Vorschlag zu begrenztem Waffenstillstand: Russland spielt auf Zeit
Analyse
Vorschlag zu Teil-Waffenruhe:US-Ultimatum: Russland spielt wieder auf Zeit
von Christian Mölling, András Rácz
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Ist der Kreml bereit, kurz vor Ablauf der US-Sanktionsfrist über eine mögliche Waffenruhe zu verhandeln? Es ist eher ein Versuch, Zeit zu gewinnen.
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Angesichts der von Trump gesetzten neuen Frist bis zum 8. August signalisierten russische Entscheidungsträger ihre Bereitschaft, über einen begrenzten Waffenstillstand zu verhandeln, der nur die Luftangriffe auf das Hinterland der Ukraine stoppen würde.
Auch wenn Details noch nicht öffentlich bekannt gegeben wurden - zumindest noch nicht - ist klar, dass eine solche Idee aufgrund mehrerer politischer und technischer Faktoren kaum ernst gemeint sein kann.
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1. Keine Klärung der Bedingungen mit Kiew
In erster Linie hätte Russland Gegenseitigkeit erwartet, sodass auch die Ukraine ihre Drohnenangriffe auf russische Logistik, Ölverarbeitungsanlagen und Infrastruktur hätte einstellen müssen.
Soweit aus offenen Quellen rekonstruierbar ist, wurde diese Idee jedoch nie mit der Ukraine abgestimmt, so dass die Bereitschaft Kiews nicht als selbstverständlich angesehen werden konnte.
Quelle: DGAP
... ist Senior Advisor beim European Policy Centre. Er forscht und publiziert seit über 20 Jahren zu den Themenkomplexen Sicherheit und Verteidigung, Rüstung und Technologie, Stabilisierung und Krisenmanagement. Für ZDFheute analysiert er regelmäßig die militärischen Entwicklungen im Ukraine-Konflikt.
Quelle: DGAP
... ist Associate Fellow im Programm Sicherheit und Verteidigung der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP) in Berlin. Er forscht und publiziert zu Streitkräften in Osteuropa und Russland und hybrider Kriegsführung.
2. Keine Definition über die Bedeutung
Russland erklärt nicht, was "Einstellung des Luftkriegs" bedeuten würde. Würde die Einstellung des Luftkriegs nach Entfernung, das heißt nach bestimmten Kilometern von der Frontlinie, oder nach Waffensystemen definiert werden?
Wenn dies nur für das "Hinterland", also die Gebiete, die 30, 40, oder 50 Kilometer hinter der Frontlinie liegen gilt, könnte Russland seine Luftangriffe weiterhin auf das Frontgebiet selbst konzentrieren. Unterdessen ist es unrealistisch, eine vollständige Einstellung der Flüge über dem Frontgebiet zu erwarten, da leichte Drohnen auf beiden Seiten eine entscheidende Rolle bei der Aufklärung spielen.
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Oder würde dies bedeuten, dass bestimmte Waffensysteme nicht mehr eingesetzt werden dürfen? Würden nur Luftangriffe der taktischen Luftwaffe eingestellt? Würden auch Gleitbomben davon betroffen sein? Würden auch ballistische Raketen nicht mehr eingesetzt werden? Oder würde dies nur den Einsatz von Langstrecken-Angriffsdrohnen, den sogenannten "Geran"-Drohnen, betreffen? All diese Details fehlten völlig.
Die Geran-2-Drohne habe eine "lange Geschichte", erklärt Militärexperte Lange. "Das ist eine Drohne, die Russland aus dem Iran zunächst importiert hat und dann die Produktion in Lizenz aufgenommen hat und diese Drohne verbessert hat." Die ursprüngliche Bezeichnung sei "Shahed" gewesen. Inzwischen werde sie unter dem russischen Namen Geran-2 geführt.
Es handele sich um eine verbesserte Version der iranischen Vorlage, die nun in großer Stückzahl hergestellt werde. "Im Grunde ist Drohne auch gar nicht der richtige Begriff", sagt Lange. Viele würden bei Drohnen an kleine Fluggeräte denken, doch "diese Geran-2 sind relativ groß". Vom Charakter her seien sie eher "sehr billige Marschflugkörper, die über weite Entfernungen sehr genau großen Schaden anrichten können".
Ihre Gefährlichkeit entstehe vor allem durch die Masse ihres Einsatzes. Um sich gegen solche Schwärme zu verteidigen, müsse man "sehr viele unterschiedliche Dinge tun".
3. Mangelnde Überprüfbarkeit
Drittens wäre auch die Frage der Überprüfung wichtig gewesen, also, wie kann nachgewiesen werden, dass die Luftangriffe tatsächlich eingestellt wurden? Für eine effiziente Überprüfung entlang einer etwa 1.200 Kilometer langen Frontlinie wäre eine beträchtliche Präsenz glaubwürdiger Beobachter erforderlich. Andernfalls könnten sich die Seiten gegenseitig der Fortsetzung der Angriffe bezichtigen oder solche Informationen über Angriffe als feindliche Propaganda abtun.
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4. Keine Zeit für Verhandlung der Details
Es war nicht eine Sekunde lang realistisch, dass all diese Details noch vor Ablauf der Frist am 8. August ausgearbeitet und vereinbart werden konnten. Die Einigung über solche technischen Details erfordert in der Regel mindestens mehrere Tage hochrangiger persönlicher Verhandlungen, selbst wenn gegenseitiges Entgegenkommen vorhanden ist, was in diesem Fall jedoch nicht erkennbar war.
Außerdem würde die russische Drohnen- und Raketenproduktion selbst im Falle einer Waffenruhe sicherlich nicht eingestellt werden. Sollte Moskau also beschließen, das Moratorium für Luftangriffe aus welchen Gründen auch immer zu beenden, könnte es dies mit neuer Kraft tun, indem es alle Systeme einsetzt, die es während der Waffenruhe produziert hat.
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6. Ukraine könnte russische Schwächen nicht mehr nutzen
Darüber hinaus würde ein gegenseitiges Moratorium für Luftangriffe über große Entfernungen Russland ermöglichen, die Luftabwehr und den Schutz seiner riesigen und verwundbaren Ölinfrastruktur und seiner Militärflughäfen zu verstärken. Die jüngsten ukrainischen Langstrecken-Drohnenangriffe haben gezeigt, dass Russland weder über ausreichende Luftabwehrsysteme verfügt, um den Angriffen ukrainischer Kampfdrohnen vollständig entgegenzuwirken, noch bieten die verschiedenen improvisierten Schutzmaßnahmen (Anbringen von Anti-Drohnen-Netzen an Öltanks undsoweiter) ausreichende Sicherheit.
Unterdessen würde selbst ein begrenzter Moratorium von einigen Wochen Moskau ermöglichen, die Verteidigung seiner Ölinfrastruktur zu verstärken, den Bau von gehärteten Flugzeugunterständen auf gefährdeten Flughäfen abzuschließen.
Insgesamt war dieser russische Vorschlag eher ein Versuch, Zeit zu gewinnen, indem die USA zur Verzögerung der Verhängung von Sanktionen bewegt werden sollten, als eine ernsthafte Deeskalationsbemühung. Daher sollte er auch als solcher behandelt und nicht allzu ernst genommen werden - es sei denn, es kämen echte Bereitschaft und bedeutende Maßnahmen seitens Russlands zum Ausdruck.
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