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Analyse
Minister verlässt FDP:Volker Wissing, der Überzeugungstäter
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Eigentlich gehört Volker Wissing nicht zu den Lauten in der Bundesregierung. Doch nun tritt er aus der FDP aus und bleibt Minister. Was hat ihn dazu bewogen?
Beinahe ein Ding der Unmöglichkeit, in diesen Tagen für Breaking News zu sorgen: Donald Trump geht als klarer Sieger aus der US-Wahl hervor; der Kanzler schmeißt Finanzminister und FDP-Chef Christian Lindner raus und tritt in einer beispiellosen Wutrede nach; Lindner revanchiert sich postwendend - die Hürde für Aufmerksamkeit liegt hoch in diesen Chaostagen. Volker Wissing aber ist es gelungen: Er hat sie locker genommen. Dabei gehört der Verkehrs- und nun auch Justizminister, der gleichzeitig scheidendes FDP-Mitglied ist, nicht zu den Lauten.
Wissing nicht an Krawall interessiert
Wissing gilt als pragmatisch, umgänglich und gradlinig. Wer ihn in den vergangenen drei Jahren traf, erlebte einen an Krawall und markiger Außenwirkung maximal uninteressierten Minister, der im Zweifel aber auch gegen Widerstände aus den eigenen Reihen für seine Überzeugungen eintrat. Und einen Minister, dessen Aufgabenbereich es ihm dabei nicht einfach machte.
Das leidige und die komplette Republik (zu Recht) erzürnende Thema "Deutsche Bahn". Präziser: die in weiten Teilen dysfunktionale, unzuverlässige, verlachte bis gehasste Deutsche Bahn, in die gleichzeitig unter Klimaschutzaspekten sehr viel mehr Hoffnungen investiert werden statt bitter nötigen Geldes.
Sorgenkind Digitalisierung
Und als wäre das nicht schon genug, fällt auch das Sorgenkind namens "Digitales" in Wissings Aufgabenbereich. Seine FDP hatte schon lange vor und noch im Wahlkampf ein eigenständiges Digitalministerium gefordert. Daraus wurde bekanntlich nichts.
Und die Begründung steht symptomatisch für den jahrzehntelangen Umgang sämtlicher Regierungen seit Helmut Kohl mit der Digitalisierung: Man finde kein geeignetes Gebäude für ein Ministerium im Berliner Regierungsviertel, lautete die sehr analoge und entlarvende Begründung dafür, dass diese Pläne nach der Wahl schnell wieder Makulatur waren.
Wissing nicht bester Freund der Grünen
Digitales, Bahn und Verkehr - drei Brocken, mit denen sich kaum etwas gewinnen lässt. Zum Beispiel Herzen. Zumal in einer gemeinsamen Regierung mit den Grünen; aber auch, wenn man wie Wissing die Sache im Zweifel auch über die eigene Partei stellt. Wissings Ressort riss die sogenannten Sektorziele.
Die Sektorziele gehören zum Klimaschutzfahrplan Deutschlands, wonach einzelne definierte Ressorts bestimmte Grenzwerte einhalten müssen. Beim Verkehr gelang das nicht. Tempolimits aber waren mit den Liberalen nicht zu machen, Wissing blieb stur, und so wurden letztendlich die Bedingungen für die Sektorziele geändert. Um es freundlich zu formulieren: Zum besten Freund der Grünen wurde Wissing dadurch nicht. Titulierungen als "Klimaschutzverhinderungsminister" zeugen davon.
Auch der Tankrabatt brachte den Koalitionspartner gegen die FDP und ihren zuständigen Minister auf: die Steuererleichterung für Sprit und Diesel nach dem Überfall Russlands auf die Ukraine 2022. Gleichzeitig aber kämpfte Wissing für das Deutschlandticket, und konnte dabei nicht eben auf große Unterstützung aus der eigenen Partei zählen - freundlich formuliert. Da rundet es das Bild von Wissing nur ab, dass er zum großen Ärger der Ampelpartner das Verbrennerverbot kippte.
Regieren als Dienstleistung
Wissing, der Überzeugungstäter, der nicht unbequem wird um des bloßen Unbequem-Sein-Wollens, diesem Image blieb er bis zum Aus der Ampel und auch konkret in dieser Frage treu: Anfang November veröffentlichte er in der FAZ einen Gastbeitrag. Die Überschrift: nüchtern und glasklar - "Ein Rückzug aus der Koalition wäre respektlos vor dem Souverän".
Darin nennt Wissing das Regieren eine "Dienstleistung" und schreibt: "Der Auftrag, den die Wählerinnen und Wähler uns erteilt haben, lautet nicht, hundert Prozent der jeweils eigenen Vorstellung umzusetzen. Er lautet viel mehr: Beteiligt euch, bringt euch mit euren Werten ein und seid ein konstruktiver Teil der Regierung, die insgesamt ein Mandat erhalten hat."
Jetzt kann man sich über die Wähler ärgern, weil sie auch andere legitimiert haben. Man kann sich zurückziehen und sagen: Da mache ich nicht mehr mit. Doch das wäre respektlos.
Volker Wissing in FAZ-Gastbeitrag
Nach 26 Jahren verlässt Wissing die FDP
Eine Nachricht, in dieser Phase der Ampel schon direkt an seine eigene Partei gerichtet: Da ließ die FDP und allen voran ihr Vorsitzender Christian Lindner kaum noch eine Gelegenheit aus, fast schon spielerisch ein mögliches Ausscheren aus der Ampel anzudeuten, ohne konkret zu werden.
Nun ist er also da, der Bruch - wenn auch anders, als gedacht. Und er ist immer noch da: Volker Wissing bleibt Minister, verlässt statt der Koalition lieber nach 26 Jahren seine FDP. Ausgerechnet Wissing, der die Euphorie dieser gescheiterten Koalition in einem Bild festhielt: Das berühmte Selfie, das Wissing, Lindner, Annalena Baerbock und Robert Habeck zeigt, hat Wissing geschossen. Er hat den Arm ausgestreckt - mit dem Handy in der Hand für das Foto, das sehr schlecht gealtert ist.
Quelle: dpa
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