Chronische Schmerzen: Wie sich die Schmerztoleranz erhöhen lässt

Stress als Schmerzverstärker:Wie sich die Schmerztoleranz verbessern lässt

von Silke Potthoff
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Schmerzen sind eine komplexe Sinneswahrnehmung. Was der Körper damit übermitteln will, wie man sein Schmerzempfinden senken kann und welche Rolle die Psyche dabei spielt.

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Etwa 17 Prozent aller Deutschen sind laut der Deutschen Schmerzgesellschaft e. V. von lang anhaltenden, chronischen Schmerzen betroffen. Etwa die Hälfte leidet zusätzlich unter Depressionen. Auch Angststörungen und Schlafprobleme sind weit verbreitet. Vor allem die psychosoziale Komponente wird bei Schmerzen häufig unterschätzt.

Was sind Schmerzen?

Schmerzen sind ein wichtiges Warnsignal des Körpers. Diese Funktion ist für uns lebenswichtig, erklärt Stephan Vinzelberg, Experte für spezielle Schmerzmedizin am Sana Klinikum Lichtenberg.

Bei akutem Schmerz will der Körper uns signalisieren: Irgendwas stimmt nicht.

Dr. Stephan Vinzelberg, Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin

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Grundsätzlich hat Schmerz immer zwei Ebenen: Zum einen gibt es das meist körperliche Gefühl des Schmerzes, das zum Beispiel als Druck oder pochend wahrgenommen wird. Zum anderen gibt es die psychische Ebene, auf der Schmerz emotional beispielsweise als quälend verarbeitet wird.

Wie entstehen Schmerzen?

Schmerzen entstehen, wenn Schmerzrezeptoren durch Reize wie Hitze, Kälte, Druck, Verletzungen oder Entzündungen stimuliert werden. Diese Reize werden als Schmerzsignale über Nervenbahnen zum Rückenmark und von dort weiter an das Gehirn geleitet. Hier werden die Signale in verschiedenen Hirnregionen verarbeitet und schließlich als komplexes unangenehmes Gefühlserlebnis wahrgenommen.
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Wann sind Schmerzen chronisch?

Halten Schmerzen länger als drei bis sechs Monate an, bezeichnet man sie als chronisch. Sie haben dann ihre Funktion als Warnsignal verloren. Chronische Schmerzen sind im Gegensatz zu akuten Schmerzen ein eigenständiges Krankheitsbild.
Betroffene sollten von ambulanten Schmerztherapeuten oder in spezialisierten Schmerzkliniken oder -zentren behandelt werden. Denn die Ursachen für die Chronifizierung von Schmerzen sind komplex und bei jedem Menschen individuell.

Sind Schmerzen chronisch geworden, hinterlassen sie Spuren im zentralen Nervensystem. Nervenzellen, das Rückenmark und auch das Gehirn werden dadurch empfindlicher für Schmerzreize. Schon ein leichter Reiz kann dann als Schmerz empfunden werden.

In der Folge entwickelt sich ein "Schmerzgedächtnis“, das das Schmerzempfinden auch dann aktiviert, wenn keine Ursache vorhanden ist. Es kann eine sogenannte Schmerzspirale entstehen. Ein Schmerzgedächtnis lässt sich nicht einfach wieder löschen, sondern muss überschrieben werden. Das ist ein längerer Prozess im Rahmen einer Schmerztherapie.

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Welche Rolle spielt die Schmerztoleranz?

Schmerztoleranz ist das Maß an Schmerz, das eine Person ohne Schmerzmittel ertragen kann. Die Schmerztoleranz hängt dabei nicht nur vom reinen Nervensignal ab, sondern ist ein Zusammenspiel biologischer, psychologischer und sozialer Faktoren. Sie ist bei jedem Menschen anders und lässt sich beeinflussen.
Schonung und Vermeidung führt meist nicht zu einer Verbesserung der Schmerztoleranz. Durch die Vermeidung droht sogar ein Teufelskreis, da man sich am Ende immer weniger zumutet.

Vermeidung als Faktor für chronische Schmerzen sehen wir häufig.

Dr. Stephan Vinzelberg, Sana Klinikum Lichtenberg

Dazu entwickeln sich als Begleiterkrankungen oft depressive Verstimmungen oder Ängste, durch die sich die Schmerztoleranz gerade bei chronischen Schmerzen weiter verschlechtert.
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So lässt sich die Schmerztoleranz verbessern

Die Schmerztoleranz kann mit gezieltem körperlichen und psychischen Training verbessert werden. Chronischer Schmerz lässt sich dadurch unter Umständen besser und womöglich ohne Medikamente ertragen.
Um die Schmerztoleranz zu verbessern, können verschiedene Ansätze hilfreich sein: Physiotherapie, gezielte Bewegung und sensorisches Training können das Schmerzempfinden senken und die Beweglichkeit verbessern. Auch Stressmanagement und Entspannungsübungen helfen, die Wahrnehmung zu verändern und Schmerzen leichter zu bewältigen.

Schmerzschwelle erhöhen




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Daneben kann eine Ablenkung von Schmerzen, also eine Verschiebung der Aufmerksamkeit, insbesondere durch Aktivitäten, Gedanken oder andere sensorische Reize, die Schmerztoleranz erhöhen.

Es bieten sich Ablenkungsstrategien an, da das Gehirn nur eine begrenzte Menge an Informationen verarbeiten kann.

Dr. Stephan Vinzelberg, Schmerzmediziner

Das bedeutet: Ist das Gehirn zum Beispiel mit dem Lesen eines Buches beschäftigt, bleibt nicht mehr so viel Kapazität, um Schmerz wahrzunehmen. Der Schmerz lässt nach.

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Quelle: dpa

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