Was passiert, wenn die USA ihre Ukraine-Hilfe stoppen? Information und Kommunikation sind entscheidend, Luftverteidigung wäre kritisch, aber ein Zusammenbruch nicht zu erwarten.
Nicht nur ATACMS-Raketen, vor allem US-Aufklärungssysteme und US-Informationen helfen der Ukraine. (Archivfoto)
Quelle: dpa
Obwohl der Pressesprecher des Weißen Hauses mitteilt, die USA hätten beschlossen, jegliche militärische Unterstützung für die Ukraine auszusetzen, ist diese Aussage mit Vorsicht zu genießen. Erstens kann ein Pressesprecher nur das sagen, was der Präsident der Vereinigten Staaten zulässt - und Donald Trumps Kommunikation zu diesem Thema war bekanntermaßen äußerst inkohärent. Es ist nicht auszuschließen, dass diese aktuelle Erklärung schon bald durch eine nächste, widersprüchliche Aussage ersetzt wird.
Zweitens ist bislang unklar, was "aussetzen" konkret bedeutet, worauf sich dieser Schritt bezieht und in welchem Zeitrahmen er erfolgen soll. Drittens sollte man in Anbetracht der bisherigen Inkohärenz auf Informationen vor Ort warten, um verlässlich beurteilen zu können, ob die Militärhilfe tatsächlich eingestellt wurde und was das in der Praxis bedeutet.
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Eine weitere Variable ist, ob sich die Aussetzung ausschließlich auf künftige Lieferungen bezieht oder auch bereits nach Polen und in die Ukraine gelieferte Waffen einschließt. Konkrete Zahlen und Details sind (zu Recht) geheim, doch auch diese Frage spielt eine wichtige Rolle.
Der schlimmste Fall: Ende der Informationsversorgung
Es lassen sich verschiedene Szenarien entwerfen. Im schlimmsten Fall wird jede Form der nachrichtendienstlichen und kommunikationstechnischen Unterstützung unmittelbar eingestellt. Für die ukrainischen Einheiten an der Front wäre das besonders problematisch, vor allem im Kursker Vorgebirge, wo sie stark auf US-Militärsatelliten angewiesen sind.
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Ein Verlust des Zugangs zu Starlink würde die Reaktionsfähigkeit erheblich verzögern und die "Kill Chain" - vom Erfassen und Verarbeiten von Daten bis hin zur Weitergabe an Waffensysteme - von wenigen Minuten auf potenziell mehrere Stunden verlängern. Damit würden die Einheiten an der Front deutlich angreifbarer für russische Truppen.
Außerdem würde ein Ausbleiben des Informationsaustauschs die Fähigkeit der Ukraine zu tiefgehenden Präzisionsschlägen auf russischem Territorium stark beeinträchtigen oder sogar ganz verhindern. Wie groß die Einschränkung genau wäre, lässt sich aus offenen Quellen allerdings nicht abschätzen, da nicht bekannt ist, welche Informationsquellen (und von wem) die Ukraine für solche Angriffe nutzt.
Munition und Drohnen kein großer Engpass mehr
Bei der Munition ist die Ukraine kurz- und mittelfristig vergleichsweise gut aufgestellt. Die Lage hat sich gegenüber dem Vorjahr verbessert, was sowohl auf eine erhöhte ukrainische als auch europäische Produktion sowie Lieferungen im Rahmen der "tschechischen Initiative" zurückzuführen ist.
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... ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
Aktuell wird das Verhältnis zwischen ukrainischem und russischem Artilleriefeuer auf etwa 1:2 geschätzt, manche sprechen sogar von 1:1,5. Zudem entstehen die meisten Personalverluste an der Front inzwischen durch FPV-Drohnen, bei denen die Ukraine nahezu autark ist.
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Blockade des Luftverteidigungssystems hätte zivile Opfer zur Folge
Sollten die USA beschließen, den Einsatz ihrer in den USA hergestellten Luftverteidigungssysteme zu blockieren - einschließlich Radaren und Raketen - und die dafür nötigen Informationen über den Luftraum nicht mehr zu übermitteln, könnte dies die Effizienz der ukrainischen Luftabwehr radikal verringern.
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Damit hätte die Ukraine kaum noch Mittel, um russische ballistische Raketen abzufangen. Das ukrainische Energiesystem würde schnell geschwächt, da es weiterhin ein Hauptziel russischer Luftangriffe sein dürfte - zumal die USAID-Unterstützung für Reparaturen an der Energieinfrastruktur bereits eingestellt wurde.
Rückgabe von US-Systemen
Rein theoretisch könnten die USA die Ukraine auffordern, sämtliche Waffensysteme mit US-amerikanischen Komponenten nicht mehr zu verwenden. Bei bereits eingesetzten Waffen - etwa Bradleys, Rohrartilleriesystemen oder diversen Schusswaffen - wäre das jedoch nur schwer durchzusetzen.
Vielleicht ließe sich die Nutzung von Himars und einigen fortschrittlicheren Systemen unterbinden, aber eine sofortige, entscheidende Wirkung wäre auch dabei unwahrscheinlich. Angesichts der Schwierigkeiten bei der Umsetzung und der langfristigen negativen Auswirkungen auf das US-Image als Waffenlieferant ist dieses Szenario zudem wenig realistisch.
Unmittelbarer Zusammenbruch unwahrscheinlich
Alles in allem ist die Aufklärungs- und Kommunikationsunterstützung für die Ukraine derzeit das wichtigste Element der US-Militärhilfe. Fällt sie aus, gerieten die ukrainischen Einheiten an der Front in eine deutlich schwierigere Lage, und die Verluste würden rasch steigen.
Eine Einstellung der Luftverteidigungsunterstützung würde zusätzlich die Zivilbevölkerung gefährden. Dennoch ist ein unmittelbarer Zusammenbruch der ukrainischen Streitkräfte unter diesen Umständen sehr unwahrscheinlich.
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