Wirtschaftsweiser Martin Werding:Rentenpolitik: "Uns stehen 10 bis 15 harte Jahre bevor"
Die Union streitet lautstark über die Rente. Wirtschaftsweiser Martin Werding kritisiert im ZDF fehlenden seriösen Umgang - und sieht das Land vor einer Zeit der Herausforderungen.
Sehen Sie hier das Interview mit dem Wirtschaftsweisen Martin Werding.
16.11.2025 | 5:13 minIm internen Rentenstreit kommt die Union nicht zur Ruhe: Bei ihrem Deutschlandtag machte die Junge Union ihrem Ärger über die Belastung der jungen Generation Luft. Kanzler Friedrich Merz bleibt jedoch bei seiner Linie - und hält weiter am Rentenpaket der Koalition fest.
Martin Werding ist seit 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft - und gehört damit zu den sogenannten Wirtschaftsweisen, die die Bundesregierung wirtschaftspolitisch beraten.
Im Interview mit dem heute journal erklärt er, wieso die Junge Union bei ihrem Protest einen Punkt hat, worauf es in einem stabilen Rentensystem jetzt ankommt - und warum auf Deutschland harte Jahre bei der Rente zukommen. Sehen Sie das komplette Gespräch oben im Video oder lesen Sie es hier in Auszügen:
ZDF: Im Koalitionsvertrag steht das CSU-Wahlversprechen der Mütterrente und das SPD-Wahlversprechen der Stabilisierung des Rentenniveaus. Ist das sinnvoll und gerecht?
Werding: Es ist eigentlich ein Koalitionsvertrag, wie wir in der Vergangenheit welche hatten. Die eine Partei will dies, die andere Partei will das - und dann macht man beides.
Im Grunde ist es kein seriöser Umgang mit dem Alterungsprozess, der auf uns zukommt.
Martin Werding, Wirtschaftsweiser
Und der Sachverständigenrat hat auch im jetzigen Jahresgutachten gerade wieder davor gewarnt, die Mütterrente, die ja sofort viel Geld kostet, und auch die Haltelinie umzusetzen. Die kostet allerdings erst ab 2029 Geld.
... ist seit 2022 Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft. Seit 2008 ist er Professor für Sozialpolitik und öffentliche Finanzen an der Ruhr-Universität Bochum. Er ist Mitglied in Expertenräten diverser Bundesministerien. 2021 war er am Konzept der Aktienrente der FDP beteiligt.
ZDF: Protestieren die Junge Union und die Jungen allgemein zu Recht?
Werding: Die Junge Union hat da einen Punkt. Der Koalitionsvertrag selber ist auch an entscheidender Stelle unklar. Da steht sehr genau, dass das Sicherungsniveau bis 2031 fixiert wird. Und da steht aber gleich im übernächsten Satz, dass am Nachhaltigkeitsfaktor, der an sich diese langsame Senkung des Sicherungsniveaus steuert, festgehalten wird. Was das also bedeutet für das Jahr 2032, ist an der Stelle offen geblieben. Im Gesetzentwurf steht jetzt eine Lösung, die naheliegt. Man fährt eben von dem Sicherungsniveau weiter, das sich bis dahin ergeben hat. Aber es gäbe da Alternativen. Die sind nur alle bekannt und deswegen denke ich, ist die Politik da auch einer Lösung nicht näher.
Die Jungen in der Union kündigen Widerstand gegen das geplante Rentenpaket an.
16.11.2025 | 4:31 min- Grafik: Warum die Rente ein Problem hat
ZDF: Man hat den Eindruck, es ist die Quadratur des Kreises. Was ist denn dann die Lösung?
Werding: Man sollte sich jetzt bei diesem Streit nicht so verhaken, sondern von vornherein weiterdenken. Sowohl Kanzler Merz als auch Vizekanzler Klingbeil haben ja im Sommer auch angesprochen, dass es schwierige Reformen geben wird in vielen Zweigen des Sozialstaats. Aus meiner Sicht war beiderseits auch die Rente gemeint. Die haben da vielleicht noch keine gemeinsame Vorstellung, aber darüber müsste man reden. Diese vielen Haltelinien für das Sicherungsniveau, für das Rentenzugangsalter, auch für die Beitragssätze, die sind im Grunde alle nicht simultan haltbar.
Wir brauchen da eine vorausschauende Politik, die für die junge Generation eine Perspektive aufzeigt.
Martin Werding, Wirtschaftsweiser
Im Zentrum steht die sogenannte Haltelinie bei der Rente, also das Absicherungsniveau der Rente im Verhältnis zu den Löhnen. Eigentlich sollte das Rentenniveau in den nächsten Jahren sinken. Im Koalitionsvertrag haben CDU, CSU und SPD aber vereinbart, die Haltelinie bis 2031 bei 48 Prozent stabil zu lassen.
In dem vom Kabinett beschlossenen Rentengesetzentwurf ist außerdem vorgesehen, dass auch nach 2031 das Rentenniveau um rund einen Prozentpunkt höher als im geltenden Recht liegen soll. Die Junge Gruppe der Unionsabgeordneten im Bundestag moniert das und argumentiert, dass das nicht im Koalitionsvertrag vereinbart ist. Das Problem: Wenn das Rentenniveau 2031 von einem höheren Niveau als bisher geplant zu sinken beginnt, dürfte das rund 120 Milliarden Euro kosten.
Quelle: dpa
ZDF: Wie sieht diese Perspektive aus?
Werding: Was wir dringend brauchen, ist eine Ergänzung unserer umlagefinanzierten gesetzlichen Rente, wo eben die Jungen immer direkt für die Alten zahlen müssen: Wir brauchen mehr ergänzende Kapitaldeckung. Das haben wir vor 20 Jahren schon angefangen, aber eben nicht richtig gemacht.
Wir haben damals auch diesen Nachhaltigkeitsfaktor eingeführt. Nach den damaligen Plänen hätte das Niveau längst auf 46 Prozent gefallen sein müssen. Das ist ja Gott sei Dank alles nicht passiert, weil die Arbeitsmärkte so gut liefen und darum haben wir jetzt eine zweite Chance.
Wir brauchen ergänzende Kapitaldeckung und wir brauchen einen Plan, wie wir die Interessen der Alten und der Jungen an einem einigermaßen erträglichen Sicherungsniveau der gesetzlichen Rente ausgleichen.
Martin Werding, Wirtschaftsweiser
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27.10.2025 | 3:20 minZDF: Immer weniger Einzahler und immer mehr Empfänger - würde eine ergänzende Kapitaldeckung dann ausreichen?
Werding: Nun, es ist tatsächlich ein längerer Prozess bis zu einer ergänzenden Kapitaldeckung, bis die auskömmliche Zusatzrenten hervorbringen. Viele haben das schon, aber manche eben nicht.
Das heißt, uns stehen 10, 15 relativ harte Jahre in der Rentenpolitik bevor.
Martin Werding, Wirtschaftsweiser
Danach können wir viel bessere Sicherungsniveaus haben, als es in der Zeit bis dahin realisierbar ist. Aber diesen Umschaltprozess muss man eben einmal angehen, sonst wird es nie was.
Das Interview führte heute journal-Moderation Dunja Hayali. Autor der Zusammenfassung ist Silas Thelen.
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