "Focus":
Wer in Ankara über europäische Perspektiven spricht, darf über die menschenrechtliche Realität im Land nicht schweigen.
Serdar Yüksel, SPD
Bundeskanzler Merz besucht Präsident Erdogan in Ankara und setzt auf Partnerschaft. Beim Thema Gaza geraten beide öffentlich aneinander. Erdogan kritisiert Israels Vorgehen scharf.
30.10.2025 | 2:52 minPolitikwissenschaftler Çopur: Merz will Erdogan nicht verärgern
Politikwissenschaftler Burak Çopur sieht in der Nicht-Thematisierung während seiner Rede viel mehr "politisches Kalkül". Der Bundeskanzler habe den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan nicht verärgern wollen, erklärt der Türkei-Experte im heute journal update.
Merz war natürlich vorbereitet genug und schlau genug, um diese Atmosphäre der Annäherung, des Zusammenrückens jetzt nicht besonders zu belasten durch Demokratiefragen und Fragen der Rechtsstaatlichkeit.
Burak Çopur, Politikwissenschaftler
Schließlich würden solche Treffen "nicht auf einem Schmierzettel vorbereitet, sondern intensiv über Tage oder Wochen". Dass Merz als Reaktion auf die Frage eines Journalisten dennoch auch kritische Töne äußerte, deutet Çopur als "Beruhigungspille" - möglicherweise auch für den Koalitionspartner SPD.
- Kanzler-Besuch in Türkei: Erdogan und Merz bei Gaza-Krieg uneins
Çopur glaubt nicht, dass ein Dissens über den Gaza-Krieg die Annäherung zwischen der Bundesrepublik und der Türkei gefährden werde. Dafür seien beide Pragmatiker und Realpolitiker. Deutschland werde daran festhalten, die Hamas als Terrororganisation zu bezeichnen, während Erdogan die Ereignisse weiter als Völkermord bezeichnen werde, so Çopur.
Bundeskanzler Merz will mit Präsident Erdogan Wege für eine engere Zusammenarbeit in Sicherheits-, Migrations- und Außenpolitik finden.
30.10.2025 | 1:44 minÇopur: Merz setzt in der Türkei auf Realpolitik
Der Politikwissenschaftler deutet die Zusammenkunft demnach als "ein Treffen im Zeichen der Realpolitik". Die Pressekonferenz habe "eine neue Qualität, eine neue Dimension" gehabt. "Wir haben es hier nicht mit einem eher bürokratisch wirkenden, hanseatisch, kühl wirkenden Ex-Bundeskanzler Scholz zu tun", so Çopur, sondern:
Hier haben wir tatsächlich zwei Macht- und Realpolitiker, die sich auf Augenhöhe getroffen haben.
Burak Çopur, Politikwissenschaftler
Ziel sei es gewesen, "strategische, sicherheitspolitische Interessen der Europäischen Union, aber auch Deutschlands zu besprechen und die Türkei hier weiter an den Westen, an die Europäische Union zu binden".
"Ziel ist, die Gesprächsatmosphäre zu verbessern, Vertrauen herzustellen, und damit dann die Tür zu öffnen für Abkommen und Vereinbarungen", berichtet ZDF-Korrespondent Karl Hinterleitner zu Merz' Treffen mit Erdogan.
30.10.2025 | 3:11 minÇopur: Beide Seiten brauchen einander
Schließlich bräuchten beide Seiten einander - "wenn auch aus der Not heraus". Sicherheitspolitische Herausforderungen wie der Ukraine- und der Gaza-Krieg hätten beide Länder gezwungen, "zusammenzurücken". Çopur führt aus:
- Die Türkei wolle sich zudem weiter aufrüsten - wie auch der Kauf von Eurofightern zeigt - und sei angewiesen auf die EU, deren Beitrittskandidat sie offiziell ist. Zudem strebe Erdogan nach internationaler Legitimität. Der türkische Präsident wolle "nicht mehr gesehen werden als Diktator, als Autokrat, sondern als Weltpolitiker, der gestaltet" und immer wieder die Vermittlerrolle einnehme.
- Deutschland ist hingegen in Flüchtlingsfragen auf die Türkei angewiesen. Hier stünden "einerseits die Rückführung von circa 20.000 türkischen Staatsbürgern, aber auch syrischer Flüchtlinge nach Syrien zur Diskussion". Vor allem aber werde die Türkei als Nato-Partner im Ukraine-Konflikt und in Gaza gebraucht. Im Gaza-Krieg könne die Türkei durch ihre Kanäle zur Terrororganisation Hamas vermitteln.
"Und wenn damit dann tatsächlich dieser schreckliche Krieg zu Ende ist und man wieder zurück zur Diplomatie findet, ist tatsächlich für alle Seiten etwas gewonnen", resümiert Çopur.
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