Scholz verliert Vertrauensfrage: Das Pöbel-Parlament

Scholz verliert Vertrauensfrage:Das Pöbel-Parlament

Kristina Hofmann

von Kristina Hofmann

|

Ein Tag für die Geschichtsbücher hätte es werden können. Doch die Debatte zur Vertrauensfrage ist anders: scharf der Ton, böse die Beleidigungen. Die Verletzungen sind tief.

Tag der Entscheidung, Tag der Klarheit, Tag für die Geschichtsbücher: Viele Titel hat dieser 16. Dezember im Vorfeld bekommen. Politisch ist das Ergebnis wenig überraschend: Bundeskanzler Olaf Scholz hat im Bundestag die Vertrauensfrage verloren, der Weg zu Neuwahlen ist frei.

Was kaum zu erwarten war: Wie sehr sich die Parteien gegenseitig beleidigen, im scharfen Ton zum Teil. Welche tiefen Verletzungen drei Jahre Ampel offensichtlich hinterlassen haben. Wie wenig historisch und wie rüpelhaft, wie wenig Geschichtsbuch und wie viel Hinterhof-Rauferei, der heutige Tag im Bundestag abläuft.

"Lügner", "Geschwätz" - und Hofreiter tobt

Dabei beginnt alles noch mit den üblichen Inszenierungen. Bedeutende Debattentage im Bundestag haben immer auch etwas von einer Theater-Vorstellung. Niemand kommt einfach so rein in den Plenarsaal. Vor allem nicht diejenigen, die noch etwas werden wollen.

Also stehen CDU-Abgeordnete Jens Spahn und Julia Klöckner minutenlang gut sichtbar schräg vor dem Rednerpult und haben sich viel zu erzählen. Als ob sie sich ewig nicht gesehen hätten und nicht gerade aus der gemeinsamen Fraktionssitzung kommen. Aber da wären sie ja nicht von den Kameras gesehen worden.

Bundestagspräsidentin verteilt Ordnungsrufe

Oder FDP-Chef Christian Lindner, der vor Beginn lange in der Runde mit CDU-Abgeordneten und Parteichef Friedrich Merz steht. Also ob der Ampel-Verstoßene in einem neuen Kreis aufgenommen wird. Und abgeschirmt wird, damit Olaf Scholz in Ruhe hinter seinem Rücken erst in den Reihen seiner SPD-Fraktion, dann bei den Grünen die Hände schütteln kann.

Und als SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich die Reise des Kanzlers nach China lobt, und die Kritik daran als "maßlos und dumm" kritisiert, ärgert sich Grünen-Abgeordneter Anton Hofreiter nicht leise. Sondern ruft laut dazwischen, tobt weiter in der letzten Reihe seiner Fraktion.

Wie überhaupt gerne in dieser Sitzung rumgerufen wird. Kanzler Scholz schallt ein "Lügner" entgegen, Vizekanzler Robert Habeck ein "Geschwätz". Mindestens zwei Ordnungsrufe muss Bundestagspräsidentin Bärbel Bas erteilen.

Bundestagswahl
:Elon Musk nennt Habeck auf X "Volksverräter"

Wegen seiner Wahlkampf-Unterstützung für AfD-Chefin Weidel warnte Habeck US-Milliardär Elon Musk vor Einflussnahme. Nun reagiert Musk auf X - gewohnt harsch. Alle News im Ticker.
Robert Habeck
Liveblog

Scholz eröffnet den Wahlkampf

Vielleicht hat die aufgeregte Stimmung damit zu tun, dass Kanzler Scholz seine Vertrauensfrage "an die Wählerinnen und Wählern" gerichtet versteht, wie er es sagt. Nicht ans Parlament, nicht an die Abgeordneten, wie es das Grundgesetz vorschreibt. Also ist seine Rede vor allem eins: eine Wahlkampfrede. Es geht um eine möglichst gute Ausgangsposition für die Neuwahl, die mit hoher Wahrscheinlichkeit am 23. Februar stattfinden wird.

Scholz muss deutlich machen, warum er die Legislaturperiode nicht zu Ende bringt und braucht einen Schuldigen. Für ihn ist das Ex-Finanzminister Lindner. "Politik ist kein Spiel", rief er der FDP zu und spielte auf das D-Day-Papier und ihre strategischen Überlegungen zum Ampel-Ende an.

In eine Regierung einzutreten, dafür braucht es die nötige sittliche Reife.

Olaf Scholz (SPD), Bundeskanzler

Die FDP aber habe "Sabotage" an der eigenen Regierung verübt und damit der Demokratie insgesamt geschadet, sagt Scholz.

"Eine Unverschämtheit": Merz nimmt Lindner in Schutz

Selbstkritik? Eher wenig. Der Kanzler entwirft sein Wahlprogramm mit einer Reform der Schuldenbremse, der Senkung der Mehrwertsteuer auf Grundnahrungsmittel, würdigt seine Änderungen beim Mindestlohn, der Migrationspolitik. Scholz über Scholz: der Staatsmann, der Friedenskanzler und Taurus-Verhinderer in der Ukraine, der Europäer, der Weltpolitiker. "Ich bitte Sie, liebe Bürgerinnen und Bürger, um ihr Vertrauen", so endet die Rede des Wahlkämpfers - und amtierenden Kanzlers.

Da rutscht Oppositionschef Merz auf seinem Stuhl in der ersten Reihe schon längst unruhig hin und her. Wie ein Artist oder Sportler kurz vor dem Auftritt. Wie Scholz Lindner behandele, sei "nicht nur respektlos, sondern das ist eine blanke Unverschämtheit", sagt er. Die Union werde den Wahlkampf "hart in der Sache", aber anständiger im Ton als der Kanzler führen. Das nimmt er sich jedenfalls vor. Doch so ganz gelingt ihm das noch nicht.

Denn genüsslich behauptet er in seiner Rede, die europäischen Staatschefs würde alle hinter dem Rücken von Scholz über ihn lästern, weil er angeblich "stundenlang mit verschränkten Armen" bei der Sitzung der Europäischen Rates dagesessen habe. Laut Merz geht die Anekdote so:

"Olaf, sag doch mal was." Und was war Ihre Antwort, Herr Bundeskanzler, mit verschränkten Armen? "Nö, du hast ja auch nichts gesagt." Es ist peinlich, wie Sie sich auf europäischer Ebene verhalten.

Friedrich Merz, CDU-Vorsitzender

Ob das so stimmt? Eine Chance, darauf zu reagieren, hat Scholz nicht. Er sitzt auf seinem Kanzlerstuhl, schaut starr geradeaus, das Gesicht eher verkniffen als gelöst.

Die Grafik zeigt den Weg von der Vertrauensfrage zu Neuwahlen: Scheitert der Kanzler mit der Vertrauensfrage im Bundestag, kann der Präsident innerhalb von 21 Tagen das Parlament auflösen. Innerhalb von 60 Tagen müssen dann Neuwahlen stattfinden.

Jeder gegen jeden

Und so geht fast die ganze Debatte: Scholz gegen Merz, Merz gegen Scholz, der auch noch gegen Habeck keilt. Lindner teilt ebenfalls aus, natürlich gegen Scholz, dem er eine Subventionspolitik wie ein Karnevalsprinz unterstellt:

Der Prinz Karneval, der kann am Rosenmontag Kamelle verteilen, um populär zu werden. Aber die Bundesrepublik Deutschland darf so nicht regiert werden.

Christian Lindner, FDP-Vorsitzender

Doch auch andere sind offenbar verletzt. Dass die FDP den Bruch der Ampel provoziert habe, sagt Fraktionschef Mützenich, sei "an Niedertracht nicht zu überbieten." Und Richtung FDP-Fraktionschef die Drohung: "Das, Herr Dürr, werde ich Ihnen nicht vergessen." Es sei ein Tiefpunkt der deutschen Innenpolitik.

Wie der Kanzler legt er noch einmal nach: "Herr Kollege Lindner, Ihnen fehlt die sittliche Reife, um unser Land anständig zu regieren", sagt Mützenich.

Weidel kann aufs Schrille verzichten

Der Ton ist so schrill, dass eine, die sonst immer sofort laut wird, diesmal fast leise daher kommt. AfD-Fraktionschefin Alice Weidel kann ihre Anwürfe diesmal in normaler Tonlage los werden, nur beim Thema Migration und Syrien oder die Unterstellung, Merz werde ein Kriegskanzler sein, hebt sie die Stimme.

Und noch einer spricht anders als die anderen: Robert Habeck. Er ist selbstkritisch: "Häufig waren wir zu spät und häufig war es zu wenig." Er teilt vor allem gegen die Union aus, bleibt im Ton aber sachlicher. Alle würden so tun, als ob nach der Neuwahl alles besser werde. Als ob eine neue Regierung reibungslos zusammenarbeiten würde, obwohl sie doch vor den gleichen Herausforderungen wie die Ampel stehe.

Es ist nicht zu vermuten, dass die Realität sich ändert.

Robert Habeck, Grünen-Spitzenkandidat

Und so endet dann auch diese historische Sitzung: nüchtern wie die Realität oft ist. Es gibt keinen Applaus. Und auch kein Happyend. Kurzer Händedruck auf der Regierungsbank nach rechts und links. SPD-Parteivorsitzende Saskia Esken, die zu ihrem Kanzler mit dem "Geschafft"-Gesicht eilt, lässt Scholz einfach stehen. Einen Tag, nachdem über ihre Nachfolgerin spekuliert wird. Die nächste Inszenierung ruft. Es ist Wahlkampf.

Icon von whatsapp
Quelle: dpa

Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.


Nachrichten zur Bundestagswahl

  1. Politbarometer Grafik

    Nachrichten | heute - in Deutschland:Keine Mehrheit für Union und SPD

    von Udo Harnach
    Video1:49

  2. Hybride Bedrohungen und Cyberangriffe

    Cyberangriffe und Desinformation:Bundesregierung beschuldigt Russland

    Video0:27

  3. Friedrich Merz, Markus Söder und Lars Klingbeil

    Union und SPD vor Koalitionsausschuss:Worum Schwarz-Rot vor Weihnachten noch ringt

    mit Video2:28

  4. Amira Mohamed Ali (l) und Fabio de Masi (r) freuen sich über ihr Wahlergebnis auf dem 3. Bundesparteitag vom Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW).

    Parteitag beschließt Namensänderung:De Masi und Mohamed Ali bilden neue BSW-Spitze

    mit Video1:39

  5. Sahra Wagenknecht, Vorsitzende des BSW, spricht auf dem 3. Bundesparteitag der Partei «Bündnis Sahra Wagenknecht» zu den Delegierten.

    Nachrichten | heute:BSW trifft sich zum Bundesparteitag

    von Andrea Maurer
    Video1:39

  6. Sahra Wagenknecht (M, BSW Bündnis Sahra Wagenknecht), Bundesvorsitzende, nimmt zwischen Fabio De Masi (l) und Amira Mohamad Ali, BSW Bundesvorsitzende, an einer Pressekonferenz zur Neuaufstellung des BSW teil.

    Einspruch des BSW gescheitert:Ausschuss: Bundestagswahl muss nicht neu ausgezählt werden

    mit Video0:29

  7. Sahra Wagenknecht zwischen Fabio De Masi und Amira Mohamad Ali

  8. Gruppe an Leuten mit ihren Smartphones
    Grafiken

    Schlagzeilen, Promis und mehr:Google-Suche 2025: Was besonders im Trend lag

    von Lukas Wagner
    mit Video2:31