Can Dündar über Europas Türkei-Politik: "Bin enttäuscht"

Can Dündar zu Merz' Besuch bei Erdogan:Kritiker über Europas Türkei-Politik: "Bin enttäuscht"

von Cornelius Janzen

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Der türkische Exil-Journalist Can Dündar gilt in der Türkei als Staatsfeind. Vor Friedrich Merz' Besuch in Ankara kritisiert er Europas Haltung im Umgang mit Präsident Erdogan.

Foto eines Mannes mit weißen Locken, graumeliertem Bart und runder Metall-Brille.

Der türkische Journalist Can Dündar schreibt über seinen Auftragskiller und die Verflechtungen des türkischen Staates mit kriminellen Netzwerken.

29.10.2025 | 12:17 min

Die Nachbildung einer Gefängniszelle aus dem türkischen Hochsicherheitsgefängnis Silivri steht mitten in Berlin. "Prison of Thought" - so der Titel. Ein gläserner Kasten: Neonlicht, ein Bett, ein Tisch, eine Toilette, kaum Platz zum Bewegen. Für Can Dündar ist der Raum mehr als Kunst. Er ist ein politisches Statement.

Auch er saß in der Türkei drei Monate in einer solchen Zelle. "Man lebt in völliger Ungewissheit über die eigene Zukunft", sagt der Journalist.

Man weiß, dass alles vom Präsidenten abhängt. Das ist Autokratie.

Can Dündar, Journalist

Dündar, Can typical
Quelle: SVEN SIMON | ossowski, malte

... war Chefredakteur der regierungskritischen Zeitung Cumhuriyet. Nachdem er über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes nach Syrien berichtet hatte, wurde er 2015 inhaftiert und später in Abwesenheit zu 27 Jahren Haft verurteilt. Die türkische Regierung bezeichnet ihn als Landesverräter, Dündar spricht von politischer Verfolgung. 2016 konnte er das Land verlassen und lebt seitdem im Berliner Exil. 


Istanbuls Bürgermeister Imamoglu in Haft

Die Installation, die Dündar konzipiert hat, steht nun im Garten des Gorki-Theaters und soll demnächst auch in anderen europäischen Hauptstädten zu sehen sein. Sie ist dem Istanbuler Bürgermeister Ekrem Imamoglu gewidmet, dem Präsidentschaftskandidat der Partei CHP und wichtigstem Oppositionspolitiker der Türkei.

Karl Hinterleitner

"Ziel ist, die Gesprächsatmosphäre zu verbessern, Vertrauen herzustellen, und damit dann die Tür zu öffnen für Abkommen und Vereinbarungen", berichtet ZDF-Korrespondent Karl Hinterleitner zu Merz' Treffen mit Erdogan.

30.10.2025 | 3:11 min

Er sitzt wegen Korruptionsvorwürfen in Untersuchungshaft. "Wir waren beide in Silivri", sagt Dündar im ZDFheute-Interview. "Er bezahlt den Preis für seinen Wahlsieg bei den Kommunalwahlen. Es ist leicht für einen Autokraten, Wahlen zu gewinnen, wenn man einfach die Rivalen einsperrt", meint er.

Deutliche Worte findet Dündar auch für europäische Politiker - und ihren Umgang mit dem türkischen Präsident Recep Tayyip Erdogan. "Ich bin enttäuscht, wenn ich sehe, dass sie ihm geben, was er haben will, dass sie sich vor ihm verbeugen, obwohl sie wissen, dass er ein Autokrat ist, der die Demokratie zerstört", sagt Dündar.

Europa sieht die Türkei als Pufferzone für Flüchtlinge und als Markt für Waffenverkäufe, nicht als einen demokratischen Partner.

Can Dündar, Journalist

Frauen protestieren und halten Schilder bei einer Demo der türkischen Oppositionspartei CHP in Istanbul.

In Istanbul haben Tausende Menschen gegen die Verhaftung von Ekrem Imamoglu protestiert. Der Istanbuler Bürgermeister galt als aussichtsreichster Herausforderer von Präsident Erdogan.

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Friedrich Merz besucht Erdogan in der Türkei

Nach seiner Einschätzung sollte Europa mehr Solidarität mit demokratischen Kräften in der Türkei zeigen: "Meinungsumfragen zeigen, dass die Oppositionspartei die nächsten Wahlen gewinnen könnte. Wenn Friedrich Merz Erdogan besucht, sollte er auch den Oppositionsführer treffen", sagt Dündar mit Blick auf den aktuellen Besuch des Bundeskanzlers in der Türkei.

Seit 2016 lebt Dündar im Berliner Exil. In der Türkei drohen ihm 27 Jahre Haft - ihm werden Geheimnisverrat, Spionage und Terrorunterstützung vorgeworfen. Hintergrund des Verfahrens ist ein Bericht über mutmaßliche Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Gruppen in Syrien, den er 2015 als Chefredakteur der Zeitung Cumhuriyet veröffentlichte.

Die Regierung dementierte. Staatspräsident Erdogan stellte persönlich Strafanzeige, sprach davon, dass es sich dabei um "humanitäre Hilfe" für bedrohte Turkmenen in Syrien gehandelt habe. Er bezeichnete den Journalisten öffentlich als "Verräter", der einen Preis zahlen werde. Im Mai 2016 überlebte Dündar ein Attentat vor einem Gerichtsgebäude in Istanbul.

Der türkische Oppositionsvorsitzende Özgur Özel auf dem Weg zu einer Zeremonie, umringt von Menschen (möglicherweise Bodyguards)

In der Türkei droht dem Vorsitzenden der größten Oppositionspartei CHP die Absetzung. Zehntausende CHP-Anhänger protestierten dagegen: Der Prozess sei politisch motiviert.

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Bedrohung auch in Deutschland

Auch in Deutschland bleibt die Bedrohung präsent. In seinem neuen Buch "Ich traf meinen Mörder" schildert Dündar, wie ihn 2020 ein Brief aus einem argentinischen Gefängnis erreichte: Ein Mann namens Serkan K. (vollständiger Name hier gekürzt), ein türkischer Staatsangehöriger, der Dündar zufolge Verbindungen zur türkischen Mafia und Sicherheitskreisen haben soll, schrieb: "Man gab mir den Auftrag, Sie zu töten."

Dündar reiste nach Argentinien, um K. im Gefängnis zu treffen. Dort behauptete K., er habe den Auftrag 2016 von einem türkischen Geheimdienstmitarbeiter in Izmir erhalten, diesen aber abgelehnt. Eine Woche später habe das Attentat auf Dündar stattgefunden.

Nach Dündars Darstellung berichtete K. weiter, dass er Waffenlieferungen aus der Türkei an Terrororganisationen in Syrien verteilt habe. Auch diese Angaben lassen sich nicht überprüfen. Doch für Dündar ist K. ein weiterer Zeuge seiner Story über die Waffenlieferungen.

Montage Can Dündar und Recep Tayyip Erdogan

Wie die türkische Regierung weltweit Kritiker jagt

09.05.2023 | 43:48 min

Türkische Waffenlieferungen an Dschihadisten?

Offizielle türkische Stellen weisen derartige Anschuldigungen zurück. Doch auch der ehemalige Mafiaboss Sedat Peker behauptete 2021 in YouTube-Videos, dass es türkische Waffenlieferungen an Dschihadisten gegeben habe. Und es Verbindungen zwischen Politik, Geheimdienst und Unterwelt gebe. Eine unabhängige Überprüfung seiner Aussagen steht bislang aus.

Nach Dündars Einschätzung fügen sich die Aussagen jedoch in ein größeres Muster, das er auf seine Recherchen stützt: Er spricht von einem "Mafia-Staat", in dem Erdogan "alles unter seiner Herrschaft vereint habe, um seine Macht fortzusetzen".

Wir können keine Gerechtigkeit herstellen und trotzdem bleiben die Menschen mutig und gehen auf die Straße.

Can Dündar, Journalist

Auch er selbst bleibe trotz aller Drohungen entschlossen: "Selbst wenn man die Geschichte hinter sich lassen will: Sie holt einen wieder ein. Ich bereue nichts. Es war meine Pflicht. Und ich mache weiter mit meinen Recherchen."

Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter für 3sat Kulturzeit.

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